Audio-Wundertüte der ARD - "Tagesschau"-Podcast "11KM" gelingt mal besser, mal schlechter

Von Christian Bartels (KNA)

PODCAST - Der "Tagesschau"-Podcast "11KM" beleuchtet in hoher Frequenz ziemlich unterschiedliche Themen. Das überzeugt häufig, aber nicht immer. Für die ARD ist es jedenfalls eine sinnvolle Idee.

| KNA Mediendienst

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"Tagesschau"-Podcast "11KM"

Foto: Christian Spielmann/NDR/BR/ARD/KNA

Berlin (KNA) 48 Folgen vom 8. Januar bis zum 15. März mit Längen von 23 bis 35 Minuten: ein stolzes Pensum. Werktäglich geht eine neue Ausgabe des von BR24 und NDR produzierten "Tagesschau"-Podcasts in der ARD-Audiothek online. Die Folgen widmen sich jeweils nur einem Thema und haben dennoch schon ein gewaltiges Themenspektrum durchmessen. Um die in El Salvador zum offiziellen Zahlungsmittel erhobene Kryptowährung Bitcoin ging es etwa, um einen im Bundesnachrichtendienst enttarnten mutmaßlichen Spion Russlands, um den Einsatz von Pestiziden auf Südtiroler Apfelplantagen und um das 200-Jahr-Jubiläum des Kölner Karnevals. Oft geht es aktuell und investigativ zu, etwa in "Mein Luftgewehr, mein Lifestyle - scharfe Waffen, schwaches Recht", der Folge vom 15. März. Da berichtet der SWR-Journalist David Meiländer von langfristigen Recherchen dazu, wie leicht es in Deutschland ist, sich mit oder auch ohne Waffenschein "kriegswaffen-ähnliche Gewehre" und Munition zu verschaffen. Die aus traurigem Anlass des Amoklaufs in Hamburg laufenden Diskussionen bereichert das punktgenau um fundierte Erkenntnisse. Befremden könnte bloß der üppige Einsatz von Musik und anderen Tönen. Selbst Pianoklänge erklingen unmotiviert. Das wirkt, als würden die Macher dem Gespräch zwischen Moderatorin Victoria Michalczak und ihrem Gast alleine nicht zutrauen, zu fesseln. Stets handelt es sich bei den "11KM"-Folgen um ein Gespräch zwischen Michalczak und einem journalistischen Gast. Der Einsatz inszenatorischer Mittel variiert. Mal werden mehr, mal weniger, mal aussagekräftige Einspieler aus Recherchen des Gasts, mal allenfalls atmosphärische Töne eingeblendet. Der Gast steckt jeweils tief in seinem Thema drin, die Moderatorin stellt Fragen, das ergibt Sinn. Wenn etwa Investigativ-Veteran John Goetz in der Folge "'Hitler-Tagebücher': Fälschungen, um Geschichte umzuschreiben?" (24. Februar) die NDR-Aktion vorstellt, die gefälschten "Hitler-Tagebücher", auf die der "Stern" anno 1983 hereinfiel, vollständig und mit kritischer Einordnung zu veröffentlichen, gibt es dazu Ausschnitte aus einer ZDF-"Na sowas"-Show der 1980er und aus dem alten Kinofilm "Schtonk" zu hören. Wenn die ARD-Korrespondentin in Tel Aviv, Bettina Meier, in der Folge "Nahostkonflikt: Eine tote Journalistin, viele Fragezeichen" (16. Februar) dem Tod der vor laufender Kamera erschossenen Al-Dschasira-Journalistin Schireen Abu Akleh nachgeht, hat sie eigene Recherche-Ergebnisse aus dem Westjordanland mitgebracht, die wohl noch nirgends zu hören waren. Sie werden erst noch zu sehen sein: Für den 11. Mai, Abu Aklehs ersten Todestag, plant Meier eine Doku fürs Fernsehen. In "11KM" berichtete sie während der Produktion davon. Diese Folge ist ausgesprochen hörenswert, weil sich spüren lässt, wie die Korrespondentin (die im Mai 2022 noch nicht in der Region arbeitete) den Vorfall nachzuvollziehen versucht und wie vorsichtig sie ihre Worte wählt. Der palästinensischen Seite zufolge wurde die Reporterin gezielt von israelischen Soldaten getötet. Israelische Stellen sprechen von einem Unfall und Schüssen, die von ihrer, aber auch der Gegenseite gekommen sein könnten. Und das während die angespannte Lage unter der neuen israelischen Regierung weiter eskaliert. Die Logik von "11KM" besteht also darin, Macher bereits vorliegender oder entstehender Produktionen zu befragen und so deren Erkenntnisse auch in Podcast-Form zur Verfügung zu stellen, was außerdem natürlich die Aufmerksamkeit für die eigentlichen Produktionen erhöht. Mal handelt es sich um Fernseh-Dokus, die teilweise schon gesendet wurden, aber in der ARD-Mediathek weiter abrufbar sind (wie Meiländers "Waffen-Hype: Deutsche rüsten auf" aus dem November), mal um aktuelle Radio-Reportagen oder auf tagesschau.de verfügbare Online-Artikel. Die "Shownotes", also Produktionsangaben zu den einzelnen Folgen auf der jeweiligen Subseite der ARD-Audiothek, nennen - etwas lieblos allerdings - entsprechende Angaben und Links. Die falschen "Hitler-Tagebücher" bereitet der NDR ausführlich auf ndr.de/hitlertagebuecher auf. Größere Breitenwirkung erzielte freilich die dem Thema gewidmete Ausgabe der ARD-Show "Reschke Fernsehen" (vgl. MD 8/23). Wer sich auf diesem oder jenem Weg schon übers Thema informierte, erfährt in der Podcast-Folge wenig Neues. Und könnte sich weiterhin fragen, ob die Erkenntnisse wirklich so neu sind, wie der NDR behauptet (vgl. MD 9/23). Die