"Krass getrennte Welten" - Schauspielerin Annalisa Weyel über Gehörlosigkeit im TV und Gesellschaft

Von Angelika Prauß (KNA)

MEDIENETHIK - Im ARD-Krimi "Blind ermittelt: Tod an der Donau" spielt Annalisa Weyel eine gehörlose junge Zeugin. Die 22-Jährige beherrscht durch ihre gehörlosen Eltern perfekt die deutsche Gebärdensprache und bringt diese Menschen auch über Soziale Medien näher. Im Interview spricht sie über Gehörlose im TV.

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Annalisa Weyel

Foto: Jessica Schäfer/KNA

Bonn (KNA) Der Wien-Krimi "Blind ermittelt: Tod an der Donau" mit Annalisa Weyel läuft am 11. Mai im Ersten Programm. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht Weyel über fehlende Sensibilität gegenüber gehörlosen Menschen im Alltag und Medien und die "sehr besondere Art aufzuwachsen". KNA: Frau Weyel, in "Blind ermittelt" spielen Sie eine gehörlose junge Frau. Ist es das erste Mal, dass Sie so eine Rolle spielen? Weyel: Ja, ich durfte das erste Mal die Gebärdensprache in dieser Form am Filmset benutzen. Es war eine Herausforderung, mit der auch eine gewisse Schwierigkeit und Verantwortung einherging, weil ich eine Coda (Child of Deaf Adults) und eben nicht gehörlos bin. Deshalb war ich im Vorfeld intensiv im Austausch mit gehörlosen Personen. KNA: Was war die besondere schauspielerische Herausforderung? Schließlich sind Sie durch ihre gehörlosen Eltern in dieser Lebenswelt aufgewachsen... Weyel: Die Gebärdensprache ist wirklich meine Muttersprache, und ich bin ganz selbstverständlich in der Gehörlosenkultur aufgewachsen. Das ist mir viel näher als die Lautsprache und die Kultur der Hörenden. Trotzdem hätte eine gehörlose Schauspielerin die Rolle sicher anders gefüllt, und ich bin in jedem Fall dafür, dass alle gehörlose Rollen von gehörlosen Schauspieler*innen gespielt werden sollten. KNA: Gibt es denn überhaupt gehörlose Schauspieler im Fernsehen? Weyer: Sogar ziemlich viele, in Deutschland aber noch vergleichsweise wenig. In der Schauspielwelt und Film- und Fernsehlandschaft kommen taube Schauspieler*innen hierzulande einfach sehr schwer an Jobs. Und natürlich werden auch weniger taube Rollen geschrieben. Damit gibt an es dann auch weniger Arbeitsmöglichkeiten für sie. Zudem nehmen die meisten deutschen Schauspielschulen gar keine Gehörlosen an. Dieses und viele weitere strukturelle Probleme führen leider dazu, dass gehörlose Rollen oft nicht von gehörlosen Schauspieler*innen gespielt werden. Die Möglichkeit, für Caster*innen gezielt nach Schauspieler*innen mit Behinderungen zu suchen, gibt es dank der Datenbank Filmmakers erst seit kurzem. Da bewegt sich zum Glück etwas. KNA: Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen werden Beiträge oftmals mit Untertiteln für gehörlose Menschen versehen. In Spielfilm oder Dokumentation kommen gehörlose Menschen - schätzungsweise 100.000 in Deutschland - aber nur sehr selten vor. Wie kann man das ändern? Weyel: Ich wünsche mir mehr Sichtbarkeit. In den Produktionsbüros und Vorständen sitzen nur sehr wenige Menschen mit Behinderungen. Deshalb kommen ihre Geschichten selten in die Drehbücher und in Vorschläge für Dokumentationen, Filme oder Serien. Wenn mehr Menschen mit Behinderung Drehbücher schreiben, entstehen auch mehr authentische Geschichten. Nicht gehörlose Menschen haben oft überhaupt keine Ahnung von der Welt der Menschen, die in ihren Geschichten vorkommen. KNA: Sie tragen auch zu mehr Sichtbarkeit bei: Über Instagram und TikTok haben Sie inzwischen über 35.000 Menschen die Gebärdensprache nähergebracht und geben auch Workshops. Wie kam es dazu? Weyel: Ich hatte schon als Kind eine gewisse Wut auf hörende Menschen bekommen und war frustriert, dass sie sich nicht mit dem Thema befassen und keine Gebärdensprache lernen. Irgendwann habe ich gemerkt: Das liegt nicht am Desinteresse, sondern daran, dass sie einfach gar keine Berührungspunkte mit Gehörlosen haben, und dass das so krass getrennte Welten sind. Nach meinem Abitur, zu Beginn der Corona-Zeit, wollte ich dagegen etwas machen. Ich habe dann zusammen mit meinen Eltern einen kostenlosen Workshop - ein Sensibilisierungskonzept - entwickelt. Darin laden wir Menschen ein, ein bisschen in diese Welt reinzukommen, gehörlose