Wenn die Zeitung früher kommt - "Schwäbische Zeitung" testet Zustellung am Abend

Von Steffen Grimberg (KNA)

ZEITUNGSMARKT - Weil es immer teurer und schwieriger wird, die Zeitung in aller Herrgottsfrühe zuzustellen, dreht die "Schwäbische Zeitung" den Spieß einfach um und erscheint in Laupheim schon am Abend.

| KNA Mediendienst

alt

Zeitungszustellung

Foto: Rainer Nolte/KNA

Laupheim (KNA) Als im Jahr 1884 der gerade einmal 17-jährige Carl Laemmle aus dem schwäbischen Laupheim in die USA auswanderte, konnte wohl niemand ahnen, dass er schon bald einer der mächtigsten Manager in der noch jungen US-amerikanischen Filmindustrie werden würde. Seit 2007 erinnert der Carl-Laemmle-Preis in seiner Heimatstadt an den "Erfinder Hollywoods". Und die Große Kreisstadt im Landkreis Biberach hat auch heute noch das Zeug, Mediengeschichte zu schreiben. Wenn auch in etwas bescheidenerem Rahmen. Seit einigen Wochen testet hier die "Schwäbische Zeitung" ein neues Zustellungsmodell, mit dem das Traditionsblatt (Auflage aktuell rund 145.000 Exemplare) Pressegeschichte schreiben könnte. Rund 30 Jahre, nachdem mit dem "Solinger Tageblatt" in Nordrhein-Westfalen die letzte Mittagszeitung der Republik auf morgendliches Erscheinen umstellte, erhalten die Abonnenten in Laupheim ihr frisch gedrucktes Exemplar der "Schwäbischen Zeitung" schon am selben Abend. Die Zeitung wird dort jetzt schon am Vorabend ab 17 Uhr zugestellt. Die Gründe, sagt Thomas Krohn, liegen in der bei vielen Regionalverlagen zu verzeichnenden Zustellungsproblematik. "Es gibt immer weniger Menschen, die bereit sind, morgens um 5.00 Uhr Zeitungen zu verteilen", so der Leiter der Unternehmensentwicklung im Schwäbischen Verlag. Die Vorschriften zum Mindestlohn machten es zudem für die Zusteller schwieriger, ihre Arbeit als reinen Nebenjob auszuführen. Zusammen mit der Zeitung sollen die Zusteller den Kunden künftig auch Briefe, Pakete, Arzneien und Lebensmittel nach Hause bringen. "Wir wollten eben nicht klagen nach dem Motto 'Es geht nicht mehr und wir wissen nicht weiter'", sagt Krohn, sondern Lösungen finden. Die "Schwäbische Zeitung" erscheine nun einmal in einem ländlichen Gebiet ohne Ballungsräume, was die bundesweit angespannte Zustellproblematik noch ein bisschen akuter ausfallen lasse. Daher habe man sich die Frage gestellt, ob die Zeitung unbedingt morgens früh zugestellt werden müsse. "Die Funktion der Zeitung als Hauptinformationsmedium, was gestern war, hat sich doch längst radikal verändert", so Krohn. Auch im Lokalen erwarteten die Leser heute eigene Themen und Stücke, mehr Hintergrundberichte und analysierende Texte. "Da sind wir lieber ein bisschen gründlicher, als dass wir sagen: Hauptsache, das ist schon am nächsten Morgen bei den Lesern." Dass hierbei hilft, dass die "Schwäbische Zeitung" das einzige lokale Blatt vor Ort ist, gibt Krohn dabei unumwunden zu: "Das wäre anders, wenn es eine lokale Konkurrenz gäbe." Redaktionsschluss ist dementsprechend nun schon um 15.00 Uhr, ab 16.00 Uhr wird gedruckt. "Früher haben wir auch lokal teilweise lange nachgeschoben, das ging bis in den frühen Abend." Auch im Mantelteil wird danach nur noch das Allernötigste ausgetauscht beziehungsweise aktualisiert. "Wir wussten überhaupt nicht, ob das wirklich etwas sein könnte", erzählt Krohn. Auch die Medienforschung konnte nicht wirklich weiterhelfen. "Da haben wir gesagt, wir müssen es einfach ausprobieren", auch wenn es in Zeitungsverlagen ja nicht eben üblich sei, einfach mal etwas auszuprobieren, wie Unternehmensentwickler Krohn mit feiner Ironie ergänzt. Bei der Abendzustellung sei das Ergebnis dabei noch offen, "das müssen wir uns noch ein bisschen angucken". In einem anderen Erscheinungsgebiet der "Schwäbischen Zeitung" macht der Verlag gerade mit einem genau umgekehrten Ansatz erste Erfahrungen. Hier wird das Blatt weiter am Vormittag zugestellt - aber deutlich später als bisher. "Hier scheint sich ein Zeitfenster herauszukristallisieren, an dem die Zustellung auch nach der gelernten Zeit bis 6.30 Uhr früh unproblematisch ist", so Krohn. Die ohnehin zumeist älteren Leser kommen also auch damit zurecht, wenn ihre Zeitung erst am späten Vormittag "zum zweiten Frühstück" im Briefkasten steckt. Auch der Zeitungsexperte Horst Röper sagt, der "Faktor Aktualität" sei heute gerade im regionalen und lokalen Zeitungsbereich überholt - gerade weil es ja in der Regel konkurrenzfreie Gebiete seien. Sobald am Ort noch Konkurrenz gebe, sei das anders. "Doch in vielen Landstrichen war die Zeitung im wortwörtlichen Sinne schon immer von gestern, und zwar von nachmittags", so Röper unter Verweis auf die meist nie besonders späten Redaktionsschlusszeiten von Lokalausgaben. Eine "schleichende Rückkehr" der Mittagszeitung sei aber nicht zu erwarten, ist sich Röper sicher: "Dieser Zeitungstyp hat in Deutschland keine Chance mehr." Dennoch betont der langjährige Leiter des Formatt-Instituts eher das Primat der Verlässlichkeit am Morgen: "Es mag den einen oder anderen geben, der auch abends schon Zeitung liest. Doch der Mensch ist ein Gewohnheitstier und eher auf den Morgen gepolt. Da muss die Zeitung da sein." Was sie natürlich mit Sicherheit ist, wenn sie bereits am Abend davor zugestellt wird. Beschwerden, sagt Krohn, seien in Laupheim bislang eher selten. So werde bemängelt, dass sich in der Montagsausgabe nun nicht mehr der komplette Lokalsport vom Sonntag wiederfinde. "Und spannend wird es vermutlich bei Wahlen, wenn die Wahllokale bis 18 Uhr geöffnet sind und die Stimmauszählung gern noch etwas länger dauert", meint Krohn: "Aber das hatten wir bislang noch nicht."

Lesen Sie weiter auf www.KNA-News.de