"Diversität ist eine Entscheidung auf der Chef-Etage" - 15 Jahre Neue Deutsche Medienmacher*innen

Von Clara Engelien (KNA)

MEDIENETHIK - Seit 15 Jahren setzen sich die Neuen Deutschen Medienmacher*innen für mehr Diversität in Redaktionen und Köpfen von Medienschaffenden ein. Deren Bedeutung wird zwar mehr und mehr anerkannt. Doch es hapert bei den Konsequenzen, sagt die Vorsitzende des Vereins, Ella Schindler.

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Ella Schindler

Foto: Michael Matejka/Neue deutsche Medienmacher*innen/KNA

Berlin (KNA) Selbst große Medienhäuser sind heute noch kein Spiegelbild der Gesellschaft, meint Ella Schindler, Vorsitzende des Vereins Neue Deutsche Medienmacher*innen (NdM). Dabei sei Diversität kein Akt des guten Willens, sondern in einem wirklich vielfältigen Journalismus reine Notwendigkeit. Dafür setzt sich der Verein seit nun 15 Jahren ein. Ein Gespräch über schwierige Finanzlagen, die Herausforderungen im Lokalen und den "Tagesspiegel", der das Gendern in Print wieder aufgibt. KNA-Mediendienst: Frau Schindler, wir stehen an einem Punkt, an dem einerseits die meisten einsehen, dass die Gesellschaft heute bunter ist, als in den Medien oft abgebildet und in den Redaktionen repräsentiert. Andererseits haben offenbar viele Medienschaffende vor dieser Veränderung Angst und lehnen sie deshalb ab. Was steckt dahinter? Ella Schindler: Wir stehen im Austausch mit vielen Medienhäusern. Die meisten haben inzwischen erkannt, dass Diversität in der Berichterstattung und im Team für sie wichtig ist, dass guter Journalismus verschiedene Perspektiven bietet. Was folgen müsste, sind Taten. MD: Woran hapert es konkret? Schindler: Es heißt immer wieder: Na ja, es bewerben sich einfach zu wenig kulturell-diverse Menschen. Die Medienhäuser müssen aber auch nach außen ausstrahlen, dass diese Menschen Platz dort finden können. MD: Wie können sie das tun? Schindler: Indem Sie aktiv um junge Menschen mit verschiedenen Diversitätsmerkmalen werben und in die Nachwuchsarbeit investieren. Indem sich Redaktionen - und zwar auf der Chef*innen-Etage - dafür entscheiden, die Kultur im Umgang miteinander, in der Themenwahl und -aufarbeitung zu verändern und diversitätsbewusst zu gestalten. Denn es reicht nicht, jungen Menschen zu zeigen, wie Journalismus funktioniert. Man muss auch offen sein für die Themen, die sie mitbringen und die sie bewegen. MD: Ihr Verein hat in einem Mentoring-Programm über 300 junge Menschen mit internationaler Geschichte auf ihrem Weg in den Journalismus begleitet. Was berichten sie? Schindler: Zum Beispiel, dass sie Themenvorschläge machen, die keinen Anklang finden. Oder sie kritisieren bestimmte im eigenen Medium erschienene Berichte und die Redaktionen reagieren nicht konstruktiv. Die Kommunikationskultur in den Redaktionen ist sehr oft noch nicht diversitätsbewusst. Zudem werden unsere Mentees und Kolleg*innen oft auf ihre Rolle als Person mit anderem Hintergrund reduziert. Sie hören: Deine Eltern kommen aus dem und dem Land, dann erkläre uns doch, wie Erdogan tickt oder Putin tickt. Für manche ist das in Ordnung, manche wollen diese Nische besetzen, aber sie haben auch andere Qualitäten und wollen diese auch journalistisch einsetzen. Umgekehrt erleben sie auch, dass es heißt: Über dieses Thema kannst du nicht berichten. Du bist selbst zu betroffen. MD: Besteht in weißen deutschen Redaktionen das Vorurteil, "woke" junge Menschen könnten aufgrund ihres kulturellen Hintergrunds nicht sachlich berichten? Schindler: Das Wort "woke" will ich nicht in den Mund nehmen. Das ist es, was jungen Menschen oft auf negative Weise unterstellt wird. Was wir wollen, ist nichts anderes als menschenrechtsbasierter Journalismus und ein offener Umgang miteinander in der Redaktion. Aber ja, ich denke, dieses Vorurteil