Marl (KNA) Gut 320.000 Euro beträgt das Defizit des Marler Grimme-Institut im laufenden Jahr, und wenn alles wie gehabt weitergelaufen wäre, so die Prognose aus dem Sommer, würde diese Summe im kommenden Jahr auf 430.000 Euro steigen. Viel Geld für eine Einrichtung mit einem Jahresetat von gerade einmal gut drei Millionen Euro, das sich mit Noch-Direktorin Frauke Gerlach eine Führungsspitze leistet, die 2021 als Jahresgehalt 144.160 Euro plus 8.794 Euro Aufwendungen für die Altersversorgung erhielt. Ob sich die von Gerlach kurz vor dem Jubiläum erstmals öffentlich gemachten Fehlbeträge schon früher abgezeichnet hatten, ist aktuell nicht zu klären. Immerhin liegt nach Auskunft des Landes der überfällige Jahresabschluss 2022 mittlerweile vor. Die Gesellschafter haben ihn auf ihrer Sitzung am 15. Dezember beschlossen. Allerdings ist er noch nicht veröffentlicht, weil nach Informationen des KNA-Mediendienstes die Zustimmung des Landesrechnungshofes NRW noch aussteht. Im 50. Jahr seines Bestehens, das erst vor wenigen Wochen im nordrhein-westfälischen Landtag gefeiert wurde, stehen nun massive Sparmaßnahmen beim Grimme-Institut an. Wie bereits berichtet, können durch einen Gehaltsverzicht der Mitarbeitenden lange im Raum stehende Kündigungen aber offenbar verhindert werden (vgl. MD 50/23). Unklar ist dabei, ob sich auch die scheidende Grimme-Direktorin Frauke Gerlach an dem Solidarpakt beteiligen wird und auf einen Teil ihrer Bezüge verzichtet. Fragen hierzu wollten weder das Land NRW als wichtigster Finanzier noch das Grimme-Institut selbst beantworten - genauso wenig wie die Frage, ob Gerlachs Bezüge seit 2021 gestiegen sind. Hier verwies das Land für die Gesellschafter auf das Institut. Und dessen Sprecher erklärte, diese Frage müssten die Gesellschafter beantworten. Eine direkte Anfrage des KNA-Mediendienstes bei Gerlach quittierte das Büro der bis Ende April 2024 amtierenden Grimme-Chefin mit dem Hinweis: "Frau Gerlach gibt derzeit keine Stellungnahmen ab." Zwei Institutsbereiche stehen in jedem Fall auf der Streichliste: Forschung und Medienbildung wird es künftig nicht mehr geben. Die Belegschaft hält diese Entscheidung für einen Fehler: "Die Streichung dieser Institutsbereiche, die unverzichtbar für den Wesenskern unseres Hauses sind, das den Namenszusatz 'Gesellschaft für Medien, Bildung und Kultur' trägt, halten wir strategisch für den falschen Weg", schreiben sie in einem am Montag veröffentlichten Brief. Mit Blick auf aktuelle Themen der Mediengesellschaft wie Künstliche Intelligenz, Desinformation, Hass im Netz seien diese Bereiche auch für die zukünftige Positionierung des Instituts zentral. Dazu kommt aktuell noch die laufende Diskussion über die Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Allerdings hatte sich Grimme in den zehn Jahren unter der Führung Gerlachs an solchen Debatten kaum vernehmbar beteiligt. Noch zum Institutsjubiläum erklärte sie im Interview des Fachdienstes "epd Medien" im November: "Grimme ist nicht dazu da, Medienpolitik zu gestalten." Nun führt die vielfach beklagte Diskursschwäche des Instituts zur Aufgabe ganzer Themenfelder. Auch im Bereich Forschung sind viele Probleme hausgemacht. Unter Gerlach wurde zwar das Grimme-Forschungskolleg an der Universität zu Köln aufgebaut, das Anfangs pro Jahr mit bis zu 250.000 Euro aus dem Institutsetat finanziert wurde. Von dem Geld und den geförderten Projekten habe aber eher die Universität als das Institut profitiert, heißt es in Marl. Auch die angekündigten Sparmaßnahmen bei den Preisen - insbesondere beim Grimme-Online-Award, über dessen Auslobung 2024 erst Anfang des kommenden Jahres entschieden wird - sieht die Belegschaft kritisch: "Dies ist im Hinblick auf die Relevanz dieses Preises in der deutschen Medien- und Onlinewelt eine fatale Entwicklung", heißt es in dem offenen Brief. Angesichts der Höhe des anscheinend unerwarteten Defizits in diesem Jahr stellt sich auch die Frage, wie die Gesellschafter und der Aufsichtsrat des Instituts bisher agierten - und welche Vision sie nun für Grimme haben. Grimme-Aufsichtsratschef Jörg Schönenborn gehört als Programmdirektor Information, Fiktion und Unterhaltung des Westdeutschen Rundfunks zu den prominentesten und einflussreichsten Journalisten Deutschlands und gilt als ein möglicher Nachfolger von WDR-Intendant Tom Buhrow, der Ende 2024 den Sender verlassen wird. Anfragen, wie er die Entwicklung des Grimme-Instituts sieht, wann mit der Suche nach der Gerlach-Nachfolge begonnen wird und warum der Aufsichtsrat vor einem Jahr nicht auf einen offenen Brief des Grimme-Fördervereins reagiert hat, obwohl darin bereits zahlreiche inhaltliche Kritikpunkte auch an der Institutsleitung geäußert wurden, blieben unbeantwortet. Schönenborn teilte mit, dass seiner Ansicht nach die Beantwortung solcher Fragen nicht Sache des Aufsichtsrats sei und verwies auf die Gesellschafter. Zu diesen gehört mit einem Anteil von zehn Prozent auch der WDR. Und der Vertreter des WDR in der Gesellschafterversammlung heißt - Jörg Schönenborn.