Köln (KNA) Der zuschauende Fernsehmensch an sich hasst Veränderung wie die Pest, auch wenn sie noch so banal ist. Krawattenlos in der "Tagesschau"? Das "Boah, geht gar nicht" war groß, als Andre Schünke in der Nacht vom 29. auf den 30. Oktober die Nachrichten nach 70 Jahren "Tagesschau" oben ohne verlas. Wie heikel muss dann erst der Austausch eines TV-Gesichts sein? Sender wissen um das Risiko, ein Format mit Tradition in neue Hände zu geben. Denn selten gelingt der Personalwechsel so geschmeidig, wie es gerade in der RTL-Dschungelshow zu bestaunen ist: Jan Köppen flachst dort auf Anhieb so fein, als hätte nicht all die Jahre zuvor Daniel Hartwich an Sonja Zietlows Seite gestanden. (Noch) nicht ganz so fein schlägt sich dagegen jener neue Moderator, der ein paar Tage vor Köppen Premiere im Ersten Programm hatte. Louis Klamroth moderiert seit Jahresbeginn den Polit-Talk "Hart aber fair", dem Frank Plasberg von 2001 bis zum 14. November 2022 seinen Stempel aufgesetzt hat; die letzten Jahre übrigens ohne Krawatte und in seiner allerletzten Sendung im Beisein des Nachfolgers (vgl. MD 42/22). "Hallo Louis, was hast du für eine Schuhgröße?", scherzte Plasberg. Das könnte man freilich auch so auffassen: Meine Schuhe sind für dich, lieber Louis, zu groß. Nicht nett. Die Mühe, es dennoch passend zu machen und vor allem das Stammpublikum bloß nicht mit allzu viel Neuem zu verschrecken, ist denn auch beim neuen alten "Hart aber fair" unübersehbar - und spiegelt sich nicht zuletzt in Klamroths Frisur. Brav gescheitelt präsentiert sich der 33-Jährige neuerdings; bei seinen Privatfernsehen-Einsätzen zuvor, in der "ProSieben Politik Show", war sein Look noch struwwelig-lockig und wohl zu wild für das eher gesetzte ARD-Publikum. Und wenn wir schon bei Äußerlichkeiten sind: Nur dezent, mit einem Schuss Cyan im kräftigen Alarmrot, wurde die Beleuchtung im "Hart aber fair"-Studio verändert. Das Moderationspult, an dem sich Klamroth gerne aufstützt, diente schon seinem Vorgänger als Stützpunkt. Formal hat sich nicht viel verändert. Eine auffällige Abweichung vom Plasberg-Original, die man sich nun leistet, ist verschiedene Formen der Gästevorstellung auszutesten. Variante drei geht so: Klamroth und Gast sind gleichzeitig im Split-Screen zu sehen. Warum nicht? Ansonsten ist im Prinzip alles, wie es war. Selbst auf Plasbergs typische "Signature-Moves", also das Zustürmen auf den Gast, um ihn/sie im Redefluss zu stoppen, wenn Worte nicht mehr helfen, oder das Zusammenfalten der Hände vor der Brust, muss man nicht verzichten. Sein Nachfolger hat sie verinnerlicht. Doch reicht es, das Gewesene eins zu eins zu kopieren? Natürlich nicht. Als Steffen Hallaschka 2011 das RTL-Magazin "Stern TV" von Günther Jauch übernahm, war die Erwartungshaltung ähnlich groß wie jetzt bei Louis Klamroth. Jauch hatte das Format in 21 Jahren stark geprägt. Nicht andersrum. Und auch damals stellte sich die Frage, ob der Neue in das Alte passen würde. Rein physiognomisch schien das kein Problem zu sein. Sich vom Schlaks Jauch zum Schlaks Hallaschka umzugewöhnen, das sollte doch klappen (mit dieser Doppelgänger-Strategie sorgt RTL übrigens auch bei Nachfolgeregelungen in den News vor, um Irritationen zu vermeiden, siehe Peter Kloeppel/Maik Meuser). Trotzdem dauerte es eine Weile, bis beim Publikum der Gewöhnungseffekt einsetzte - und sich die Quoten wieder stabilisierten. Geholfen hat Hallaschka damals nicht nur der gelernte Sendeplatz und ein aufregendes Nachrichtenjahr mit Doktor-Guttenberg-Skandal, der Atom-Katastrophe von Fukushima oder dem bösen Ehec-Virus. Mit jeder Sendung wurde Hallaschka ein Stück souveräner und manchmal auch rangelfreudiger im Umgang mit seinen Gästen als sein Vorgänger. Jauch wird bei "Stern TV" längst nicht mehr vermisst. Das ist eine Perspektive, auf die Louis Klamroth bei "Hart aber fair" noch kräftig zuarbeiten muss. Plasbergs Quotenniveau konnte er, nach anfänglicher Neugier, nicht halten. 