Mehr wagen - Eine Analyse des Ersten und Zweiten Programms

Von Dietrich Leder (KNA)

MEDIENENTWICKLUNG - Zu viele Anstalten, zu viele Programme, zu viel Verwaltung - in der "Zu viel"-Debatte um die Öffentlich-Rechtlichen fällt die Analyse der Inhalte oft hintenüber. Dietrich Leder hat sich die Sendungen der beiden Hauptprogramme von ARD und ZDF über drei Wochen genauer angeschaut. Dabei sind ihm sinnvolle Kooperationen, aber auch diverse Dopplungen aufgefallen.

| KNA Mediendienst

alt

Sendungen im Ersten und Zweiten

Foto: Jule Roehr, Markus Hertrich, Thomas Kierok/WDR/ZDF/KNA

Bonn (KNA) In den Debattenbeiträgen um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland wird dessen Programm, ob es nun über Radio- und Fernsehsender oder über die Mediatheken verbreitet wird, kaum erwähnt, es sei denn als Verfügungsmasse, auf die man verzichten könne oder die zu transferieren sei. Anlass zu einer dreiwöchigen Programmbeobachtung der beiden Hauptprogramme, also des Ersten und des Zweiten Programms, in der Zeit vom 21. Januar bis zum 12. Februar und in der Sendezeit von morgens 8.00 Uhr bis in den späten Abend um 24.00 Uhr. Viele Sendungen wurden im laufenden Programm wahrgenommen, anderes über die Mediatheken nachgeholt. Die erste Erkenntnis ist nicht unbedingt neu, gilt es aber zu erwähnen, weil sie sich bestätigte: Beide Programme sind dann stark, wenn sie aktuell gefordert werden. Als in der Türkei und in Syrien in der Nacht zum 6. Februar die Erde bebte, reagierten beide Sender schnell. Am Abend änderten sie das Programm. Die ARD verschob die Aufzeichnungen aus dem Karneval ("Orden wider den tierischen Ernst") in den späten Abend, begann nach der "Tagesschau" mit einem "Brennpunkt" zum Thema, ehe sich auch "Hart aber fair" unter der Überschrift "Das Erdbeben in Syrien in der Türkei: Wie können wir helfen?" damit beschäftigte. Das ZDF zeigte nach der "Heute"-Ausgabe um 19.00 Uhr ein "Spezial" zum Thema. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits Korrespondenten in das Gebiet gereist, um von dort über das Ausmaß der Katastrophe zu berichten. Hintergrundinformationen über die Erdbebengefahr dieser Gegend sowie zur Struktur des Katastrophenschutzes in der Türkei und zur politisch schwierigen Lage in Syrien ergänzten die Live-Schaltungen ins Krisengebiet. Auch wenn sich hier manches wiederholte, als ob die Zuschauerinnen und Zuschauer die vorhergehenden Nachrichten nicht gesehen hätten, und trotz mancher peinlichen Frage von den Studiomoderatoren, die viel zu früh Einschätzungen zu den politischen Folgen etwa für den türkischen Staatspräsidenten hören wollten, wurde man seriös informiert. Ähnliches gilt auch für die Nachrichten selbst, die professionell produziert sind, und in denen selten Fehler wie am 1. Februar zu beobachten sind, als in der "Tagesschau" Judith Rakers mit einem anderen Thema begann, als die Redaktion ausweislich des Hintergrundbildes geplant hatte. Der Text des Teleprompters war wohl zu früh und also an falscher Stelle gestartet worden. Die Sprecherin reagierte aber schnell, griff zu ihren Moderationskarten und las von denen nun die zum Bild passende Meldung vor. Judith Rakers und ihre Kolleginnen und Kollegen haben sich mittlerweile daran gewöhnt, dass sie hinter dem Moderationstisch stehen und nicht sitzen; auch gelingt es ihnen immer besser, Fragen bei Live-Schaltungen an Korrespondentinnen und Reporter echt (und eben nicht abgesprochen) klingen zu lassen. In der "Heute"-Sendung um 19.00 Uhr (ZDF) ist das Frage- und Antwortspiel in Live-Schaltungen längst Routine. Jana Pareigis und Mitri Sirin, um nur zwei herauszugreifen, agieren wie selbstverständlich auch abseits des Moderationstisches, wenn sie vor dem Greenscreen sprechen, über den Grafiken und Bilder zum jeweiligen Thema eingeblendet werden. Nur das Vorstellen der Person, die in der jeweiligen "Heute"-Ausgabe