Bonn (KNA) Viele Deutsche reduzieren ihren Nachrichtenkonsum, weil er sie persönlich belastet. Das geht aus einer am Donnerstag veröffentlichten Studie des Bonn Institute zu konstruktivem Journalismus in Kriegszeiten hervor. Dieser allgemeine Trend betreffe zugleich Mediennutzende und Medienschaffende und könne als gesunder menschlicher Schutzmechanismus gedeutet werden, heißt es weiter. Um gegenzusteuern, sollten sich Medien stärker an den Bedürfnissen der Leser und Zuschauer orientieren. Unabhängig von der Frage der Nachrichtenvermeidung äußerten die Befragten grundsätzlich ein großes Interesse an der Berichterstattung über den aktuellen Krieg in der Ukraine. Die meisten nutzten etablierte Medien, vertrauten ihnen und schätzten deren Vielfalt. "Diejenigen, die eine deutliche Medienskepsis zum Ausdruck bringen, begründen dies vor allem mit mangelnder Repräsentation ihrer eigenen Lebensrealität", so die Studie weiter. Die Mediennutzer wünschten sich mehr Perspektiven in der Berichterstattung. Einige Befragte möchten zudem mehr über mögliche Lösungen und konkrete Initiativen zur Linderung des Leids Betroffener vor Ort erfahren, heißt es in der Studie mit dem Titel "Zwischen Wunsch und Wirklichkeit". Die Analyse habe auch gezeigt, dass Journalistinnen und Journalisten auf Augenhöhe mit den Menschen sprechen sollten. Sowohl bei der Berichterstattung von vor Ort, als auch in Diskussionssendungen. Vielen der Befragten sei Transparenz im Hinblick auf die Quellen sehr wichtig. "Einige bemängeln, dass die Nachrichten nicht immer verständlich seien, deshalb wünschen sie sich weiterführende Informationen in Form von Links und eine einfache, verständliche Sprache in den Medien", erläuterte das Bonn Institute. Einige Befragte betonen demnach, dass Sprache im Kontext von Kriegs- und Krisenberichterstattung zur Aufrechterhaltung oder sogar Verschärfung von Konflikten beitragen könne. Als wichtig empfänden sie konkrete, sachliche Begriffe und die Vermeidung militärischer Begriffe. Auch die befragten Journalisten sähen Chancen in einer stärker auf Perspektivenreichtum und Lösungsorientierung ausgerichteten Berichterstattung über Kriege. Jedoch seien auch Hindernisse in der praktische Umsetzung genannt worden. "Hier benötige es ein Umdenken sowie mehr Fortbildungen und Vernetzung, aber auch den Nachweis, dass konstruktivere Strategien entlang von Nutzerinteressen messbaren Erfolg beim Publikum hätten", stellten die Studienmacher fest. Praktisch alle Befragten hätten von massivem Zeitdruck in ihrem Arbeitsalltag berichtet. Zudem befürchteten sie Zusatzaufwand durch konstruktiven Journalismus. Einige Gesprächspartner schilderten eine gewisse Veränderungsmüdigkeit in den Redaktionen, die aus Anpassungsprozessen der vergangenen Jahre resultiere. Dies erschwere das Experimentieren mit innovativen, nutzerzentrierten Ansätzen. Für die qualitative Studie wurden Tiefen-Interviews mit 16 Mediennutzenden geführt. Sie wurden zu ihren Wünschen an die Berichterstattung über Kriege befragt. Die Auswahl der Gesprächspartner erfolgte demnach auf Basis zahlreicher Diversitätskriterien. Wichtig sei dabei auch gewesen, Menschen zu befragen, die Krieg oder Flucht erfahren hätten. Die Ergebnisse der Studie sollen helfen, traditionelle Muster der Kriegsberichterstattung zu hinterfragen, um den Informationsbedürfnissen der Menschen gerechter zu werden und Nachrichtenvermeidung konkret zu begegnen. "Ansätze des konstruktiven Journalismus bieten hierzu einen geeigneten Handlungsrahmen", so das Fazit der drei Autorinnen Ellen Heinrichs, Katja Ehrenberg und Pauline Tillmann. Konstruktiver Journalismus versteht sich als ein Konzept, das nicht die schlechte Nachricht an sich in den Vordergrund des Berichtenswerten rückt, sondern um Lösungsansätze bemüht ist. Laut den Befragten seien konstruktive Ansätze in den Redaktionen nicht verbreitet, weshalb es viele Missverständnisse gebe. So werde konstruktiver Journalismus häufig mit positivem Journalismus verwechselt. Vor allem auf Managementebene sähen die Studienteilnehmer die Verantwortung, einen konstruktiven Wandel auf der Arbeitsebene umzusetzen. "Es sei Aufgabe von Führungskräften, günstigere Rahmenbedingungen sowie entsprechende Ressourcen bereitzustellen", heißt es. Der Studie wurden praxistaugliche Beispiele angefügt, wie Kriegsberichterstattung entlang der Informationsbedürfnisse des Publikums gestalten werden könnte, so dass die Menschen nicht "abschalten".