Bonn (KNA) Journalismus nützt der Gesellschaft. Das ist ziemlich unumstritten. Warum also ihn nicht als gemeinnützigen Zweck in der Abgabenordnung verankern? Die Idee klingt einleuchtend und dreht mit dem Argument, dass unscheinbare ältere Hobbys wie der Modellbau oder der Amateurfunk den Status längst schon genießen, seit November 2019 ihre Runden durch interessierte Fachmedien. Damals wurde das Forum Gemeinnütziger Journalismus (FGJ) gegründet, das von einst 16 auf inzwischen 35 Mitglieder angewachsen ist. Was würde die Umsetzung der Idee bedeuten? Anerkannt gemeinnütziger Journalismus wäre körperschaftsteuerbefreit. Spenden an entsprechende Projekte wären steuerlich abzugsfähig. Die mehr als 20.000 Stiftungen in Deutschland, die gemeinnützige Zwecke verfolgen, könnten mit ihrem Milliardenkapital Journalismus direkt fördern. Und neue Stiftungen mit Journalismus als Satzungszweck zu gründen, würde einfacher. Und tatsächlich enthält der Ende 2021 geschlossene Koalitionsvertrag der Ampel-Bundesregierung mit der konstruktiven Überschrift "Mehr Fortschritt wagen" weit unten, in Zeile 4.128, die Ankündigung: "Wir schaffen Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus." Eine Änderung des Paragrafen 52 der Abgabenordnung wäre eine bundespolitische Entscheidung, auch wenn nach der Bundestagsabstimmung eine Zustimmung des Bundesrats erforderlich wird. "Gemeinnütziger Journalismus wird bundesweit kommen", schrieb David Schraven, einer der FGJ-Vorsitzenden und im Hauptberuf Geschäftsführer des Recherchenetzwerks Correctiv. Allerdings fand eine Anfang Juni vom FGJ angekündigte Konferenz zum Thema kurzfristig nicht statt, da die Staatsministerin für Kultur und Medien (BKM), die Grünen-Politikerin Claudia Roth, ihre Teilnahme abgesagt hatte. "Insgesamt wäre der wichtige Dialog mit Regierungsvertreter*innen kaum zustande gekommen", klagte das Forum. Wie steht es also mit dem Plan? Schraven geht davon aus, dass das Kanzleramt Vorlagen erarbeitet hat und darüber demnächst konkret diskutiert wird. "Gemeinnütziger Journalismus als ein weiterer Baustein in der Absicherung von Medienvielfalt ist ein Thema, das innerhalb der Bundesregierung auch mit Blick auf die Aussagen des Koalitionsvertrages diskutiert wird", teilt eine Pressesprecherin der BKM dem KNA-Mediendienst eher zurückhaltend mit. Allerdings sei "der Meinungsbildungsprozess ... noch nicht abgeschlossen", und für die Anerkennung der Gemeinnützigkeit sei "die Abgabeordnung das zentrale Gesetz", ergo das Bundesfinanzministerium (BMF) zuständig. "Dieses Vorhaben liegt federführend im Finanzministerium beziehungsweise im Finanzausschuss des Bundestages", bestätigt Erhard Grundl, medienpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Er erwartet vom BMF "einen baldigen Formulierungsvorschlag" dazu. Die Abgabenordnung solle bis Ende des Jahres geändert werden. "Das Thema Gemeinnütziger Journalismus steht grundsätzlich noch am Anfang der notwendigen Beratungen", sagt hingegen der medienpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Thomas Hacker, und möchte "einer ergebnisoffenen Diskussion in allen tangierten Bereichen ... nicht vorgreifen." Bekanntlich führt FDP-Chef Christian Lindner das BMF. Schon weil mit BKM und BMF gleich zwei Häuser beteiligt seien, sei das Thema "noch nicht akut in der Pipeline", sagt auch Helge Lindh, medienpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Eine Debatte dazu werde es aber geben: Gemeinnütziger Journalismus dürfe "nicht romantisiert und nicht dämonisiert" werden, sagt Lindh. Doch gerade laufen ja noch die Diskussionen über das ebenfalls schwierige Thema der geplanten Zustellförderung für Presseverlage an. Den ebenfalls schon lange in unterschiedlichen Ausprägungen ventilierten Plan einer Zustell- oder auch Digitalisierungsförderung in Höhe von bis zu 220 Millionen Euro hatte die bis 2021 regierende große Koalition von Union und SPD über mehrere Jahre angekündigt. Nach kontroversen Diskussionen wurde er nicht mehr realisiert. In der Ampel landete das Thema, da Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck sein Ministerium nicht mehr zuständig sieht, bei Kultur- und Medienstaatsministerin Claudia Roth. Auch Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD) ließ kürzlich durchblicken, dass dazu "sehr intensive Gesprächen mit den Verlegern" laufen, allerdings noch Probleme wie das der Staatsferne zu lösen seien (vgl. MD 23/23). Auf dieses Gesetz drängt auch der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV). Von der Idee, Journalismus für gemeinnützig zu erklären, hält er dagegen nichts. Wer nachfragt, bekommt eine Menge scharfe Argumente zu hören: Schon die Etablierung eines "Zwei-Klassen-Journalismus: Hier der gewinnorientierte Journalismus dort jener, der mit staatlichem Siegel gemeinnützig agiert", sei "eine Diskriminierung". Die Steuervorteile und auch "die aus der Gemeinnützigkeit hervorgehende Notwendigkeit, keine Gewinne zu erzielen", griffen "medienvielfaltsgefährdend" in den Markt des privatwirtschaftlichen Journalismus