den Sport präsentiert, wirkt bemüht. Warum wird deren Name nicht auch schon zu Beginn aus dem Off genannt? In der erwähnten Sonderausgabe von "Hart aber fair" zeigte sich, dass die ARD mit Louis Klamroth als Nachfolger von Frank Plasberg eine gute Wahl getroffen hat. Er führte sicher durch das aktuell in die Sendung genommene Thema, absolvierte auch zwei Interviews in Live-Schaltungen souverän und ließ die Runde am Studiotisch einvernehmlich Sachinformationen vortragen, statt das hier sonst übliche Meinungsspektakel vorzuführen. In den Wochen zuvor war es da noch ganz anders zur Sache gegangen, auch wenn der Trubel, den der Sendungstitel "Saufen normal, Kiffen bald legal. Ist Deutschland auf dem falschen Trip?" (23. Januar) versprach, nicht in dem erwarteten Maße eintrat (vgl. MD 4/23). Besonders gespannt war man auf die Ausgabe zum Thema "Letzte Abfahrt: Wie verändert die Klimakrise Alltag und Leben?" (30. Januar), denn Klamroth war zuvor in die Kritik geraten, nachdem bekannt wurde, dass er mit der Klima-Aktivistin Luisa Neubauer liiert ist. Das beschäftigte sogar den WDR-Rundfunkrat, der sich bei diesem Thema deutlich engagierter zeigte als bei grundsätzlichen Programmentscheidungen (vgl. MD 5/23). Klamroth ging dann in der Sendung mit der eingeladenen Klima-Aktivistin Aimee van Baalen aber ähnlich um wie mit der Autolobbyistin Hildegard Müller. Eine Vermutung bestätigte sich bei systematischer Betrachtung: Die Talkshows beider Programme arbeiten sich mit einer kleinen Gäste-Schar an einer noch kleineren Themenliste ab; allein im "Presseclub" der ARD kann man sonntags um 12.00 Uhr Journalistinnen und Journalisten erleben, die nicht wie Melanie Amann ("Spiegel") oder Robin Alexander ("Welt") zu den Stammgästen von Lanz und Co. gehören. Thematisch ging es in diesen drei Wochen vor allem um die Frage, ob Leopard-Panzer in die Ukraine geliefert werden sollen oder nicht. Darum ging es gleich mehrmals bei "Markus Lanz", aber auch in jeweils einer Ausgabe von "Maybritt Illner" (beide ZDF) sowie von "Anne Will" und "Maischberger" (beide ARD). Spätestens nach der zweiten oder dritten Talkrunde kannte man all das, was da gefragt und geantwortet wurde, bereits. Hinzukam, dass die meisten Gäste, ob sie nun aus der Politik oder aus dem Journalismus kamen, bei dem Thema mittlerweile einer Meinung sind, als dass eine wirkliche Diskussion aufkommen konnte. Und selbst als Sandra Maischberger Sahra Wagenknecht (Linke) und Gerhart Baum (FDP) am 8. Februar zu einem Streitgespräch ins Studio bittet, sind beider Positionen so geläufig, dass der verbale Schlagabtausch nur ermüdete. Belebend dann das Gespräch, das dieselbe Sandra Maischberger mit Helge Schneider führte, denn der Musiker und Komiker versteht es wie kein anderer, sich Erwartungen zu entziehen. Zur Frage der Panzer-Lieferungen sagte er denn auch nur, dass er von Waffen keine Ahnung habe, "und wenn ich keine Ahnung habe, spreche ich auch nicht darüber". Beherzigten Helge Schneiders Einstellung mehr Leute, fielen die Talkshows deutlich knapper aus. In der Summe ist das, was ARD und ZDF auf diesem Feld veranstalten, eindeutig zu viel. Da Anne Will angekündigt hat, ihre Sendung am Ende des Jahres auslaufen zu lassen, bietet das der ARD die Chance, auf wenigstens eine Talkshow zu verzichten oder zumindest ein anderes Format zu wagen. Warum gibt es in den beiden Hauptprogrammen keine Sendung, in der jeweils ein Gast zu einem Thema, aber auch biografisch befragt wird? Vielleicht nicht ganz so puristisch wie einst Günter Gaus in der früheren ZDF-Sendereihe "Zur Person", aber vielleicht als eine konsequente Weiterentwicklung dessen, was ARD und ZDF auf ihrem gemeinsamen Ereigniskanal mit "Phoenix persönlich" schon ausprobieren. Die Talkshows absorbieren seit mindestens zehn, wenn nicht gar fünfzehn Jahren die Aufmerksamkeit, die früher den politischen Magazinen