Bonn (KNA) "Viva ist da-haaa!", schrie eine fröhliche und bis dahin völlig unbekannte Heike Makatsch in der ersten Sendeminute eines neuen Fernsehprogramms aus Köln. "Und wir sind mehr als nur ein Fernsehsender", ergänzte sie gleich. Denn Fernsehen kann jeder - aber Viva wollte mehr. "Wir sind Euer Sprachrohr - und Euer Freund. Und ab heute bleiben wir für immer zusammen - okay?", so die Moderatorin der ersten Stunde. Und schon war eine Verbindung zwischen Programm und Zuschauern hergestellt. An der jungen Zielgruppe jedenfalls sollte nicht scheitern, was da am 1. Dezember 1993 begann: ein Fernsehprogramm als Megafon einer ganzen Generation. "Dabei denke ich zurück an einen spannenden, medial-musikalischen Aufbruch, an eine Situation, die eingebettet war in diese Dekade der 90er, der Boomdekade des privaten Fernsehens", erinnert sich Dieter Gorny. Der heutige Medienwissenschaftler und Erfinder der Musikmesse Popkomm hatte Viva damals mit aus der Taufe gehoben und so dem bisherigen internationalen Platzhirschen MTV deutsche Konkurrenz gemacht. "Dieser mediale Aufbruch wurde ja erst einmal mehr oder minder in Abrede gestellt", so Gorny. Wie habe es damals geheißen? "Ach, Viva gegen MTV ... deutsches Musikfernsehen - das ist aber eine lustige Form medialen Suizids", lauteten die damaligen Spitzen gegen Gorny und sein TV-Baby. Aber das Konzept von Viva setzte sich schnell durch: neue, schräge Gesichter auf dem Schirm in Form von "VJs", Videojockeys, die eben Videos spielten und Gäste live im Studio begrüßten. Stefan Raab, Oliver Pocher, Klaas Heufer-Umlauf oder Mola Adebisi haben alle ihre Karriere bei Viva begonnen. Aber es war auch deutsche Musik, der Viva eine Bühne bot. "Wir hatten damals das Gefühl, dass sich irgendwas tat in einer jungen Zielgruppe in einem Deutschland, das immer noch ganz anders funktionierte als andere europäische Länder", so Gorny über den deutschen Musikmarkt der 1990er Jahre. Deutschland sei ein musikalisches Importland gewesen und habe nur über einen nationalen Produktionsanteil von vielleicht 20 Prozent verfügt, sagt Gorny: "Das hatte viel damit zu tun, dass wir lange Zeit Probleme damit hatten, nationale Kultur zu akzeptieren." Die Standardfolklore sei stets gewesen: "Die Band klingt gut - Wo kommt die her? - Aus Hannover? - Um Gottes willen - kann ja nichts sein", amüsiert sich der ehemalige Viva-Chef heute. "Das war die erste Nachkriegsgeneration an jungen Menschen, die vorurteilsfrei mit deutscher Popmusik umgingen." Nicht zufällig stammte das erste auf Viva gespielte Video von der deutschen Hip-Hop-Formation Die Fantastischen Vier und hieß "Zu geil für diese Welt". Genauso prominent wie die Musiker wurden bald die Präsentatoren. "Viva war eine Talentschmiede", sagt Peter Illmann, der erste Moderator der ARD-Videoclip-Hitparade "Formel Eins" in den 80ern. Grund sei auch der hohe Bedarf an neuen Gesichtern für das neue Programm gewesen. "Viele sind in der Versenkung verschwunden und haben nicht an den Erfolg anknüpfen können", findet Illmann. "Aber Heike Makatsch hat ihre Weltkarriere da gestartet, und Stefan Raab - heute einer der wichtigsten Menschen im deutschen Fernsehen überhaupt - hat auch bei Viva angefangen." Das Platzen der Tech-Blase Anfang der 2000er Jahre führte zum Verkauf von Viva an den Hauptkonkurrenten MTV. "Wenn ein Musiksender schon verkauft wird, dann sollte er in die Hände eines Eigners kommen, der weiß, worum es geht beim Musikfernsehen", sagt Dieter Gorny heute. Und da machte MTV eigentlich weltweit keiner etwas vor. "Deswegen verbanden sich damit viele Hoffnungen." Auf dem deutschen Markt gab es zu dem Zeitpunkt mit MTV, VH-1, Viva und Viva II gleich vier deutschlandweit im Kabel verbreitete Musik-TV-Programme. Nach dem Verkauf von Viva an den MTV-Mutterkonzern Viacom ging Gorny mit zum neuen Eigentümer nach London. Doch den Bedeutungsverfall von Viva nach der Jahrtausendwende konnte er auch von dort nicht aufhalten. "Es ist