Viel Trubel bei den Medienwächtern - Hochkarätig besetztes Event über Medienpolitik in Europa

Von Christian Bartels (KNA)

MEDIENPOLITIK - Beim Symposium "Europa im Spannungsfeld der Medienpolitik" in Berlin zeigte sich: Zwischen den föderalistisch strukturierten Landesmedienanstalten, der EU-Kommission und der Bundesregierung gibt es tatsächlich allerlei Spannungen.

| KNA Mediendienst

alt

DLM-Symposium

Foto: DLM/Medienanstalten/KNA

Berlin (KNA) Die deutsche Umsetzung des auf EU-Ebene beschlossenen Digitale-Dienste-Gesetzes (Digital Services Act/DSA) steht noch bevor. Vor allem, wer die wichtige Position des Digital Service Coordinators (DSC) hierzulande einnehmen soll, muss die Bundesregierung noch festlegen - auch wenn sie für Medienpolitik sonst kaum zuständig ist. Eine Vorentscheidung könnte gefallen sein, deutete sich beim Symposium der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) am 22. März in Berlin an. Unter dem Titel "Vielfalt gewährleisten, Staatsferne sichern: Europa im Spannungsfeld der Medienpolitik" wurden so manche Spannungen spürbar - auch wenn alle diejenigen, die mit dem aktuellen Zustand der Medienregulierung zufrieden sind, schließlich mit dem Gefühl nach Hause reisen konnten, dass sich weniger ändern muss, als sie wohl befürchteten. Auf einer der Podiumsdiskussionen gastierte Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur. Es könne sein, dass die Bundesregierung "sehr zeitnah zu einer guten Entscheidung" in der DSC-Frage kommen werde, sagte er mit feinem Lächeln. Und dass es ja vor allem ums Koordinieren einer "wahrscheinlich dreistelligen Anzahl von sehr fähigen Behörden" gehe, die bereits jetzt digitale Dienste regulieren. Das würde zu den Kompetenzen der Netzagentur passen. Klang so, als habe sich Müller bereits gründlich mit dem Thema beschäftigt und zähle die vierzehn Medienanstalten zu den zahlreichen Behörden. (vgl. MD 10/23 und MD 11/23) Schon weil neben ihm auf dem Panel Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien NRW (und DLM-Europabeauftragter), saß, der befürchtet, dass die Medienanstalten hintan gestellt werden, wurde feurig debattiert. Die zugeschalteten EU-Kommissions-Vertreterin Renate Nikolay, stellvertretende Generaldirektorin der DG CONNECT, bekam viel Kritik zu hören, besonders am noch nicht beschlossenen Europäischen Medienfreiheitsgesetz (European Media Freedom Act/EMFA). Schon zu Beginn der Veranstaltung hatte Rudi Hoogvliet, baden-württembergischer Staatssekretär für Medienpolitik, gefordert, dass der EMFA die "zum Glück ... bewährte und staatsfern ausgestaltete Regulierung" in Deutschland nicht beschädigen dürfe. Die EU-Kommission habe sich "vergaloppiert", klagte Schmid dann auf dem Podium. In Form der ERGA (European Regulators Group for Audiovisual Media Services) gebe es längst eine funktionierende grenzüberschreitende Zusammenarbeit von 27 unabhängigen nationalen Medien-Regulierungsbehörden. Durch den EMFA werde dieses Board der EU-Kommission untergeordnet. Mit der derzeit zuständigen EU-Kommissarin Vera Jourova gebe es da sicher kaum Probleme, doch könne niemand vorhersehen, wer in künftigen Kommissionen die Zuständigkeiten erhält. Der ebenfalls zugeschaltete Chef der schleswig-holsteinischen Staatskanzlei, Dirk Schrödter, warf der EU-Kommission vor, "gleich die große Keule der Verordnung" herausgeholt zu haben. (vgl. MD 11/23) Nikolay ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Auf die ERGA werde gebaut, doch solle sie einen "Qualitätssprung" machen. Der EMFA stehe am "Anfang eines interinstitutionellen Prozesses", schon manche Änderungsvorschläge seien aufgenommen worden. Es gehe um im