galt. Diese längst vergangene Aufmerksamkeit erklärt ja den Tatbestand, dass in der ARD viele Sendeanstalten auf einem eigenen Magazin bestanden; es ging um so etwas wie politische Vielfalt und um eine innerprogrammliche Konkurrenz. Heute, da nicht nur die Aufmerksamkeit gelitten hat, sondern auch die politischen Unterschiede nicht mehr so wie früher auf den ersten Blick auffallen, reduziert sich die Vielfalt der Magazine - dienstags "Report Mainz", "Report München" und "Fakt", donnerstags "Kontraste", "Panorama" und "Monitor" - auf Unterschiede in den Vorspännen und im Stil der Moderationen. Wenn nicht zu befürchten wäre, dass eine Vereinheitlichung eher auf dem untersten statt dem obersten journalistischen Level stattfände, wäre sie vorzuschlagen. Das würde Geld sparen. Aber ob ein wöchentliches Magazin in der Länge von 45 oder 60 Minuten wirklich besser wäre? Das zentralistisch organisierte ZDF hat ja mit "Frontal" ein solches im Programm, das aber im Vergleich mit denen der ARD nicht besser abschneidet. Noch radikaler ist die Lösung, auf die sich ARD und ZDF bei der Ausweitung der Programmflächen in den 1990er Jahren verständigten. Sowohl das "Morgenmagazin" (5.30 Uhr bis 9.00 Uhr) als auch das "Mittagsmagazin" (13.00 Uhr bis 14.00 Uhr) werden wöchentlich abwechselnd von ARD und ZDF produziert, aber gemeinsam ausgestrahlt. Das ist selbstverständlich deutlich preiswerter, als wenn beide Programme auch auf diesem Feld mit eigenen Sendungen gegeneinander anträten. Bleibt die Frage, warum nicht das gesamte Vormittagsangebot auf ähnliche Weise hergestellt wird? Denn die Unterschiede zwischen "Volle Kanne", das im ZDF von 9.05 Uhr bis 10.30 Uhr läuft, und "Live nach Neun", das von der ARD zwischen 9.05 Uhr und 9.55 Uhr ausgestrahlt wird, sind kaum zu erkennen, abgesehen davon, dass das Magazin vom ZDF in Interviews für ZDF-Produktionen wirbt und die ARD-Variante für solche der ARD. Auch ließen sich das "ARD-Büffet" und die "Drehscheibe" des ZDF so harmonisieren, dass man nur eines produzieren müsste. Nachmittags unterscheiden sich die Angebote deutlicher. Die ARD setzt weiter auf den Herz-Schmerz-Kitsch der Daily Soaps von "Rote Rosen" und "Sturm der Liebe" sowie die ebenfalls auf endlos gestellte Doku-Soap "Verrückt nach Meer", während das ZDF zu ihrem Gebrauchtwaren-Hit "Bares für Rares" sich wöchentlich abwechselnde Kochshows ("Die Küchenschlacht" und "Besseresser") gesellt. All diese Sendungen kann man sich so oder etwas anders auch in privaten Sendern vorstellen. Das gilt erst recht für die Boulevard-Magazine "Brisant", das von der ARD längst auch am Wochenende um 17.15 Uhr ausgestrahlt wird, und "Hallo Deutschland" sowie "Leute heute", die im ZDF von Montag bis Freitag in der Zeit zwischen 17.10 Uhr und 18.00 Uhr zu sehen ist. Das sind nur softe Varianten dessen, was die private Konkurrenz anbietet: Prominentenklatsch, Verbrauchertipps, Unfall- und Kriminalitätsberichterstattung. Hier will das ZDF aber nun auch reformierend ansetzen, denn mit einem 100-Millionen-Euro-Paket soll der Sender digitaler und für die Jugend ansprechender werden. Dazu zählt die Ankündigung, dass "Leute heute" abgeschafft wird. Beim ZDF sind die beiden Klatsch-Sendungen derzeit von Krimis umsäumt. Das ist kein Zufall, denn mit Ausnahme von Sonntag weist jeder Programmtag im ZDF mindestens vier, meist aber fünf und am Freitag sogar sechs solcher Produktionen aus, in denen es um Mord und Totschlag und andere Verbrechen geht. Wäre das noch für den Vorabend und zu den Wiederholungszeiten akzeptabel, ist es das für das Abendprogramm, das ja über eine gewisse Vielfalt verfügen sollte, nicht. Denn auch der klassische Fernsehfilmtermin am Montag um 20.15 Uhr war in den drei Wochen allein mit Krimis gefüllt: "Unter anderen Umständen: Für immer und ewig" (23. Januar), "Spreewaldkrimi - Die siebte Person" (30. Januar) und "Die Toten