400.000 Zuschauer waren bei der zweiten Sendung nicht mehr dabei. Die Handball-WM der Männer am vorigen Montag schob den nachfolgenden, auf 22.15 Uhr verschobenen ARD-Talk zwar ein bisschen wieder nach oben - auf 2,26 Millionen. Aber auch in dieser dritten Sendung, mit dem knalligen Thema "Saufen normal, Kiffen bald legal: Ist Deutschland auf dem falschen Trip?", setzte sich fort, was als Eindruck bislang haften blieb. Die Schlagfertigkeit, die Louis Klamroth zu seinen TV-Anfängen auf NTV im One-on-One bei "Klamroths Konter" bewiesen hatte, diese Furchtlosigkeit und Freude, Spitzenpolitiker vor der Kamera zu grillen und die den Gewinner des Deutschen Fernsehpreises (2018) wohl für den ARD-Job empfahl - wo ist sie geblieben? Streckenweise wirkt der Gastgeber wie ein Gast in der eigenen Sendung. Er, der beinahe Fußballprofi geworden wäre, lässt laufen, statt hineinzugrätschen. Blättert in seinen Notizen, während die anderen sprechen. Hört zu und lässt ausreden. Das ist, einerseits, löblich. Talk-Gäste, denen nicht jeder Satz abgeschnitten wird, die ihren Gedanken zu Ende formulieren dürfen, das ist in den TV-Arenen eher selten. Andererseits: Die Sendung heißt nach wie vor "Hart aber fair" und nicht "Fair und freundlich". Die Härte in der Auseinandersetzung kommt bislang zu kurz. Einen Polit-Talk-Profi wie Karl Lauterbach über die Studienlage zur Heilkraft von Rotwein ("ein Glas Rotwein kann für Herz-Kreislauf-Erkrankungen gut sein") monologisieren zu lassen und erst nach Protest aus der Runde den Bundesgesundheitsminister abzuwürgen mit dem Verweis auf den Faktencheck am nächsten Tag auf der Sendungswebseite, ist nicht nur falsch verstandene Fairness, sondern zeugt auch von mangelhafter Vorbereitung. Und auch hier die Frage: Talk-Gäste mit passgenau vorbereiteten Recherchefilmen aus der Reserve zu locken oder mit Fakten zu konfrontieren, war einst eine Erfindung von "Hart aber fair" - aber wo sind sie geblieben? Redaktionelle Vorarbeit fließt jetzt, und das ist die andere auffällige Neuerung neben der Gästevorstellung, in Kurzfilme von Brigitte Büscher. Durfte die "Hart aber fair"-Redakteurin unter Plasberg gen Sendungsende nur Reaktionen aus dem Netz zusammenfassen, also die voces populi verlesen, geht sie jetzt zusätzlich auf Stimmenfang in Benraths Fußgängerzone oder auf Reportage zum Cannabis-Unternehmen in Halle. Büschers Upgrade - kann man machen, nach so vielen verdienstvollen Jahren bei "Hart aber fair". Ihre Routine und Selbstsicherheit geht Louis Klamroth bei "Hart aber fair" noch ab. Dass er wie mit angezogener Handbremse durch die Sendung führt, liegt womöglich nicht nur an der Nervosität, die jedem Neuanfang innewohnt. Seit er proaktiv per Interview seine Liaison mit der Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer publik gemacht hat, sind "Bild"-Zeitung und all die anderen Kritiker des angeblich "links-grün versifften öffentlich-rechtlichen Rundfunks" in Lauerstellung, ob sie Klamroth politische Voreingenommenheit nachweisen können. So was drückt, so was hemmt. Auch ohne diese spezielle Bürde gilt: Jeder Nachfolger muss laufen lernen und seine eigene Handschrift entwickeln. Kommt Zeit, kommen die wahren Qualitäten des Louis Klamroth wieder zutage. Bis Ende 2023 läuft sein Vertrag. Da geht noch was. Nur jammerschade wäre es, wenn er auf dem Weg zur Selbstfindung das gute alte "Plasberg-Spiel" am Ende jeder "Hart aber fair"-Sendung nicht beibehielte. Gewohnheit ist, wie gesagt, alles. Deshalb wurde es gerade in der Drogen-Ausgabe schmerzlich vermisst. Was für ein heiterer Ausstieg wäre es gewesen, wenn Klamroth Karl Lauterbach und die anderen Gäste abschließend gefragt hätte: Stellen Sie sich vor, Sie hätten nach der Legalisierung des Cannabiskonsums die Möglichkeit, mit einem anderen Teilnehmer der Runde gemeinsam einen Joint zu rauchen. Mit wem würden Sie einen durchziehen und warum? Diese Chance ist noch nicht vertan. Die Sendung beendete Klamroth ziemlich abrupt mit der Feststellung: "Ich fürchte, es wird nicht die letzte Runde zu diesem Thema gewesen sein."