Berlin (KNA) Gerade hagelt es "Milliarden" in den Schlagzeilen. Schon weil es dabei weniger um die laufenden Einnahmen geht als um längst verplante weitere Milliarden, die im Bundeshaushalt nach dem Karlsruher Urteil fehlen, passt eine "Milliardenjagd" perfekt in die Zeit. Um wie viele Milliarden genau es darin geht, lässt die seit dieser Woche exklusiv in der ARD-Mediathek zu habende Serie aus vier knapp dreißigminütigen Folgen freilich erst mal offen. Von "knapp sieben Milliarden" ist unter anderem die Rede, dann von 417 Millionen in Geldscheinen. Später in einem alten Ausschnitt spricht Sabine Christiansen, noch als "Tagesthemen"-Moderatorin, von "100 Milliarden Mark West". Allmählich enthüllt die spannungsheischende Erzählweise also, dass es um die deutsche Wiedervereinigung in den frühen 1990er Jahren geht, und demzufolge um unterschiedliche Währungen: vor allem um Deutsche Mark, DDR-Mark und US-Dollars. Euro, die es damals noch gar nicht gab, tauchen nur manchmal als Vergleichsmaßstab auf. Wenn von "einem Genossen" die Rede ist, einem großen "Finanzjongleur", der 1998 im schweizerischen Lugano unter unklaren Umständen auf einem Zebrastreifen totgefahren wurde, klingt an, dass es um die SED geht, die in der DDR herrschte und zu den größten - und reichsten - Parteien Europas zählte. Der weniger bekannte Name des Finanzjongleurs, Wolfgang Langnitschke, fällt später, so wie die Doku Informationen, darunter Namen und Funktionen der Gesprächspartner, überhaupt sehr allmählich preisgibt. "Spiegel"-Reporter Peter Wensierski ist einer der wichtigsten Gesprächspartner. Ähnlich Spannung heischen möchte die Bildsprache: Geldscheine in Bündeln sind oft zu sehen, Taschen, Koffer und deren zuschnappende Schlösser. Dazu kommen Schatten und Silhouetten von Menschen, die solche Behältnisse transportieren, Tonbänder und schnurgebundene Telefone als zeitgenössische Kommunikationsmittel. Von der Tonebene raunt es leise. Textinserts zitieren etwas manieriert Duden-Definitionen für Begriffe wie "Schatz", "Hintertür", "Coup". Kurzum: Bis hin zu Cliffhanger-Formeln am Folgen-Ende a la "Was ich dabei herausfand, war unglaublich" wirkt alles recht gewollt. Es funktioniert als Online-Dokumentation dennoch. "Die Milliardenjagd" erzählt zwar von einer im rückblickseligen öffentlich-rechtlichen Fernsehen bestens beleuchteten Zeitspanne, der deutschen Vereinigung 1989/90, fokussiert aber deutlich das selten erzählte Thema des mutmaßlich milliardenschweren SED-Parteivermögens. Das politisch und gesamtgesellschaftlich betrachtet wichtigere Vereinigungsgeschehen drumherum, das sonst gerne immer wieder noch mal erklärt wird, wird als bekannt vorausgesetzt oder läuft zumindest im Hintergrund. Daher fließt die Erzählung flott und im positiven Sinne süffig dahin. Vor allem die gute Mischung aus jüngerer Vergangenheit, wie sie in den prallvollen Fernseharchiven bestens dokumentiert ist, und Gegenwartsbezügen kann überraschen. Selbstverständlich taucht der medial omnipräsente Gregor Gysi auf, sowohl mit heutigen, für die Doku gefilmten Äußerungen als auch mit solchen aus den 1990ern, in denen er offenbar noch nicht wusste, was später bekannt wurde. Oder hatte er, der Ende 1989 zum Vorsitzenden der SED-Nachfolgepartei PDS gewählt wurde und dieses Amt auch noch nach dem "Putnik-Deal", durch den das Finanzgebaren der Parteien 1990 in größerem Stil Aufsehen erregte (und den "Die Milliardenjagd" auch thematisiert), behielt, nicht viel mehr darüber wissen müssen? War er wirklich überrascht, welche Besitztümer