vom Bodensee - Nemesis" (6. Februar). Ebenso der Samstagstermin zur selben Zeit. Hier liefen "Das Quartett - Tödliche Lieferung" (28. Januar), "Ostfriesenmoor" (4. Februar) und "Helen Dorn: Das Recht zu schweigen" (11. Februar). Hinzukam am 1. Februar eine Krimi-Wiederholung aus der Reihe "Marie Brand", die das ZDF gegen ein von der ARD übertragenes Fußballpokalspiel setzte. Und selbstverständlich das Angebot an dem Tag, an dem die Krimi-Sucht des ZDF einst begann: Freitags laufen wie eh und je zwei Krimi-Serien hintereinander: "Der Staatsanwalt" (20.15 bis 21.15 Uhr) und "Soko Leipzig" (21.15 bis 22.00 Uhr). In der Summe zeigte das ZDF an 10 von 21 Abenden zur besten Sendezeit nichts als Krimis! Aber auch hier setzt das 100-Millionen-Euro-Verjüngungs-Paket des ZDF an, denn die Krimi-Serien "Soko Hamburg" und "Letzte Spur Berlin" sollen aufgegeben werden. Was dennoch angesichts dieser Überproduktion eines einzigen Genres nicht verwundern kann, ist, dass sich diese Filme in Form und Inhalt gewaltig ähneln. Das ist handwerklich oft nicht schlecht, aber nur selten wirklich gut. Zur Zeit lieben die ZDF-Krimis dräuende Gewässer, seien es die der Ostsee, des Bodensees, des Spreewalds oder der ostfriesischen Moore. Verwickelte Familienverhältnisse spielen gerne eine gewichtige Rolle und des Öfteren leiden die Ermittlerinnen und Ermittler - die Geschlechterparität ist hier längst erreicht - an privaten Problemen, die sie bei ihrer Arbeit stören. Und fast immer gibt es Zeit für komische Verwicklungen. Diese Monokultur zeugt von einer gewissen Einfallslosigkeit und von mangelndem Wagemut. Es nivelliert die Erwartungen der Zuschauerinnen und Zuschauer, die längst enttäuscht sind, wenn eine filmische Erzählung nicht mit mindestens einer Leiche aufwartet und der Pathologe einen zynischen Spruch loslässt und am Ende der Fall mindestens halbwegs geklärt ist. Nun hat sich die ARD-Programmdirektorin Christine Strobl ausweislich eines Strategiepapiers aus dem Sommer 2021 zur Aufgabe gesetzt, dem ZDF in vielen Programmebenen nachzueifern. Kein Wunder also, dass auch im Hauptabendprogramm des Ersten die Krimis überhandnehmen. Neben dem klassischen Termin am Sonntag mit Neuproduktionen von "Tatort" und "Polizeiruf 110" und den Wiederholungen dieser Reihen am späten Freitagabend wird seit längerem auch der Vorabend (mit montags "Morden im Norden", dienstags "WaPo Bodensee" und mittwochs "Watzmann ermittelt") und vor allem auch der Donnerstagabend mit Krimis gefüllt. Hier liefen zwei Folgen der Reihe "Die Füchsin" (26. Januar und 2. Februar) und "Der Bozen-Krimi" mit der Folge "Weichende Erben" (9. Februar). Und selbst auf dem klassischen Fernsehfilmtermin am Mittwoch wurde zumindest einmal ein Krimi gezeigt: "Die Verteidigerin - Der Gesang des Raben" (8. Februar). Da auch die historische Spionageserie "Bonn - Alte Freunde, neue Feinde", deren letzte beiden Folgen am 24. Januar hintereinander zu sehen waren, deutliche Krimi-Elemente enthält, zeigte das Erste im Untersuchungszeitraum an 8 von 21 Abenden Kriminalistisches. Aus diesem formal wie inhaltlichem Einerlei, zu dem in der ARD noch die konventionelle Krankenhausserie "In aller Freundschaft" am Dienstag und die romantischen Komödien am Freitag jeweils um 20.15 Uhr hinzukamen, fiel nur ein Fernsehfilm heraus: "Gesicht der Erinnerung" von Dominik Graf, der am 8. Februar wegen einer weiteren Sondersendung zum Erdbeben erst gegen 20.30 Uhr begann und zudem mit einem Fußballpokalspiel im ZDF konkurrierte. Das Psychogramm einer Frau, die den Tod ihres ersten Freundes nicht überwunden hat, glaubt in einem jungen Mann gleichsam den Wiedergänger des Verstorbenen zu entdecken. Verena Altenberger verkörpert diese Frau auf eindrückliche Weise bis in das verstörende Ende hinein, und der Film wechselt so rasant die Zeit- und Wahrnehmungsebenen, dass man ihrer fixen Idee immer mehr