Berlin (KNA) Das Europäische Medienfreiheitsgesetz (European Media Freedocm Act/EMFA) ist nach dem sogenannten Trilog-Verfahren von Parlament, Rat und Kommission nun politisch beschlossen. Doch die Kritik vor allem der deutschen Verlegerverbände reißt nicht ab. Ein Gespräch mit der seit Ende 2022 amtierenden stellvertretenden Generaldirektorin für Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien, Renate Nikolay, über Missverständnisse, Transparenz und journalistische Standards. KNA-Mediendienst: Frau Nikolay, gerade aus Deutschland gab es und gibt es deutliche Vorbehalte gegen den EMFA. Hat Sie das erstaunt? Renate Nikolay: Ich würde sagen: teils-teils. Es sind nicht nur aus der Bundesrepublik Fragezeichen gekommen, sondern auch aus anderen Mitgliedsstaaten. Das ist nicht so verwunderlich, denn wir haben bisher noch nie den Medienpluralismus auf der Rechtsgrundlage des Binnenmarktes nach Artikel 114 des Europäischen Vertrages in einem Gesetz geregelt. Insofern ist das innovative Legislativarbeit, die man natürlich aus der Perspektive der nationalen Mitgliedstaaten auch anders bewerten kann, gerade wenn es um eine föderale Sicht wie in der Bundesrepublik geht. MD: Genau das wird Ihnen ja zum Vorwurf gemacht. Diverse Juristen sagen, dass die EU zu einer solchen Gesetzesinitiative, die die Kulturhoheit der Mitgliedstaaten betrifft, gar nicht ermächtigt sei und Artikel 114 nur als Krücke nehme, um den EMFA durchzusetzen. Nikolay: Unter Juristinnen und Juristen haben wir natürlich manchmal unterschiedliche Auffassungen zu den Grenzen unserer Kompetenzen. Aber wir haben hier schon im Vorfeld unseres Vorschlags eine umfangreiche inhaltliche Debatte innerhalb der Kommission geführt und das Ganze natürlich mit unserem juristischen Dienst unter Einbezug der europäischen Rechtsprechung geprüft. Und der juristische Dienst hat in einem Gutachten schwarz auf weiß festgehalten, dass Artikel 114 als Grundlage für diesen Rechtsakt gelten kann. Ich kann natürlich nicht garantieren, dass es nicht irgendwann vielleicht einen Kläger in der Sache geben könnte, aber ich bin zuversichtlich, dass wir unsere Hausarbeiten gut gemacht haben. MD: Was sagen Sie zu den konkreten Vorwürfen, wie sie jetzt die deutschen Verlegerverbände BDZV und MVFP anlässlich der politischen Einigung nochmals geäußert haben? Sie beklagen, dass hier eine behördliche Aufsicht über die Presse etabliert werde. Und sie erheben den Vorwurf, dass Verlage nicht mehr über redaktionelle Inhalte entscheiden dürften, aber weiterhin voll für diese Inhalte verantwortlich sein sollen. Nikolay: Wir haben beim EMFA jetzt eine politische Einigung im Rahmen des Trilogs erreicht, aber natürlich noch nicht den finalen Text verabschiedet. Das passiert in den kommenden Monaten sowohl im Rat als auch im Parlament, und dann wird diese endgültige Fassung veröffentlicht. Ich bin mir nicht sicher, ob hier einige Kritiker vielleicht noch ein bisschen in alten Fassungen des EMFA festhängen. Die Sorge, dass die Kommission nun in die Pressefreiheit eingreifen würde - das ist sehr klar nicht der Fall. Das Thema "redaktionelle Freiheit" wird von der Kommission überhaupt nicht angetastet. MD: Vielleicht nicht von der Kommission direkt. Aber wie sieht es mit dem geplanten European Board for Media Services aus, das die Umsetzung des EMFA steuern und kontrollieren soll? Nikolay: Auch das neu zu schaffende Board, das sich mit Medienpluralismus beschäftigt, wird sich dieser Fragen nicht annehmen. In diesem Board spielt übrigens auch die Kommission längst nicht mehr eine so aktive Rolle, wie es im ursprünglichen Vorschlag mal vorgesehen war. Die Unabhängigkeit des Boards von der Kommission ist in der jetzt im Trilog entstandenen Fassung sehr klar gestärkt worden. Allerdings gibt es vonseiten einiger Stakeholder einfach diese grundsätzliche Haltung, dass sie überhaupt nicht wollen, dass man sich mit der redaktionellen Freiheit in irgendeiner Form befasst. Da haben wir abwägen müssen. Es gibt nämlich auf der anderen Seite großes Interesse bei Journalistinnen und Journalisten, die von Anfang an dafür waren, dass es in allen Medienhäusern gewisse Regeln und Schutzmechanismen gibt, um ihre freie Arbeit zu garantieren. MD: Erwarten Sie, dass das den Kritikern des EMFA reicht? Nikolay: Noch mal: Es geht uns nicht darum, in die Details von Unternehmen hineinzugucken. Das war auch niemals die Intention. Der EMFA soll für einen angemessenen Rahmen für die journalistische Arbeit in den Unternehmen sorgen und eine Debatte in den Medienhäusern anregen, wie man die Freiheit und Unabhängigkeit des