alle der SED gehört hatten? Das ließ sich bislang nicht klären, so wie sich ja auch die Höhe des einstigen, schon zu DDR-Zeiten in Devisen angelegten und geheim gehaltenen SED-Vermögens weder genau beziffern ließ noch lässt. Noch ein aktuell im Fernsehen oft zu sehender Politiker taucht auf zwei Zeitebenen auf: Dietmar Bartsch wurde 1991 PDS-Schatzmeister und verkündete damals Rechtfertigungen. Dass er Ende 2023 erneut das prominenteste Gesicht einer sich unter Druck neuformierenden und dabei - auf klar niedrigerem Niveau als 1990 - Einfluss verlierenden Partei ist, kann man beim Ansehen der "Milliardenjagd" als eine Ironie der Geschichte betrachten. Muss man aber nicht. Eine Stärke der Doku-Serie liegt darin, zahlreiche Anknüpfungspunkte zu bieten, die Zuschauer je nach Gusto mit- und weiterdenken können, aber nicht müssen. Klar arbeitet die Doku heraus, was Anfang 1990 binnen weniger Monate geschah. Damals war, so seltsam es im Rückblick auch anmuten mag, ja noch völlig offen, ob - und wenn ja wie - die DDR weiter bestehen würde. Zugleich wurde rasant deutlich, dass sie kein diktatorisch geprägter Einparteienstaat bleiben würde. Bis zur ersten freien Wahl der DDR verschwand Parteivermögen in beträchtlicher Millionenhöhe, die sich wahrscheinlich zu Milliarden addierte. Die Kamera fährt lange Namenslisten mit unkenntlich gemachten Nachnamen ab. "Alte anständige Genossen und Genossinnen" bekamen "Darlehen", zitiert der heutige Gysi aus Gesprächen, die er einst geführt haben will. Sie sollten Geld treuhänderisch für die Partei verwalten, etwa in Firmen oder Immobilien stecken. Von einem "Anglerparadies" in Chemnitz, aus dem später ein Bordell geworden sei, das auch nicht mehr existiert, berichtet die Doku so exemplarisch wie knapp. Mehr Geld war, wie schon während des Bestehens der DDR, an österreichische Firmen geflossen. Einen neuen, spektakulären Anknüpfungspunkt an die Gegenwart kann man darin sehen, dass ein Palästinenser mit jordanischem und syrischem Pass für eine kurzerhand gegründete islamische Glaubensgemeinschaft Spenden in Millionenhöhe (in DDR-Mark freilich) bekommen hatte. Von solchem Geld seien bis 2023 rund 1,5 Milliarden an die Bundesregierung geflossen, vieles davon erst nach in der Schweiz gegen österreichische Banken geführten Prozessen, so die notwendigerweise wenig befriedigende Zwischenbilanz. Ob sich angesichts der ohnehin schwer verfolgbaren, immer noch größeren Finanzströme rund um die Welt noch befriedigendere Antworten werden geben lassen? Darüber kann man gut rätseln beim Ansehen der vier Folgen "Milliardenjagd". Die Doku-Serie (Regie, Buch: Heike Bittner; Produktion: Dokfilm/MDR) hält jedenfalls geschickt mehrere Balancen: zwischen dem, was bekannt ist und dem, was sich nur vermuten lässt, zwischen langfristiger Investigation (die sich naturgemäß über Jahrzehnte in zahlreichen Medienformen äußert) und ostentativer Spannungsmache, zwischen Zeitgeschichte und Gegenwart sowie zwischen Fernsehen und Online. Die Serie ist gut "gestaffelt" direkt auf die Mediathekennutzung angelegt: Die vier Folgen wirken nicht wie auf 4x25 Minuten verlängerte 90-Minüter-Module, sondern sind ungefähr so lang, wie es vom Inhalt her sinnvoll scheint. Man kann sie gut folgenweise ansehen, will aber am Ende jeder Folge mehr wissen. Diese "Milliardenjagd" anzusehen, lohnt trotz des austauschbar klingenden Titels. Kommende Woche bringt das ZDF zu einem anderen Thema "Das Milliardenspiel". Doch hier geht es um die ganz heutigen Superreichen und ihren Blick auf die Welt.