folgt (vgl. MD 5/23). Man muss das nicht mögen oder man kann auch die Erzählkonstruktion für verstiegen halten, aber im Vergleich mit all den konventionellen Krimi-Plots hatte das schon eine enorme visuelle und erzählerische Kraft. Hier hatten der Regisseur wie auch der Sender - der SWR hatte den Film für die ARD produziert - etwas gewagt. Und solche Wagnisse gehören zu den Aufgaben eines öffentlich-rechtlichen Systems, da es anders als die privatwirtschaftliche Konkurrenz durch ihre Gebühreneinnahmen vom wirtschaftlichen Druck befreit ist. Zu den Imitations-Plänen von Christine Strobl gehörte auch, dass das Erste Programm sich an Ideen des ZDF wagen sollte, die wie die "Heute Show" und das "ZDF Magazin Royale" politisch und komödiantisch zugleich sind. Als Ergebnis dieser Anstrengung kann man die neue Sendung "Reschke Fernsehen" bezeichnen, von denen die ersten beiden Folgen am 2. und 9. Februar spätabends jeweils nach "Nuhr im Ersten" gezeigt wurden. "Panorama"-Chefin Anja Reschke will - so verheißt es ihr Sender NDR - "Journalismus und Entertainment" verbinden. Für die Unterhaltung sollen die Pointen ihrer Moderation und die NDR-Bigband sorgen, die ab und zu für einen kurzen Moment Musikalisches vom Band beisteuert. Das Konzept klingt sehr nach Böhmermann, ohne allerdings dessen Tempo zu erreichen. Bei Reschke geht es deutlich gemächlicher zu, zudem wirken die Pointen oft bemüht. Bleibt die Hoffnung, dass ihr Zeit bleibt, am Konzept und an ihren Solos zu feilen. Jan Böhmermann hatte sich einst erst bei ZDFneo ausprobiert, ehe er in das Hauptprogramm wechselte. Über eine solche Möglichkeit verfügt die ARD nicht. Heute jedenfalls. Denn in den 1970er und 1980er Jahren wurden in den Dritten Programmen viele neue Programmideen ausprobiert, die jetzt als die großen Erfolge des Ersten gelten. Heute sind diese Dritte Programmen längst mit regionalen Sendungen aller Art und mit "Tatort"-Wiederholungen zubetoniert, als dass dort noch Neues erprobt werden kann. Das führt zu Ausweichbewegungen. Im Untersuchungszeitraum startete die ARD eine neue Serie allein in der Mediathek: "Asbest" von Kida Khodr Ramadan. Die Geschichte eines jungen Mannes aus einer Einwandererfamilie, der als Fußballspieler sein Geld verdienen will, aber wegen einer Intrige im Gefängnis landet, wo er als Gangster nachsozialisiert wird, ist in der Mediathek äußerst erfolgreich und soll nun das Muster einer neuen ARD-Strategie abgeben, nach der man viel mehr autonom für die Mediathek produzieren will. Das kann man als typischen Trick des öffentlich-rechtlichen Systems bezeichnen, mit dem es aus einer selbst verschuldeten Not eine behauptete Tugend bastelt. Die Not besteht in fehlenden Sendeplätzen im Ersten Programm, denn wo sollte dort "Asbest" laufen? Etwa am Serien-Dienstag, in dem die Fans von "In aller Freundschaft" entsetzt wären, müssten sie sich die oft vulgären Knast-Dialoge und die Rap-Musik von "Asbest" anhören. Nach drei Wochen fällt die Bilanz gemischt aus. Den Qualitäten im journalistischen Bereich stehen viele konventionelle und routinierte Sendungen in den übrigen Bereichen gegenüber. Es gab kaum etwas Neues zu entdecken. Die Krimi-Monokultur lässt das Interesse an anderen Erzählformen und an Genres erlahmen, die zur selben Zeit in den Streamingdiensten boomen. Die Binnenkonkurrenz treibt ARD und ZDF in eine Parallelproduktion von Dingen, bei denen sie sich abwechseln könnten, wie es in der Sport-Berichterstattung, die im Beobachtungszeitraum mit Wintersport, mit Handball und mit Fußball weite Strecken füllte, und bei den erwähnten Magazinen am Morgen und am Mittag schon geschieht. Die beobachtete Imitation des ZDF durch die ARD ist Ausweis eigener Ideenarmut. Gibt es vielleicht auch deshalb so wenig neue Ideen, weil man in den Häusern der ARD nicht so recht an die eigene Zukunft glaubt?

Lesen Sie weiter auf www.KNA-News.de