Journalismus dort sichert. MD: Kann die kritische Haltung gerade aus Deutschland auch daran liegen, dass hier vor allem die häufig familiengeführten Verlagshäuser mit umfassender Transparenz gern mal auf Kriegsfuß stehen? Nikolay: Ich möchte hier keine individuellen Verlage nennen. Aber wenn es um eine Stärkung der Interessen der Journalistinnen und Journalisten geht, ist das vielleicht etwas, was bestimmte Verlage im Moment noch nicht so auf ihrer Agenda haben. Das bedeutet aber überhaupt nicht, dass der unternehmerische Gedanke oder die Tendenz eines Verlages nicht mehr zählen. Darum geht es uns nicht. Es geht darum, ein System zu erleichtern und zu unterstützen, in dem Journalisten ihre Tätigkeit frei ausüben können. MD: Haben wir es hier auch mit dem berühmten Europa der zwei Geschwindigkeiten zu tun? Journalisten aus EU-Ländern wie Bulgarien und Rumänien plädieren ja beispielsweise vehement für entsprechende Regelungen. Sie sagen, dass ihre eigenen Institutionen und Medienhäuser nicht in der Lage seien, solche Garantien zu geben, weil sie politisch oder staatlich unter Druck stehen. Nikolay: Genau, das ist in der Tat eine Sorge in einigen Mitgliedstaaten und andersherum ein großer Wunsch der dortigen Pressevertreter, dass hier der EMFA helfen kann. Transparenz ist dabei ein wichtiger Aspekt: Zu wissen, wer steht hinter einem bestimmten Medium, wo kommen die Gelder dafür her. Dazu gehört auch gerade Transparenz bei den öffentlich-rechtlichen Medien. Hier geht der EMFA manchen vielleicht sogar nicht weit genug, während andere Mitgliedstaaten, die ein sehr solides System zur Absicherung von Medienfreiheit haben, fragen: Wozu brauchen wir das überhaupt? Es ist aber wichtig, dass wir entsprechende Mindeststandards einführen. MD: Nun gibt es in Deutschland die Befürchtung, der EMFA könnte die hier geltenden Standards verwässern und die Arbeit beispielsweise des Deutschen Presserats erschweren. Nikolay: Ich glaube, das war eine Lesart des ursprünglichen Gesetzentwurfs, die wir so nie beabsichtigt hatten. Im Rahmen der Verhandlungen über den aktuellen Text ist da aber Klarheit geschaffen worden: Es geht um Mindeststandards. Das heißt, wenn Mitgliedstaaten wie Deutschland ein höheres Schutzniveau haben, muss nichts reduziert oder nach unten korrigiert werden. Das war eine wichtige Debatte, und wir sind dadurch ein großes Stück zusammengekommen und haben diese Befürchtungen jetzt hoffentlich völlig nehmen können. MD: Was aber sagen Sie zu dem Vorwurf, dass genau in Ländern, für die der EMFA sozusagen besonders "gemeint" ist, der Bock zum Gärtner gemacht wird? Manche Kritiker sagen, eine Umsetzung und Prüfung der Mindeststandards sei dort gar nicht möglich, weil deren Medienaufsichtsbehörden am Gängelband der Regierungen hängen. Nikolay: Der EMFA ist keine Richtlinie, die von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden muss. Wenn das Gesetz so verabschiedet wird - wie gesagt, der Schritt steht noch bevor, im Moment haben wir erst mal die politische Einigung - ist es eine Verordnung, die direkte Wirkung entfaltet. Außerdem haben wir ein Board mit den ganzen nationalen Medienbehörden geschaffen, die sich gemeinsam dieser Themen annehmen können. Beispielsweise, wenn es in einem Mitgliedstaat zu einer extremen Medienkonzentration kommen sollte. Da geht es dann nicht um die Initiative einer Behörde aus diesem Staat, die vielleicht unter einem gewissem staatlichem Einfluss steht. Sondern hier kann das Board von sich aus eingreifen, eine Meinung abgeben und so politischen Druck aufbauen. Wie immer, wenn man mit Mindeststandards arbeitet, muss das mit Leben gefüllt werden. Man muss dann auch die Courage haben, in bestimmten Situationen mit diesem System zu spielen. Als absolut letzten Schritt könnte die Kommission auch ein Vertragsverletzungsverfahren anstrengen. MD: Der EMFA muss nun von Parlament und Rat verabschiedet werden. Rechnen Sie damit, dass das Ganze hier nochmals inhaltlich aufgeschnürt wird? Nikolay: Ich hoffe nicht. Der EMFA ist ein sehr innovatives Instrument, bei dem wir die berechtigten Interessen von Mitgliedstaaten ausbalancieren mussten und einen guten Kompromiss gefunden haben. Jetzt müssen wir sicherstellen, dass die Mehrheiten für diesen Kompromiss auch da sind. Es steht noch ein bisschen Arbeit an den Erwägungsgründen an, das ist mehr technischer Natur, aber da kann man sicher auch noch mal das ein oder andere klarstellen. Ich bleibe zuversichtlich, dass wir diese Schritte in den ersten drei Monaten des neuen Jahres gehen können und der EMFA vor den Europawahlen im Juni Realität wird.