Sind Fotos noch, was sie waren? Film über Fotojournalistin Anja Niedringhaus wirft wichtige Fragen auf

Von Christian Bartels (KNA)

FERNSEHEN - Der ZDF-Spielfilm "Die Bilderkriegerin" über die vor neun Jahren in Afghanistan erschossene Fotojournalistin Anja Niedringhaus ist nicht unbedingt großes Kino. Er bietet aber allen, die sich für Medien interessieren, produktive Denkanstöße.

| KNA Mediendienst

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"Die Bilderkriegerin - Anja Niedringhaus"

Foto: Ishka Michocka/ZDF/KNA

Berlin (KNA) Gleich das zweite Bild nimmt das Ende vorweg. Da wird in ein Auto hinein geschossen, mit tödlichem Ausgang. Das ZDF porträtiert mit "Die Bilderkriegerin" die spätestens 2005 als Pulitzer-Preisträgerin berühmt gewordene, 2014 in Afghanistan ermordete deutsche Fotojournalistin Anja Niedringhaus. Als Dokudrama bezeichnet, besteht der Neunzigminüter zu mehr als zwei Dritteln aus inszenierten Spielszenen. Die kommen oft in Innenräumen leicht kammerspielartig, aber auch als aufwendig produzierte Straßenkriegsmomente daher. Nach einem kaum beachteten Kinostart im Mai 2022 erlebt die Regina-Ziegler-Produktion nun im ZDF (am 25. Juli um 22.15 Uhr) und in der ZDF-Mediathek (ab dem 23. Juli für 30 Tage) ihre eigentliche Premiere. Über manches an der Machart lässt sich hier streiten - aber produktiv. Gerade für Medienmenschen lohnt sich das genaue Hinsehen, weil der Film Anlass, aber auch Raum bietet, darüber nachzudenken, ob diese Form hier die richtige ist. Oder auch darüber, wie sich die Fotografie, die Medien und Weltlage seit Niedringhaus' Schaffenszeit verändert haben. Die Handlung beginnt 1991 bei der EPA (European Pressphoto Agency) in Frankfurt am Main. Ein "Krieg mitten in Europa, unvorstellbar", sagt Niedringhaus (Antje Traue). Das gilt da noch den Kämpfen im zerfallenden Jugoslawien. "Krieg ist was für Männer", sagt ihr Redaktionsleiter, doch die junge Fotografin setzt sich durch. "Ich will den Krieg beenden, mit meinen Fotos, wie damals in Vietnam", sagt sie, nachdem sie den ersten Schock über die lebensgefährlichen Umstände in Sarajewo überwunden hat. Solche eher arg plakativen Sätze fallen immer wieder. Auch das wiederholte "Ich steh irgendwie neben mir" der Niedringhaus-Darstellerin Traue und ihre ausgeprägte Mimik erinnern ans übliche ZDF-Fernsehen, das auf stets gut erkennbare Emotion setzt. Um die politischen Hintergründe geht es praktisch nie. Dafür setzt das ZDF, das sein Publikum lieber unter- als herausfordert, in der Spielhandlung andere Duftmarken. Da sind viele Szenen fürs Fernsehen bemerkenswert dunkel gefilmt. Gleich fällt ein Rot-Ton umso mehr auf - beim Entwickeln, schließlich wurde in den 1990ern noch analog fotografiert. Die Fotos können einem bekannt vorkommen. Einst tatsächlich von Niedringhaus aufgenommene Bilder werden zu einer Richtschnur für die Filmhandlung, die dann an aufwendig nachgestellten Straßenkriegsschauplätzen weitergeht, sobald Niedringhaus' Karriere Fahrt aufnimmt. Sie zählte zu den "führenden Fotojournalisten ihrer Generation", sagt ihr als Zeitzeuge befragter ehemaliger AP-Fotochef Santiago Lyon. Viereinhalb Jahre Berichterstattung aus dem Bosnienkrieg hätten dazu beigetragen, die Regierungschefs der USA und Großbritanniens, Bill Clinton und Tony Blair, schließlich zum Eingreifen zu