In tiefer Provinz auf der Höhe der Zeit - Neuester "Harter Brocken"-Film ist ein guter Genrevertreter

Von Christian Bartels (KNA)

THRILLER - Manchmal, aber nur manchmal lassen sich in der öffentlich-rechtlichen Krimiflut gute Filme entdecken. Die "Harter Brocken"-Reihe der ARD bietet erzählökonomisch bemerkenswerte, tatsächlich harte Regional-Thriller.

| KNA Mediendienst

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"Harter Brocken: Der Goldrausch"

Foto: Kai Schulz/ARD Degeto/KNA

Bonn (KNA) Ob ARD und ZDF ihr großes Korrespondentennetz ideal einsetzen oder ob "Mittendrin"-Berichte in den "Tagesthemen" immer sinnvoll den Blick auf die vermeintliche Provinz lenken oder manchmal auch größeren Problemen, über die es mehr zu sagen gäbe, Sendeplatz nehmen - darüber kann man streiten. Was dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen niemand vorwerfen darf: viele weiße Flecken auf der Landkarte seiner Krimi-Schauplätze zu lassen. Das gilt für Europa, wo die ARD-Degeto Reihenkrimis zwischen Irland und Kroatien anbietet und demnächst auch noch die Insel-Schauplätze Färöer und Kreta bewirtschaften wird, wie für Deutschlands vielfältige Regionen. Als die Runde machte, dass die Menschen in den ostdeutschen Bundesländern sich "abgehängt" fühlten, hatte die ARD schon die Krimireihe "Wolfsland" in der sächsischen Oberlausitz am Start. Das ZDF konterte mit seiner Reihe ebenfalls 90-minütiger "Erzgebirgskrimis". Von Flensburg bis Passau wird das "Tatort"-Rezept, das im 20. Jahrhundert Maßstäbe setzte, inzwischen breitgewalzt. Überall werden Ermittlerfiguren, falsche Spuren und verrätselte Mordmotive nach den Regeln des deutschen Fernsehkrimis so gut variiert, wie es eben noch geht. Weil zum Krimi-Rezept mindestens ein Mord pro Episode gehört und neben 90-Minütern die kürzeren, ebenfalls quer übers Land verteilten Krimiserien-Folgen a la "Morden im Norden" und "Die Rosenheim-Cops" ja noch dazukommen, werden in Deutschland Jahr für Jahr mehr fiktionale Morde ersonnen und in Szene gesetzt, als tatsächlich begangen werden. Muss solch ein Ausmaß mörderischer Gewalt im Unterhaltungsprogramm in Zeiten wachsender Spaltung nicht die gesellschaftliche Verunsicherung steigern? Oder zeugt es im Gegenteil von weiter bestehendem Sekuritätsgefühl, wenn die ermittelten Einschaltquoten nicht oder nur langsam sinken? Darüber lässt sich endlos streiten. Zumindest freut man sich in den oft entlegenen Regionen tatsächlich, weil die Dreharbeiten naturgemäß teilweise an den Originalschauplätzen stattfinden und die Hotellerie profitiert. Und davon, dass hinreichend langlaufende (und in den Dritten und sonstigen Beibootprogrammen oft genug wiederholte) Krimireihen Urlaubsziele in den Köpfen der Menschen etablieren, können sie nicht nur im Spreewald Lieder singen. Was man zurecht selten hört: dass sich in der Krimiflut gute Filme verbergen. Die gibt es aber. Aus der Masse der Regionalkrimis heraus sticht die Reihe "Harter Brocken", deren achte Folge am 18. November im Ersten ausgestrahlt wird. Der Reihen-Titel trifft nur halb zu: Der manchmal beiläufig genannte Schauplatz ist Sankt Andreasberg, eine einstmals "Freie Bergstadt", die inzwischen ins größere Nachbarstädtchen Braunlage am Ostrand Niedersachsens eingemeindet wurde. Der Brocken, der höchste Berg im Sachsen-Anhalter Ostharz, rückt weder ins Bild, noch wird er erwähnt. Aber hart geht es zu. Die Folge "Der Goldrausch" (Regie & Buch mit Mika Kallwass: Markus Sehr; Reihenidee: Holger Karsten Schmidt) startet mit unklarer Gemengelage: Soldaten in Lkws fahren durchs dunkle Mittelgebirge, einer schert aus, befehligt von einer jungen Frau. Auf Streit folgen Schüsse. Es gibt die ersten Toten. Um einen Goldschatz, der seit der Wende 1989 