spielt manchmal eine Rolle. Dabei zeigt sich doch, dass kulturelle Bezüge und Kontakte auch enorm helfen. MD: Wie meinen Sie das? Schindler: Das zeigt zum Beispiel die Berichterstattung der deutsch-iranischen Journalist*innen Gilda Sahebi und Omid Rezaee zum Thema iranische Frauenrevolution. Wie eingeschränkt wären die Medien ohne solche Stimmen? Es ist kein Akt des guten Willens, diese Menschen zu beschäftigen. Guter Journalismus muss nun mal verschiedene Perspektiven bieten. MD: Herrscht in großen Medienhäusern in urbanen Ballungszentren mehr Diversität als in Lokalredaktionen im ländlichen Raum? Schindler: Natürlich gibt es dort mehr Stimmen als im Lokaljournalismus. Lokalmedien haben es aber auch schwerer, die haben noch mit ganz anderen Problemen zu kämpfen - ich arbeite selbst in einem. Aber wenn man die Anzahl kulturell-diverser Personen in den Redaktionen zusammenzählt, können sich die großen Medienhäuser auch nicht auf die Fahnen schreiben, inzwischen das Spiegelbild der Gesellschaft geworden zu sein. Es sind einzelne Stimmen, die sind wichtig, aber es sind oft vor allem die Menschen, die vor der Kamera stehen. 2020 haben die NdM eine Untersuchung gemacht. Das Ergebnis war: Nur sechs Prozent aller Chefredakteur*innen haben eine Einwanderungsgeschichte. MD: Sie sind seit zehn Jahren bei den Neuen Deutschen Medienmacher*innen. Ist es schwerer geworden, die Politik dafür zu gewinnen, Ihre Arbeit zu fördern? Schindler: Wir haben tolle Projekte, die gefördert werden. Aber es gibt so viele parallele Krisen momentan. Die Ressourcen sind knapp, das Thema Verschuldung steht im Raum. Da haben alle gesellschaftlichen Initiativen es schwerer, sich Gehör und Ressourcen zu verschaffen, damit sie ihre Arbeit gut machen können. Gleichzeitig ist es jetzt wichtiger denn je. Wenn wir keine funktionierende Medienlandschaft in Deutschland haben, sind Demokratie und Menschenrechte in Gefahr. MD: Ihr Verein setzt sich schon seit langem für diskriminierungssensible Sprache in den Medien ein. Jetzt hat mit dem "Tagesspiegel" ein wichtiges Blatt die zuvor eingeführte geschlechtergerechte Sprache wieder rückgängig gemacht - mit der Begründung, sie sei einer der Hauptgründe für Beschwerden und Kündigungen des Print-Abos gewesen. Wie beurteilen Sie das? Schindler: Es ist bedauerlich und sendet ein falsches Signal an die Menschen, die es betrifft - nonbinäre Personen werden so zum Beispiel wieder unsichtbar gemacht. Wenn so ein Schritt zurückgenommen wird, weil einige dagegen besonders laut protestieren, frage ich mich: Wo stecken wir noch ein? Heute gibt es Beschwerden, weil jemand Gendersprache benutzt, morgen sagt jemand, oh, ihr zeigt eine schwarze Frau in der Zeitung, das will ich nicht sehen. Fangen wir dann an, diese Bilder nicht mehr zu bringen, bestimmte Menschen nicht mehr zu Wort kommen zu lassen? Es kann doch nicht unser Weg sein, unser gemeinsames Versprechen der pluralistischen Demokratie zu brechen, nur weil sich einige lautstark davon abwenden. MD: Wofür plädieren Sie? Schindler: Es darf nicht nur die geben, die aufschreien. Es muss genau so viele geben, die sich zu Wort melden und sagen: Moment, ich fand gut, dass ihr gendert. Diese Rückmeldung von außen, diese Rückenstärkung brauchen wir Medienschaffenden. MD: Medienunternehmen denken da wohl in erster Linie wirtschaftlich. Schindler: Ja, aber es ist zu kurz und auch falsch gedacht. Wenn ein Medienhaus so einen Schritt mit negativen Kommentaren begründet oder weniger verkauften Abos, bedenken sie die anderen nicht. Sie sollten sich fragen: Wen erreichen sie alles nicht, weil sie nicht diversitätsbewusst genug berichten? Das ist doch auch die Frage aller Medienhäuser, sie suchen doch nach Zielgruppen. Und Deutschland ist divers.

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