eine Tragik, was von all den Plänen und Möglichkeiten übrig geblieben ist", findet er. Selbst ein solch "großer Broadcaster wie MTV Networks mit einer großartigen Ansammlung von Kreativität" habe nicht die Antworten gefunden, die man auf die Herausforderungen des Internets hätte haben müssen. Dazu habe die Frage gehört, wie sich die Sender als Marken in die digitale Welt übertragen ließen. Die "Killerapplikation" - so Gorny - sei damals die Individualisierung gewesen, also die Möglichkeit, aus einem durchlaufenden Programm etwas zu machen, aus dem die Zuschauer - oder dann wohl eher: User - sich einzeln heraussuchen konnten, was sie wann, wie und wo hören wollten. "Da hätte es eine Menge Möglichkeiten gegeben", glaubt Gorny. "Das zeigt aber auch, wie technologische Umbrüche getrieben sind von denjenigen, die den Umbruch machen sollen", schiebt er noch einen Seitenhieb gegen MTV nach. Und so fraß die Revolution ihre Kinder. Das Internet stellte das lineare Musik-TV in den Schatten. 2018 war endgültig Schluss. Das passive Fernsehen hatte den neuen Angeboten im Netz und den Social-Media-Welten der User nichts entgegenzusetzen. Das wussten auch die Macher. Und konnten es nicht ändern. "Ein Stück Fernsehgeschichte geht heute hiermit zu Ende, die wir mitgeprägt haben", meinte Oliver Pocher anlässlich der letzten Viva-Sendung "Viva Forever" 2018. "Das wird es auch nie wieder so geben, denn heute hängen die Leute am Handy. Damals waren wir YouTube und Instagram, alles in einem!" Peter Illmann sieht noch einen Grund, warum Anfang der 2000er Jahre das Interesse an Viva und MTV abgenommen hat: "Der Hauptfehler war, dass die Videos immer mehr in den Hintergrund gedrängt wurden. Immer wenn ich eingeschaltet habe, kamen irgendwelche Lifestylesendungen oder Teenie-Beratung." Grundsätzlich sei die Idee, mehr zu bieten als nur Musikvideos abzuspielen, zwar richtig gewesen. "Aber wenn man dann fast gar keine Musik mehr zeigt, hat der Sender seine Wirkung verloren." Zehn Jahre vor Viva hatte die ARD ihre Videohitparade "Formel Eins" in ihren dritten Programmen ins Rennen geschickt. "Es wird immer gesagt, dass das Musikfernsehen der Totengräber von 'Formel Eins' war", unkt Illmann. Aber das sehe er nicht so. "Formel Eins" hätte aus seiner Sicht noch lange bestehen können, da es sich bei dieser Sendung ja um eine Hitparade gehandelt habe. "Und solche Sendungen haben schließlich im Radio auch Bestand", erinnert Illmann. Doch die Öffentlich-Rechtlichen hätten die Sendung damals nicht mehr gewollt, "und dann hat Viva das Feld natürlich abgeräumt". Während von Viva nach 30 Jahren an Programm nichts mehr übrig ist, gilt "Formel Eins" nach 40 Jahren immer noch als Kult. Und Kult kommt zurück - wenngleich nicht so, wie es sich der erste Moderator der Sendung gewünscht hätte. Denn: Die Namensrechte liegen zwar bei der ARD beziehungsweise bei der Produktionsgesellschaft Bavaria Entertainment. Die bisherigen Neuauflagen von "Formel Eins" fanden jedoch bei den Privatsendern Kabel Eins und Nitro statt. Nun wird es im Dezember ein erneutes Revival zum 40-jährigen Jubiläum mit Peter Illmann, Ingolf Lück und Kai Böcking geben - allerdings wieder nicht in der ARD. "Der WDR wollte es zwar eigentlich machen, konnte aber die finanziellen Mittel nicht aufbringen, weil die Bavaria unglaublich viel Geld verlangt", so Illmann zum Hin und Her über die Neuauflage der Kultsendung. "Warum es dann ein kleiner Privatsender wie Kabel Eins schafft, ist mir allerdings schleierhaft." Dem Zuschauer kann es im Zweifel egal sein, wo das, was er sehen möchte, läuft. Oder ob Musikfernsehen überhaupt noch etwas bedeutet. Wie sagte doch die einstige Viva-Moderatorin und heutige "Traumschiff"-Ärztin Collien Ulmen-Fernandes in der letzten Sendung "Viva Forever" vor fünf Jahren: "Vielleicht ist es auch einfach Zeit. Vielleicht muss man nicht traurig sein. Es ist auch einfach durch jetzt. Es hat uns alle geprägt, und jetzt ist auch mal gut."