in einem Harzer Bergwerksstollen liegen soll, kreist dann die Handlung. Eine der einstigen Stasi oder NVA verbundene Killerin aus Halle/Saale fährt in den Harz und mordet dort nicht nur, sondern foltert ihre Opfer zuvor noch, um an Geheimnisse zu gelangen. Das deutet der Film durchaus deutlich an. Warum die ARD die "Harter Brocken"-Filme linear auf dem Sendeplatz am Samstagabend platziert, an dem sonst auch "Klein gegen Groß"-Shows für die ganze Familie laufen, bleibt ein Geheimnis ihrer Programmplanung. Humor gehört natürlich zum Rezept. Dafür sorgen die lokalen Charaktere. Aljoscha Stadelmann in der Hauptrolle des Ortspolizisten Frank Koops ist ein eher schweigsamer Denker, der sich (oder der Regie) in dezenten Western-Attitüden gefällt und schon daher von Gegenspielern unterschätzt wird. Seine Kollegin Mette (Anna Fischer) nähert sich über die Folgen der Heirat mit dem verliebten Postboten Heiner (Moritz Führmann). Der mutet schon wegen seiner authentischen Dienstkleidung leicht lächerlich an - selbst wenn er sie nicht schnell über den Schlafanzug streift, weil ihn das Problem drängt, vermeintlich die Trauringe verloren zu haben. Heiner träumt gern von schönen Dingen wie einer Alpakafarm und bekommt wenig mit von der Realität um ihn herum. Diese geschickte Vermengung rührend bis lächerlich harmloser Alltagssorgen mit harten Plots ist ein Kennzeichen der Reihe. Die Dialoge müssen selten komplexe Verwicklungen der Kriminalgeschichte erklären, sondern stehen nicht selten im Kontrast dazu. Die wechselnden Regisseure beherrschen es, Gefahr ohne Worte zu evozieren. Dafür reichen oft nicht einmal dick aufgetragene Blicke aus. Erzählökonomisch sind die "Harter Brocken"-Filme im deutschen Vergleich Offenbarungen. Dass meist nur eine Episode pro Jahr produziert wird, hängt vermutlich damit zusammen. "Goldrausch" besticht nicht direkt durch Originalität der Handlung. Schon in vielen Krimis bemühte Stasi- und NVA-Motive werden, straff und spannend, nochmals durchdekliniert. Die Fronten sind von Anfang an klar, die Gefahr ist groß. Streng definitionsgemäß handelt es sich bei "Harter Brocken" weniger um einen Regionalkrimi als um einen Regional-Thriller: Die Protagonisten stehen nie lange über dem Fall, den sie gerade klären, sondern schweben in Gefahr für Leib und Leben. Manchmal wissen sie es, manchmal nicht. Dass geschickte Variation wiederkehrender Motive einen zentralen Reiz guter Genrefilme ausmacht, wissen die Macher. Und trotz des ostentativ in Szene gesetzten Provinz-Charakters bewegen die Handlungen sich auf der Höhe der Zeit. In dieser Folge etwa kann die Hallenser Killerin ihre alte Fährte dank Gesichtserkennung wieder aufnehmen: weil Heiner gerade Erinnerungsfotos hochgeladen hatte und in Echtzeit scannende Programme Gesichtszüge in jedem Lebensalter wiedererkennen. So unprätentiös erscheinen ambivalente Aspekte der dynamisch voranschreitenden Digitalisierung selten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Zum bitteren bis schwarzen Humor passt, wie Sankt Andreasberg und der Harz ins Bild gesetzt werden: in Form dunkler Schiefer-Häuser, hinter deren Reihen sich immer wieder weite Blicke auf freilich auch eher dunkle - und teilweise sichtlich kaputte - Wälder öffnen. Dass es schön sein muss, dort zu wandern oder die Luft zu genießen, kann man sich beim Zuschauen dennoch denken. Hier ist der ARD mal gelungen, einen Regional-Thriller zu entwickeln und am Leben zu halten, der nicht im Bemühen entstand, einen weißen Fleck auf der Landkarte zu füllen, sondern der für einen wenig ausgereizten Schauplatz immer wieder Geschichten findet, die dorthin passen und in dieser Form schwerlich überall stattfinden könnten.

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