Produktionen des Senderverbunds kritisch zu hinterfragen, ist natürlich nicht Anliegen des Podcasts. Doch deren Mehrfachverwertung ist ökonomisch und selbstverständlich legitim, schon weil in den gegenwärtigen Informationsfluten niemand in der Lage ist, auch nur das, was ihn oder sie interessieren würde, zu sehen, hören und zu lesen. Ebenso selbstverständlich bei der dicht getakteten Produktionsweise, dass manche Folgen besser gelungen scheinen, manche weniger, und das auch an Vorlieben, Vorwissen oder Tagesform des jeweiligen Hörers liegen mag. Wenn etwa einer der Autoren der 90-minütigen WDR-Dokumentation "Alaaf - 200 Jahre Kölner Karneval" das in diesem Jahr begangene Jubiläum erklärt, gerät das noch informativer als der gelungene Film - vermutlich, weil er und die Moderatorin auf ein noch Karnevals-ferneres Publikum eingehen, als es im WDR-Fernsehen zu erwarten ist. Wenn ein Investigativreporter und Moderatorin Michalczak im Gespräch über den BND-"Maulwurf" immer wieder die "James Bond"-Haftigkeit des Sujets betonen, klingt an, dass es dazu von ARD-Seiten dazu nicht sehr viel zu erzählen gibt. Die Grenzen des sinnvollen Einsatzes von Podcasts werden zumindest erreicht, wenn Gäste ausführlich referieren, was einzelne Gesprächspartner zuvor ihnen gesagt hatten. Wenn etwa eine Reporterin, die für die Mediatheken-Reihe "Money Maker" (vgl. MD 38/22) einen Hacker porträtierte, der sich zumindest teilweise in der Illegalität bewegt, schließlich dessen Ansichten zum hochgradig umstrittenen Thema der "Staatstrojaner", also behördlich eingesetzter Schadsoftware, wiedergibt, ist das bei geringem Informationswert grenzwertig. Da ergäben unmittelbare Einschätzungen tatsächlicher Experten mehr Sinn. Und wenn der Journalist Daniel Drepper schildert, was Folteropfer im Iran der von ihm geleiteten Recherchekooperation von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" berichteten, geht das so nahe, dass es keinerlei gefühliger Musikuntermalung bedürfte. Wenn Drepper dann erzählt, ein Mädchen sei eingesperrt worden, einfach weil sie auf der Straße gesungen habe, dabei aber die Kopftuch-Frage - bekanntlich der Auslöser der massenhafte Proteste im Iran - gar nicht erwähnt, mag das bei Videoformaten (die auch für die Iran-Folge vom 1. Februar den Anlass bildeten) angehen. Da würde man ja Bilder von ohne Kopftuch demonstrierenden Frauen sehen. Im reinen Audio-Format ist es journalistisch mindestens zweifelhaft. Doch mögen solche Mankos der dichten, noch neuen Produktionsweise zwischen den Formen Audio, Video und Text geschuldet sein. Schließlich erzeugt "11KM" hohen Output - und richtet sich an ein Publikum, das vermutlich weder mit voller Konzentration, noch sämtliche Folgen hört. Wer hat 2023 noch eine gute halbe Stunde werktägliche Medienzeitbudget übrig? Eher dürfte die Nutzung dahin gehen, dass Menschen aus der laufend weiterwachsenden Liste der sinnvollerweise nicht tagesaktuell konzipierten Folgen solche Themen auswählen, die sie interessieren könnten. Und wenn dem dann doch nicht so sein sollte, in der Überfülle von Podcasts zum nächsten weiterwischen. Schon das bereits vorhandene "11KM"-Themenspektrum besitzt den sympathischen Charme einer Wundertüte. Und in der Logik der ARD, die unter zunehmendem Rechtfertigungsdruck zeigen will (und sollte), dass sie außer Krimis und Quizshows auch im Bereich Information und Wissen viel bietet, erweist sich das Prinzip als produktiv. Gerade das Verknüpfen der eigenen Internetauftritte, also Links aus der Audiothek (in der "11KM" zu finden ist) in die Mediathek mit Bewegtbild-Angeboten vor allem, aber nicht mehr allein der linearen Fernsehsender, ist zukunftweisend. Es könnte dazu beitragen, die immer deutlicher erhobenen Forderungen nach einer einheitlichen öffentlich-rechtlichen Plattform zu erfüllen. Wiederum eine andere Frage ist, wie gut der Wundertüten-Podcast tatsächlich zur "Tagesschau" passt. Wenn das große ARD-Korrespondentennetz Themen, die in der Nachrichtensendung um wenige Minuten Sendezeit konkurrieren müssen, in Form eines ausgeruhten Podcasts vertiefen kann, besitzt das hohen Wert, wie etwa die Abu-Akleh-Folge zeigt. Doch wurde die "Tagesschau" im linearen Fernsehen dank kurzer Berichte mit klarem Fokus auf deutsche Politik und Weltpolitik aus deutscher Perspektive zur starken Marke. Viele Themen, die der Podcast beleuchtet, dürften in der Original-"Tagesschau" kaum vorkommen. Auch die gewisse Redundanz und der ostentativ lockere Tonfall, der sich in Podcasts schon wegen des selten hundertprozentig konzentrierten Publikums als sinnvoll erweist, passen nicht gerade zur "Tagesschau". Insofern dürfte die ARD mit "11KM" noch weiter experimentieren. Fürs Publikum lohnt es jedenfalls bereits, in die Wundertüte gelegentlich mal hereinzugreifen beziehungsweise hineinzuhören.

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