bewegen. Die epochale Zäsur der Anschläge in New York 2001 führt näher an die Gegenwart, und im Film die Protagonistin zunächst in den Irak, dann nach Afghanistan. In einer umkämpften Ruine im Irakkrieg ist die Fotojournalistin mit jungen US-amerikanischen Soldaten eingeschlossen. Die Soldaten sehen sie kritisch, weil auch wegen ihrer Fotos der US-Einsatz international kritisiert wird. Die Marines "sind nur Opfer eines Kriegs, den sie nicht verstehen", sagt Niedringhaus' innere Stimme. "Diese blöde deutsche Schlampe", sagt einer der Marines leise. "Ich habe mehr Menschen vor meinen Augen sterben sehen als irgendjemand sollte", erklärt sich die Fotografin dann den Soldaten - worauf gleich noch jemand stirbt. Noch so eine arg plakative Szene. In Afghanistan öffnet sich der Film dann visuell. Es gibt mehr Außenaufnahmen, etwa als Niedringhaus mit ihrer kanadischen Kollegin Kathy Gibbon (die auch im Film als Zeitzeugin auftritt) durch eine eindrucksvolle Schluchtenlandschaft fährt. Gibbon behauptet am Telefon - inzwischen haben sich Mobiltelefone durchgesetzt - in einem Konvoi zu fahren, während sie tatsächlich allein im Auto sitzen und Burkas dabei haben, um sich im Notfall tarnen zu können. Da entsteht geradezu Suspense-Spannung - weil man weiß, wie es ausgeht. Kurzum: Anlass, die Darstellungsformen zu reflektieren, bietet der Film immer wieder, ebenso wie zu räsonieren, was sich in der Welt verändert hat und weiter verändert. In Afghanistan engagierte Niedringhaus sich mit ihren Fotos für Frauenrechte. Was würde sie zum fluchtartigen Rückzug der westlichen Armeen 2021/22 sagen, was zur Entwicklung im Iran, deren (in Deutschland eher wenig beachtete) revolutionäre Momente besonders von Bildern getrieben werden? In Afghanistan schimpft der spanische Kollege, der als"Love Interest" immer wieder auftaucht, über den neuen "Umsonst-Schrott aus dem Internet", der das Geschäft der Fotografen erschwere. Bilder, auch Bilder von Krieg besitzen in den 2020ern eine Omnipräsenz, die vor kurzem unvorstellbar schien. Können sie noch solche Wirkung entfalten wie einst? Auch da bietet der Film Denkanstöße im besten Sinn. Die Präsenz von Frauen in Medienberufen, in den 1990ern deutlicher geringer als inzwischen, ist ein weiteres Denkanstoß-Thema. Die Spielhandlung von "Die Bilderkriegerin" lässt dank ihrer fernsehtypischen Redundanz Raum, solchen Gedanken nachzugehen. Der visuelle Stilwillen, der manchmal zumindest bewusst Reibungspunkte zum plakativen Dialog zu setzen scheint, deutet darauf, dass in den Spielszenen Roman Kuhn Regie führte - einst ein bekannter Werbefilmer, der um die Jahrtausendwende einige Spielfilme inszenierte. Sein Pro-Sieben-Fernsehfilm "Die Schläfer" etwa erregte 1998 Aufsehen. Im 21. Jahrhundert trat Kuhn bis zu diesem Werk als Regisseur kaum mehr in Erscheinung. Kurzum: "Die Bilderkriegerin" ist im TV (linear zu keiner schlechten Sendezeit) beziehungsweise in der Mediathek für alle Medien-Interessierten sehenswert, weil der Film auf gleich mehreren Ebenen nachhallt. "Ohne gute Bilder gibt es keine Demokratie" lautet der abschließende Satz, der nun nicht in der Spielhandlung fällt, sondern vom als Zeitzeugen befragten "New York Times"-Fotografen Michael Kamber stammt. Auch wieder plakativ, aber zutreffend. Oder?

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