Rechtsstaatlichkeitsbericht konkret beschriebene "Verwerfungen" in einzelnen EU-Mitgliedsstaaten wie Polen und Ungarn, etwa was angemessene Ausstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Medienkonzentration betreffe. Doch könne der Ansatz der EU nicht sein, nur in wenigen Ländern aktiv zu werden, sondern "gewisse Mindestprinzipien europarechtlich zu verankern". Deutschland aber müsse sich "keine Sorgen machen, dass sich irgendwas ändern müsste", sagte Nikolay ausdrücklich zum EMFA. Der DSA, dessen Umsetzung auf EU-Ebene längst laufe, werden in puncto faire Plattformökonomie "Referenzpunkte für die Welt" setzen. Am Rande bemerkte Nikolay, dass durch den DSA das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) obsolet werde. Mit solchen Frage befasste sich der in Luxemburg lehrende Medienrechtler Mark Cole, der auch Mitglied des achtköpfigen "Zukunftsrats" zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland ist. Für die zahlreichen Gesetze und Richtlinien im Bereich digitaler Medien entstehe durch den DSA "teilweise kleiner, teilweise großer Anpassungsbedarf", sagte er, doch sei ein "Erhalt der deutschen Medienrechtsordnung in bedeutsamen Umfang möglich". Zuvor hatte Christoph Möllers, Staatsrechtler von der Berliner Humboldt-Universität, in einem launigen Vortrag angemerkt, dass Diskussionen darüber, was die EU mit ihrer Binnenmarktkompetenz regeln dürfe und was nicht, in Deutschland über Jahrzehnte hinweg "schon hundertmal", aber selten mit Erfolg geführt worden seien. Andere EU-Staaten verstünden den deutschen "technokratischen Konsens", immer in solchen Kompetenzen zu denken, gar nicht. Die Landesmedienanstalten witterten nun Probleme, weil die EU "starken Vereinheitlichungsdruck" auf sie ausübe, doch das sei kein juristisches Problem. Die Medienanstalten müssten für den EMFA "eine institutionelle Strategie, die Vorschläge macht statt sie abzuwehren", entwickeln, forderte er. Sinnvoll sei das schon deshalb, weil "eine undemokratische Öffentlichkeit etwa in Ungarn" sich schon jetzt in Deutschland wie in allen EU-Staaten auswirken könne, da Ungarn auf EU-Ebene und in der EU-Kommission mitentscheidet. Für die zweite Runde des Symposiums zog die DLM den Rahmen weiter auf. Da saß auch der umtriebige ARD-Vorsitzende Kai Gniffke auf dem Podium - obwohl die Landesmedienanstalten ausdrücklich nicht für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, sondern nur für private Sender zuständig sind. Bert Habets hatte seinen ersten öffentlichen Auftritt als Vorstandsvorsitzender der ProSiebenSat.1 Media SE (P7S1). Der Niederländer, der seinen Vortrag auf Deutsch hielt und später auf Englisch mitdiskutierte, nahm das vom DLM-Vorsitzenden (und Präsidenten der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg) Wolfgang Kreißig ins Spiel gebrachte Stichwort "Duales System" gerne auf. Private und Öffentlich-Rechtliche müssten zur Stärkung der Demokratie zusammen "gegen die Flut der Desinformationen" vorgehen, forderte Habets und rief dazu auf, gemeinsam eine "branchenverbindende Streaming-Plattform" zu etablieren, der "die Menschen vertrauen können". Ein Grundstein dafür sei gelegt, weil P7S1 die Plattform "Joyn" inzwischen vollständig übernommen hat. Bei seiner Einladung ging Habets ein wenig darüber hinweg, dass P7S1 schon zum Start des zunächst gemeinsam mit dem US-Konzern Discovery betriebenen "Joyn" 2019 andere Sender, öffentlich-rechtliche wie private, eingeladen hatte. Da waren zwar die Öffentlich-Rechtlichen bedingt drauf eingestiegen (und sind etwa im Livestream auf joyn.de weiter zu sehen). Doch beim Streamen auf Abruf setzten alle Senderfamilien lieber auf eigene Plattformen. Nun