Frankfurt/Berlin (KNA) Nach der Kündigung von drei jungen Redakteuren bei der "Frankfurter Rundschau" ("FR") spitzt sich der Konflikt zwischen Redaktion und Geschäftsleitung des Traditionsblatts weiter zu. Zahlreiche Organisationen von den Mediengewerkschaften DJV und Verdi bis zum Verein Pro Quote haben die vor einer Woche erfolgten Kündigungen scharf kritisiert. Auch Noch-"FR"-Chefredakteur Thomas Kaspar schrieb in einem Beitrag auf der Plattform X (früher Twitter) von einer "Katastrophe". Die drei gekündigten Redakteure befinden sich alle noch in ihrer Probezeit, so dass kein Kündigungsschutz greift. "Nach fast zwei Jahren Volozeit und an meinem 4. Tag (!) als Reporterin wurde mir gestern vom 'FR'-Geschäftsführer mitgeteilt, dass wir zum 31.12. gekündigt werden", meldete Yagmur Ekim Cay auf X. Sie hatte ihr ursprünglich noch laufendes Volontariat bei der Zeitung auf deren Wunsch verkürzt, um die Reporter-Stelle anzutreten. Ebenfalls betroffen sind Jana Ballweber und Maximilian Arnhold. "Wir haben @JanaBallweber von @netzpolitik_org zur @fr holen dürfen. Wir haben das Volontariat von @yagmurekimcay wegen Brillanz verkürzt. Zum Glück wechselte @maxi_arnhold zu uns für die Podcasts. Nun brauchen alle drei neue Jobs", schrieb Kaspar weiter. Auch er kehrt der "FR" wegen der aktuellen Situation den Rücken (vgl. MD 49/23). Kaspar, der seit 2019 die Chefredaktion leitete und 2021 vom Fachdienst "Kress" zum "Chefredakteur des Jahres" gekürt wurde, bleibt aber im Konzern. Zum 1. Februar 2024 geht er zu Ippen Digital zurück, wo er seit 2015 als Chief Product Officer arbeitete. Hintergrund der Auseinandersetzungen sind die Forderungen der "FR"-Mitarbeitenden nach einem Tarifvertrag. Dies lehnt die Geschäftsführung der zur Ippen-Gruppe gehörenden Zeitung aber vehement ab. Entsprechende Verhandlungen mit den Gewerkschaften wurden nach zwei Runden im August abgebrochen. Stattdessen wurden die Gehälter eines Teils der Beschäftigten pauschal um 300 Euro erhöht, außerdem kündigte der Verlag eine Gehaltserhöhung um drei Prozent für den Sommer 2025 an. Für den "Aktivenausschuss" der "FR" ist das zu willkürlich und vor allem viel zu wenig. "Viele Kolleg:innen verdienen so wenig, dass die Lebenshaltungskosten im Rhein-Main-Gebiet für sie nicht mehr zu stemmen sind. Volontär:innen bekommen für ihre Arbeit teilweise nicht einmal den Mindestlohn. Und selbst Kolleg:innen mit besseren Verträgen haben seit Jahren enorme Reallohnverluste", heißt es in einem offenen Brief an die Gesellschafter des Verlags. Diese Kollegen seien von den jetzt verkündeten Steigerungen zudem ausgenommen. Insgesamt zahle die "FR" deutlich schlechter als im Flächentarifvertrag für Tageszeitungen vorgesehen, so der Aktivenausschuss. Gleichzeitig sei die Zahl der Mitarbeitenden kontinuierlich gesunken; offene Stellen würden oft nicht nachbesetzt, so dass die Arbeitsbelastung für die verbliebenen Beschäftigten immer weiter ansteige. "Wir berichten über Lohnungleichheiten, Arbeitskämpfe, Geschlechtergerechtigkeit und soziale Politik und stehen dabei auf der Seite derer, für die die Gesellschaft häufig nur die Rolle der Verliererinnen und Verlierer übrig hat", heißt es in dem offenen Brief zum Selbstverständnis der "FR"-Redaktion weiter. "Wie sollen wir glaubwürdig über die Gerechtigkeitskämpfe in unserer Gesellschaft berichten, ohne die Ungerechtigkeiten im eigenen Haus zu adressieren? Wie sollen wir unserer Rolle als linksliberale Stimme im öffentlichen Diskurs in Zukunft gerecht werden, wenn wichtige Investitionen in den journalistischen Nachwuchs, in gerechte Löhne und in die digitale Transformation verschleppt werden?", fragen die Autorinnen und Autoren. Am 1. Dezember kam es zu einem ersten Warnstreik, an dem nach "FR"-Angaben rund 50 der noch 85 Beschäftigten teilnahmen. Laut der Berichterstattung im eigenen Blatt hatte "FR"-Geschäftsführer Max Rempel den Warnstreik als "unverständlich und kontraproduktiv" bezeichnet. Die Medienbranche befinde sich in einem starken Wandel, höhere Gehälter müssten auch erwirtschaftet werden. "Dieses Bewusstsein vermisse ich hier", zitierte die "FR" ihren Geschäftsführer. Nach Angaben der Verlagsleitung seien seit Mitte 2022 die Gehälter insgesamt bereits um 13 bis 17 Prozent erhöht worden. Nach Berichten von "FR"-Mitarbeitenden hatte die Geschäftsleitung im Vorfeld des Streiks erklärt, es werde mit ihr keinen Tarifvertrag geben und mit