"Milk Snatcher" und "Iron Lady" - Arte-Doku über Thatcher lässt sich auch als Warnung verstehen

Von Katharina Dockhorn (KNA)

FERNSEHEN - Margaret Thatcher machte Großbritannien zum Versuchslabor neoliberaler Wirtschaftspolitik. An den sozialen Folgen leidet das Land bis heute, wie eine Arte-Dokumentation zeigt. Der Film zieht zudem Parallelen zu anderen Ländern.

| KNA Mediendienst

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"Die Thatcher-Jahre"

Foto: Peter Jordan/Alamy Stock Photo/ARTE F/KNA

Straßburg (KNA) Selbst ihr Tod am 4. April 2013 spaltete die Briten: Die einen wollten Margaret Thatcher, der ersten Frau an der Spitze der Regierung des Vereinigen Königreiches, ein würdiges Staatsbegräbnis ausrichten. Die anderen versammelten sich zu spontanen Freudenfeiern und münzten das Lied "Die Hexe muss sterben" aus "Der Zauberer von Oz" auf die ungeliebte Politikerin um. Für die Demonstrierenden bleibt sie der "Milk Snatcher" (Milchdieb). Als Bildungsministerin strich sie britischen Kindern 1970 die kostenlose Milch - ein Vorgeschmack auf ihre neoliberale Politik in ihrer Amtszeit von 1979 bis 1990. Der Welt bleibt sie als "Iron Lady" (Eiserne Lady) in Erinnerung. Den Spitznamen verpasste der bekennenden Antikommunistin eine sowjetische Armeezeitung. Aber er gefiel ihr. Mit solch kleinen Anekdoten würzt Regisseur und Autor Guillaume Podrovnik seine 92-minütige Dokumentation "Die Thatcher-Jahre". Arte strahlt sie zu ihrem zehnten Todestag etwas verspätet am 13. Juni um 20.15 Uhr aus. Der Film folgt Thatcher von der Kindheit bis zum erzwungenen Abschied von der Politik nach der Rebellion der eigenen Partei. In den knapp zwölf Jahren im Amt prägte sie die europäische Politik des späten 20. Jahrhunderts wie kaum eine andere Persönlichkeit. Sie gab sich als sparsame, volksnahe Hausfrau und kleinbürgerliche Krämerstochter. Zugleich leitete sie aber den Abschied vom europäischen Sozialstaat und den Siegeszug der neoliberalen Wirtschaftstheorien ein. Thatcher übernahm ein Land, das 1976 nur durch einen Kredit des IWF am Staatsbankrott vorbei geschlittert war. Die Briten sehnten sich nach einem starken Mann, der ihr Land zu alter Blüte zurückführt. Und bekamen eine Frau, die dies ernst meinte. Vor ihrer Wahl versprach sie auch, die Immigration einzudämmen. Zehn Jahre später gehörte sie zu den Vordenkern des Brexit. Thatcher, die 1980 in US-Präsident Ronald Reagan einen Verbündeten fand, machte Großbritannien zum Versuchslabor neoliberaler Wirtschaftstheorien ohne soziale Abfederung. Rücksichtslos baute sie die Industrie- zur Wissensgesellschaft um. Widerstand erstickte sie mit eiserner Hand; ein besonderer Dorn im Auge waren für sie die Gewerkschaften. Während des einjährigen Streiks der Bergarbeiter gegen Grubenschließungen 1984/85, der von vielen Frauen aus dem ganzen Land unterstützt wurde, bezeichnete sie die Organisation der Arbeiter als "den Feind im Inneren". Die Streikenden konnten keine ihrer Forderungen durchsetzen, auch weil die Regierung sich einmischte. Ihre Rezepte wurden zur Blaupause der Politiker in vielen Ländern, das ist in der Dokumentation unübersehbar. Sei es bei großen Entscheidungen wie dem Degrowth - also der bewussten Abkehr vom Wirtschaftswachstum - ganzer Industriezweige oder der Verstaatlichung von Unternehmen und Betrieben. Oder in Details wie der Illusion des Siegeszugs von Volksaktien der einst staatlichen Telefongesellschaften in Großbritannien und Deutschland. Die Dokumentation macht 15 Jahre britische Geschichte mit zahlreichen Archivaufnahmen, der Musik der Ära und vielen Zeitzeugen lebendig. Die genaue Analyse ökonomischer und gesellschaftlicher Prozesse wird allgemeinverständlich dargestellt. Historiker, Experten und Prominente wie der Filmregisseur Ken Loach, einer der vehementesten Kritiker ihrer Politik, ordnen die Rolle der Eisernen Lady ein. Sie habe die Gier etabliert, sagt Loach - und dürfte damit Millionen Briten aus der Seele sprechen. Andere Experten halten dagegen, dass Millionen Babyboomer und die Generation X vom Wandel zur Wissensgesellschaft profitiert haben. Die nicht zu übersehenden Parallelen zur Politik in vielen Ländern lassen sich auch als Warnung betrachten. In Großbritannien wächst die Armut, spaltet sich die Gesellschaft zunehmend in Arm und Reich. Das zeigt sich auch im Verfall ganzer Städte oder Stadtteile, die nur wenige Meter von Hochglanzpalästen entfernt liegen.

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