Menschen kennenzulernen und zu schauen, wie man sich verständigen kann. KNA: Das klingt spannend... Weyel: Es ging viel weniger um einen kompletten Gebärdensprachkurs, sondern eher darum, einen Berührungspunkt zu dem Thema herzustellen. Wenn man den findet, entwickeln viele ganz von selbst ein Interesse daran, die Sprache zu lernen und in die Welt der Gehörlosen einzutauchen. Über die Sozialen Medien kann ich so unglaublich viele Menschen erreichen. KNA: Was kann denn jeder im Umgang mit Gehörlosen oder schwerhörigen Menschen im Alltag tun? Weyel: Es ist vor allem wichtig, keine Berührungsängste zu haben. Unterwegs mit meinen Eltern erlebe ich immer wieder ähnliche Situationen: Eine Person fragt meine Mama nach der Uhrzeit. Dann merkt die Person, dass sie gehörlos ist und geht oft direkt auf Abstand. Das finde ich sehr schade. Ich wünsche mir, dass Hörende Interesse zeigen und auch keine Ängste haben, in die Kommunikation zu gehen. Denn es gibt so viele Wege: Man kann Dinge aufschreiben oder versuchen, viel mit Gestik und Mimik zu sprechen. Auch über das Handy kann man mittlerweile viel machen, etwa einen Text einsprechen, der dann in einen Text umgewandelt wird. KNA: Wie war das überhaupt für Sie, als Kind gehörloser Eltern aufzuwachsen? Haben Sie eine Kindheit in Stille verbracht? Weyel: Still ist es bei uns zu Hause auf jeden Fall nie gewesen. Gehörlose Menschen machen ja auch Geräusche, nur hören sie die meistens nicht. Deswegen werden auch mal Türen geknallt und Schubladen zugeschmissen. Es wird sehr laut gelacht, also es ist nie leise. Viele gehörlose Menschen, auch meine Eltern, benutzen teilweise ihre Stimme. Gehörlos zu sein heißt also nicht, stumm zu sein. Für mich war es eine sehr besondere Art aufzuwachsen. KNA: War das als Kind nicht manchmal auch belastend, weil Sie hören konnten und für die Eltern Alltagsdinge regeln mussten? Weyel: Ich habe auf jeden Fall gemerkt, dass unsere Gesellschaft eher behindertenfeindlich ist und behinderte Menschen auf vielen Ebenen diskriminiert werden. Für meinen Abiball zum Beispiel hat die Schule aus Kostengründen keine Gebärdendolmetscherin genehmigt. Ich musste das dann irgendwie selbst organisieren mit meinen Eltern. Das war total stressig, und solche Situationen gab es unendlich viele. Hörende Menschen setzen bei mir einfach voraus, dass ich für meine Eltern dolmetsche. Wenn wir beispielsweise im Restaurant sind, werden nicht meine Eltern nach ihren Wünschen gefragt, sondern ich. Das ist immer so ein bisschen eine Verschiebung der Verantwortung, ich musste früher erwachsen werden. KNA: Aber Sie haben auch viel fürs Leben gelernt... Weyel: Unbedingt, ich sehe es als totale Bereicherung, dass ich mit der Gebärdensprache und in der Gehörlosenkultur aufwachsen konnte und die Kultur der Gehörlosen kennenlernen durfte, die ja sehr visuell ist. Das ist einfach eine ganz andere Welt. Damit bin ich auch mit einem sensibilisierten Bewusstsein - sowohl für Behinderungen als auch für verschiedene Lebenswelten und Sprachen - aufgewachsen. Das hat mir sehr viel gegeben, und ich finde das schön. KNA: Sie sprechen die deutsche Gebärdensprache. Wohl die wenigsten wissen, dass die Gebärdensprache in anderen Ländern ganz anders aussieht. Wie kommt das? Weyel: Wie auch die Lautsprachen sind sie ganz unterschiedlich. Die Gebärdensprachen sind sogar noch vor den Lautsprachen entstanden und alle auch an unterschiedlichen Orten, deshalb sind sie genauso verschieden aufgebaut wie die Lautsprache. Sie haben eine eigene Grammatik und Vokabeln. Und es gibt sogar Gebärdendialekte. Ich bin in Hessen aufgewachsen, da haben wir einen eigenen Gebärdendialekt; bei einem Theaterprojekt in Berlin mit gehörlosen Schauspielern habe ich auch den dortigen Dialekt kennengelernt. Andererseits sind Gebärdensprachen untereinander schon etwas ähnlicher als die Lautsprachen; es ist also einfacher, sich zu verständigen. Wir hatten letztes Jahr Besuch aus Südkorea. Ich konnte mich mit den Menschen schon unterhalten, auch wenn ich mich mehr konzentrieren musste. Aber es hat geklappt. Bei der Lautsprache würde ich dagegen niemanden verstehen. Da ist es schon von Vorteil, wenn man die Gebärdensprache kann.

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