Konsequenzen bis hin zur Auslagerung der Berichterstattung zu anderen Ippen-Titeln gedroht. Ein Woche nach dem Streik kündigte Rempel dann an, dass das bisher für die Multimedia-App FR+ zuständige Ressort aufgelöst werde. Außerdem soll der erst im September gestartete Klimapodcast "Kipp und klar" eingestellt werden, so Rempel. In diesem Zusammenhang erfolgten auch die Kündigungen von Cay, Ballweber und Arnhold. Diese hatten am Streik zwar gar nicht teilgenommen, vermuten aber dennoch einen Zusammenhang. "Ich bin mir sehr sicher, dass es ein großer Zufall ist, dass das eine Woche nach dem Streik bei der FR passiert", so Ballweber ironisch auf X. Die harte Gangart in der Frankfurter Hedderichstraße ist auch Ausdruck der weiterhin schwierigen Lage der "FR", die seit zwei Jahrzehnten von einer Krise in die nächste schlittert. Als die "Frankfurter Rundschau" 1945 unter US-amerikanischer Lizenz gegründet wurde, sah das noch anders aus: Das dezidiert linksliberale Blatt stieg rasch zur Pflichtlektüre der jungen Bundesrepublik auf. Bis in die 1970er Jahre führte Karl Gerold die Redaktion, er lebt bis heute in der nach ihm benannten Stiftung weiter. Gern als "Lehrerzeitung" und "Gewerkschaftsblatt" verspottet begann die FR aber spätestens in den 1990er Jahren zu schwächeln. Unter Chefredakteur Roderich Reifenrath kam die Auflage ins Rutschen, auch weil sich das Blatt streng an die Diktion ihres Chefs, man "verändert eine Zeitung nicht bei Gefahr ihres Todes" hielt - und jede Modernisierung ablehnte. Die Zahlen wurden künstlich aufgehübscht. Während um das Jahr 2000 fast alle Zeitungen im Geld schwammen, begann beim Druck- und Verlagshaus Frankfurt (DUV) - so der damalige offizielle Name des Verlags der "FR", der damals komplett der Karl-Gerold-Stiftung gehörte - der Abstieg. 2003 stand die "FR" dann erstmals richtig vor dem Aus - zu hoher Personalstand, auch in der zum Verlag gehörenden Druckerei, die schon damals vor allem von Fremdaufträgen abhängig war. Retter wurden verzweifelt gesucht, die BGAG-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbundes winkte dankend ab, bis sich die SPD Anfang 2004 erbarmte: Die parteieigene Presseholding DDVG übernahm mit 90 Anteilsprozenten den Löwenanteil am DUV, der Rest liegt bis heute nominell bei der Karl-Gerold-Stiftung. Personal wurde in mehreren Schritten abgebaut, 2006 waren von den einst mehr als 1.600 Stellen im Gesamtunternehmen gerade noch 720 übrig. Die "FR" versuchte mit einem Schwerpunktkonzept zu punkten. Über dessen Erfolg sind damals Beteiligte bis heute höchst verschiedener Meinung. 2006 stieg dann der nächste Retter ein: Verlegerpatriarch Alfred Neven DuMont ("Kölner Stadt-Anzeiger"), übernahm die Hälfte der "FR"-Anteile und wurde als "letzter echter Verleger" gefeiert, dem es nicht nur auf den schnöden Gewinn ankomme. Und die "FR" wurde mutig: Das große Blatt wurde bunt und schrumpfte aufs handliche Tabloid-Format, bot längst wieder mehr als Lesestoff fürs Klischee-Klientel im Cordanzug. Doch der Ruf war dahin. Und jeden Tag, den die gedruckte "FR" erschien, macht sie einen Verlust in beträchtlicher Höhe. 2011, noch gab es 190 Stellen in der Redaktion, folgte der nächste Schlag: Die überregionalen Inhalte der "FR" wurden künftig in Berlin gemacht, wo DuMont mittlerweile auch die "Berliner Zeitung" übernommen hatte. Doch weder die dafür gegründete Redaktionsgemeinschaft noch die gemeinsame Chefredaktion konnten den weiteren wirtschaftlichen Niedergang stoppen. Im November 2012 meldete die "FR" Insolvenz an - und wurde wieder einmal verkauft. Diesmal griff die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" zu, die gemeinsam mit ihrer Schwesterzeitung "Frankfurter Neue Presse" ("FNP") so zur Mainmonopolistin wurde. Die "FR"-Redaktion schrumpfte weiter, wurde endgültig zur Regionalzeitung, schrieb dafür aber schon 2013 - wenn auch bescheidene - schwarze Zahlen. Fünf Jahre später war auch damit wieder Schluss: Die FAZ-Gruppe verordnete sich eine rein "nationale Strategie" und verkaufte "FR" und "FNP" an die Zeitungsholding Hessen (ZHH), bei der Großverleger Dirk Ippen ("HNA", "Münchner Merkur", "Westfälischer Anzeiger") den Ton angibt. Mitbeteiligt an der ZHH ist auch die eng mit Ippen verbandelte Gießener Verlegerfamilie Rempel, deren Spross Max Rempel nun in Personalunion Chefredakteur der "Gießener Allgemeinen Zeitung" und Geschäftsführer der Frankfurter Titel ist.