Von Wundertüten und Lootboxen - Doku über ein fragwürdiges Gaming-Geschäftsmodell

Von Christan Bartels (KNA)

DOKUMENTATION - Bei Computerspielen wie der "Fifa"-Reihe können sogenannte Lootboxen beim Gewinnen helfen. Das Geschäft mit dem teuren zusätzlichen Zubehör, das sich auch an junge Gamer richtet, ist in Belgien verboten und gilt in Österreich als Glücksspiel.

| KNA Mediendienst

alt

"Glücksspiele für Kinder? - Wie Fifa & Co an Kids verdienen"

Foto: Blue Silver GmbH/WDR/KNA

Berlin (KNA) Die Fifa? Das ist doch dieser Weltfußballverband, dessen unsympathische Art, um jeden Preis immer noch mehr Geld aus Fußball und dem Drumherum herauszuschlagen, immer dann besonders auffällt, wenn das nächste WM-Turnier ansteht? Ja, aber nicht nur. "Fifa" heißt auch eine sich seit gut drei Jahrzehnten entwickelnde Computerspielreihe (seit vergangenem Jahr unter dem neuen Namen "EA Sports FC 24"), deren Regeln und Mechanismen global unzählige Fans gewonnen hat, die online gegeneinander spielen. Darauf zielt der Titel "Glücksspiele für Kinder? Wie FIFA & Co an Kids verdienen" (ARD, 15. Januar, 23.50 bis 0.35 Uhr) ab. Die 45-minütigen Doku aus der Rubrik "Die Story" im ARD-Programm führt gut in diese komplexe, in klassischen Medien selten beleuchtete Materie ein. Im üblichen Intro, das mit einem Zusammenschnitt spannender Ausschnitte gespannt aufs Folgende machen will, sagt einer, der sich später als der Suchtbeauftragte des Bundes erweisen wird: "Unter 18 bitte nicht, weil Glücksspielsucht". Worauf sogleich ein 17-Jähriger aus Hessen, der sich ordentlich erst mal die Schuhe auszieht, wenn er das Haus betritt, demonstriert, wie er "Points kaufen" muss, um "Packs" zu öffnen, in denen idealerweise Fußballer wie Ronaldo, Mbappe, Messi beziehungsweise deren virtuelle Simulationen stecken. Was genau in solchen "Lootboxen" - Wundertüten-artigen "Schatzkisten" mit virtuellen Spielfiguren oder Zubehör, die man in Games für echtes Geld kaufen muss - steckt, weiß vor dem Kauf allerdings niemand. Jedenfalls hat der börsennotierte US-Konzern Electronic Arts (EA) allein 2021 durch Lootboxen-Verkauf in "Fifa"-Games rund 1,6 Milliarden Dollar eingenommen. Ein anonymisierter junger Patient einer Gütersloher Klinik für Suchtkranke erzählt, dass er so mehr als 50.000 Euro "verspielte". Man müsse anfangs erst mal "zwei-, dreitausend Euro direkt investieren, um konkurrenzfähig zu sein", sagt der professionelle Gamer Tim Latka, der nach eigenen Angaben mit acht Jahren begann, Lootboxen zu kaufen, und sich später zum Kritiker dieses Geschäftsmodells wandelte. All das geschieht im ohnehin von vielen Aspekten der Digitalisierung überforderten Deutschland weitgehend unreglementiert. Das von der Grünen Lisa Paus geführte Bundesfamilienministerium verweist schriftlich an die Pressestelle der Unterhaltungssoftware elbstkontrolle (USK), die noch "Fifa 22" ab null Jahren freigab, da deutsche Gesetze Lootboxen nicht als "jugendschutzrelevant" betrachten. Belgien dagegen hat sie als erstes Land in Europa verboten. Und der Wiener Jurist Richard Eibl schildert, wie er ein Verfahren gegen Electronic Arts gewann, bei dem Lootboxen als illegales Glücksspiel eingestuft wurden und die Firma gut 10.000 Euro zurückzahlen musste. Die Krux dahinter: Wenn Gewinne möglich sind, doch kein realer Geldgewinn ausgezahlt wird, handele es sich nicht um Glücksspiel, laute eine gängige Argumentation der Lootbox-Verkäufer, so der Augsburger Jurist Martin Maties. Da aber auf Schwarzmärkten im Internet "Fifa"-Lootboxen-Inhalte doch global für echtes Geld weiterverkauft werden, obwohl die Allgemeinen Geschäftsbedingungen dies verbieten, sieht österreichische Rechtsprechung das nun anders. Doch dass auch in Deutschland entsprechende Games höchstrichterlich zu Glücksspiel erklärt werden, hält Maties für unwahrscheinlich. Denn dann müssten Käufe im Wert von vielen Milliarden Euro rückabgewickelt werden. Hier kommt in der Doku der Drogen- und Suchtbeauftragte Burkhard Blienert ins Spiel, der sich als einziger Regierungsvertreter im Film äußert und zurückhaltend für Altersbeschränkung ("USK null heißt nicht risikolos") plädiert. Auf knappem Raum von 45 Minuten umreißt der Film eine auf vielen Ebenen komplexe Materie, die viele Nicht-Gamer kaum kennen. Da ist die zwölfjährige Alena, die sich an den "gutaussehenden Charakteren" des auf diversen Geräten kostenlos spielbaren Spiels "Genshin Impact" erfreut und dafür manchmal Lootboxen erwirbt, indem sie 30 Euro teure Guthaben-Aufladekarten bei Edeka kauft. Dieses Guthaben muss im Game dann in "Schöpfungskristalle" umgewandelt werden, was im virtuellen Spiel Chancen bietet, aber in der Realität auch dazu führen kann, dass man den Überblick über die tatsächlichen Ausgaben verliert. Was Alena übrigens bewusst ist. So gelingt es dem Film, alle ernstzunehmen: Experten unterschiedlicher Bereiche ebenso wie Minderjährige. Das bietet den echten Vorteil, dass Eltern sich den Film auch gemeinsam mit Teenager-Kindern ansehen und alle jeweils etwas Neues erfahren dürften. Wofür wohl die Mediathek eher infrage kommt als der fastmitternächtliche Sendetermin um 23.50 Uhr. Selbstredend gelingt diese Fokussierung durch das Ausblenden vieler weiterer Fragen. Worin genau die globale Faszination der "Fifa"-Games besteht, in denen es auch auf Geschicklichkeit ankommt, lässt sich nur erahnen - zweifellos nicht zuletzt aus urheberrechtlichen Gründen. Auf Medienrechte achtet die Fifa schließlich genau. Wohin die Geldströme fließen, im Falle von "Genshin Impact" etwa nach China, oder über den schwelenden Lizenzenstreit zwischen der Fifa und dem Games-Konzern EA erfährt man nichts. Doch in 45 Minuten lässt sich all das nicht auch noch thematisieren. In der Hälfte eines klassischen Fußballspiels bringt diese "Story" kompakt eine Menge brisantes Wissen mit Nutzwert unter.

Lesen Sie weiter auf www.KNA-News.de