allerdings ging Gniffke begeistert darauf ein. Da habe Habets "richtig einen rausgetan", sagte er und konstatierte mit Recht, dass das deutsche duale Rundfunksystem durch "gigantische Multis" wie Netflix und Disney "aus den Fugen, in ein extremes Ungleichgewicht" gerate (vgl. Gniffke-Interview MD 11/23). Um den deutschen Medienmarkt nicht allein "einer Handvoll Konzerne zu überlassen, die nach Spielregeln spielen, die nicht unsere sind", sondern teilweise "demokratiefeindlich" seien, sprach sich Gniffke für ein "Ökosystem deutschsprachiger Anbieter" aus, das die "Weltklasse-Medienlandschaft", die es in Deutschland noch gebe, bewahren könne. Ob die ARD sich tatsächlich stärker auf der Plattform der börsennotierten, teilweise im Besitz des Berlusconi-Konzerns befindlichen P7S1 engagieren wollen könnte, führte er nicht aus. Für Spannungen auf diesem Podium sorgten zwei nebeneinander platzierte Vertreter der Medienpolitik. Die rheinland-pfälzische Staatssekretärin und Koordinatorin der Länder-Rundfunkpolitik, Heike Raab, sprach außer von "großer Dynamik" in der Medienpolitik auch von der "tollen Möglichkeit" einer deutschen Privatsender-Plattform von P7S1 und RTL - ohne aber zu erwähnen, dass ähnliche Ideen in Deutschland 2011 und in Nachbarstaaten erst vor kurzem am Kartellrecht scheiterten. Zudem brachte Raab wiederholt die Zeitungsverlage ins Spiel - offenkundig, weil Pläne der Bundesregierung, Presseverlage bei der Zustellung oder bei der Digitalisierung zu unterstützen, seit 2020 unbearbeitet in Schubladen liegen. Neben Raab saß Benjamin Brake, Leiter der Abteilung Digital- und Datenpolitik im Bundesministerium für Digitales und Verkehr. Der bemühte sich, den Ball flach zu halten. "Vielleicht ist der DSA viel besser, als er hier dargestellt wird", sagte er und riet, künftige Auswirkungen des neuen Gesetzes abzuwarten. Brake erinnerte zudem an die im Titel der Veranstaltung genannte "Staatsferne". Daher sollte die Politik sich in Medienfragen zurückhalten. Was für Pläne Brakes Digitalpolitik-Abteilung überhaupt verfolgt, blieb allerdings unklar. Zutage traten dafür Nickeligkeiten zwischen Bund Ländern, und wohl auch zwischen Parteien: Raab gehört der SPD an, Brake arbeitet im Ministerium des derzeit oft kritisierten FDP-Politikers Volker Wissing. Sabine Frank, bei Googles Videoportal YouTube unter anderem für "Governmental Affairs" in Zentral- und Osteuropa zuständig, riet auf demselben Podium, auf "konsistente und kohärente Regulierung" zu achten. Der DSA sei "viel größer als das NetzDG jemals war" und betreffe viel mehr Anbieter, was vielen noch gar nicht bewusst sei. Konkurrenz durch neue Plattformen fürchte der Marktführer YouTube nicht. "Wir sind schon da, wo Ihr Zielpublikum ist", sagte sie in Kai Gniffkes Richtung. Fazit: Es gab viel brisanten Diskussionsstoff, der den großen Rahmen, in dem private und öffentlich-rechtliche Sender sowie Medienpolitiker und Behörden-Vertreter unterschiedlicher Ebenen miteinander diskutierten, gut ausfüllte. DLM-Chef Kreißig zeigte sich mit der "ausgebuchten" Veranstaltung zufrieden. Ob das Zusammenspiel der föderalistischen Medienanstalten mit ihren lange eingespielten Mechanismen, eines von der Bundesregierung bestimmten DSA-Koordinators (womöglich in Gestalt des selbstbewussten Netzagentur-Chefs Müller) und der auf andere Weise föderalistischen EU, die gerne hohe Ambitionen ausformuliert, ohne dass die EU-Kommission im engeren Sinne als staatsfern oder demokratisch legitimiert gelten kann, die Medienpolitik voranbringt oder wenigstens reibungslos verläuft, wird in den kommenden Monaten spannend zu beobachten sein.

Lesen Sie weiter auf www.KNA-News.de