ein. Überdies würde mit der Gemeinnützigkeit "gerade jener Journalismus begünstigt, bei dem eine größere Abhängigkeit von Einzelnen besteht", etwa von Großspendern. Dass Teile der Verlage Wettbewerbsverzerrung befürchten, weiß David Schraven. "Die Gefahr sehen wir aber nicht." Schließlich greife das Gemeinnützigkeitsrecht nur da, wo "der Markt versagt", also etwa in Regionen, aus denen Presseverlage sich mangels Gewinnerwartung zurückziehen. Da könne gemeinnütziger Journalismus sogar für Angebote von Verlagen, die anderswo weiterhin gewinnorientiert arbeiten, eine Option sein, argumentiert der FGJ-Vorsitzende. Es wäre eine "verkürzte Wahrnehmung", privatwirtschaftlichen und gemeinnützigen Journalismus nur als Konkurrenz zu sehen, sagt auch SPD-Medienpolitiker Lindh und verweist auf schon bestehende Rechercheverbünde zwischen Verlagen und gemeinnützigen Organisationen wie eben Correctiv. Auch Grünen-Politiker Grundl hält es für wichtig, "journalistische Modelle zu fördern, die dort ein Informationsangebot bieten, wo sich kein gewinnorientiertes Geschäftsmodell trägt - beispielsweise im Investigativ- oder grenzüberschreitenden Journalismus". Das FGJ formuliert in seinem Internetauftritt forum-gemeinnuetziger-journalismus.de 18 Argumente für Gemeinnützigkeit, die sich auf Regelwerke wie den Kodex des Deutschen Presserates und die Kriterien der Transparency-International-Initiative "Transparente Zivilgesellschaft" berufen. Zu den Mitgliedern des Forums zählen bekannte Beispiele für gemeinnützigen Journalismus, die längst wirkmächtig arbeiten: das inzwischen auch mit Lokalzeitungen vernetzte Recherchebüro Correctiv, die "Kontext-Wochenzeitung" aus Stuttgart, das Onlineportal finanztip.de und netzpolitik.org. Der Blog kann als Leitmedium für alle digital- oder eben netzpolitischen Fragen gelten, die die gesellschaftliche Entwicklung offensichtlich massiv bestimmen - bloß in der deutschen Politik auf Bundes- wie Länderebene in ganz unterschiedlichen Ressorts gebündelt sind. Als Belege dafür, dass es gar keiner Veränderungen bedarf, können die Genannten freilich nicht gelten. Ihre anerkannte Gemeinnützigkeit erreichten sie nur über "Umwege", nämlich Förderzwecke wie "Bildung" im Fall von Correctiv oder "Verbraucherschutz" (netzpolitik.org, finanztip.de). Daher rührt das im Kontext oft auftauchende Argument der Rechtssicherheit: Solange die Abgabenordnung "Förderung des Journalismus" nicht ausdrücklich unter den gemeinnützigen Zwecken nennt, können Finanzämter Projekten den Gemeinnützigkeitsstatus zu-, aber auch wieder aberkennen. Bei bekannten Stiftungen, die teilweise journalistische Projekte fördern, wie die taz Panter Stiftung und die Rudolf Augstein Stiftung, verhält es sich ähnlich kompliziert. Die Augstein-Stiftung etwa betont ausdrücklich, dass sie "die Produktion journalistischer Inhalte" nicht fördert. Bei einzelnen Recherchen profitiert dagegen der "Spiegel" von Stiftungsfinanzierung, wie dann jeweils transparent offengelegt wird. Beispielsweise durch die Bill & Melinda Gates Foundation - was dem Magazin außer Geld auch Kritik und die Frage beschert, ob es denn sonst noch kritisch über die Gates' und ihre Unternehmen berichten kann. Also muss und wird eine Diskussion, ob Journalismus als gemeinnützig anerkannt werden soll, und wenn ja, welcher (und welcher nicht), größere Kontroversen auslösen. Die Frage, wie gemeinnütziger Journalismus sich zum öffentlich-rechtliche Rundfunk, der ja gerne den diffusen Anglizismus "Public Value" verwendet, wäre ein weiterer Aspekt. Die ältere Idee, dass Teile der Rundfunkbeitragseinnahmen in gemeinwohlorientierte Angebote, die außerhalb der schwerfälligen Anstalten entstehen, fließen könnten, dürfte wieder auftauchen. Und dann wäre da noch die angesichts von Populismus und Aktivismus aller Couleur drängende Frage, wo genau Gemeinnützigkeit anfängt und endet. "Auch heute schon können Populisten gemeinnützige Organisationen für ihre Propaganda-Zwecke gründen. Und sie tun das auch", antwortet das FGJ in seinem Internetauftritt und nennt das Beispiel der Webseite journalistenwatch.com, die zeitweise als gemeinnützig galt, bis ihr das Attribut wegen "Verbreitung von 'Fake News'" wieder entzogen wurde. Tatsächlich muss die Gesellschaft mit Populismus, dessen Grenzen alles andere als scharf definiert sind (und der alle legalen Mittel in Anspruch nimmt, solange ihm das möglich ist), ja sowieso umgehen. Fazit: Es gibt viele gute Argumente, sowohl dafür, Journalismus als potenziell gemeinnützig einzustufen, als auch dafür, vorsichtig vorzugehen und mögliche Folgen auf den vielfältig unter Druck stehenden Journalismus abzuwägen. Es wäre höchste Zeit, mit dem Austausch dieser Argumente über den eher kleinen Kreis der bisher Eingeweihten hinaus zu beginnen. Immerhin, bei der Netzwerk-Recherche-Konferenz am kommenden Wochenende wird neben anderen Themen auch darüber diskutiert, etwa unter der neckischen Überschrift "Wer hat Angst vor dem gemeinnützigen Journalismus?" - allerdings mal wieder ohne Beteiligung der Politik.