Mut zur Künstlichen Intelligenz

Von Johanna Bernklau

Seit rund einem Jahr spielt ChatGPT in deutschen Redaktionen eine Rolle. Und was für eine! Dabei schwingt Hoffnung, aber auch immer noch viel zu viel Angst mit, meint Medienjournalistin Johanna Bernklau. Sie fragt sich, warum viele Journalisten im Umgang mit KI so fremdeln.

| KNA Mediendienst

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Logos verschiedener KI-Apps

Foto: Friedrich Stark/IMAGO/KNA

Berlin (KNA) Nach dem Durchbruch von ChatGPT hat sich Künstliche Intelligenz im vergangenen Jahr rasant weiterentwickelt. Für Medienhäuser waren die vergangenen Monate deshalb geprägt von KI-Experimenten. Einige haben sich KI-Richtlinien gegeben, andere haben ziemlichen KI-Mist gebaut. Und einige Journalisten haben Angst: vor einem Werteverfall der journalistischen Arbeit. Oder vor Kündigungen. Aber die journalistische Neugier und ein verantwortungsvoller Umgang damit sollten stärker sein. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat im April ein Positionspapier zum Einsatz von KI im Journalismus veröffentlicht. Darin ruft er zu einem "sorgfältigen und differenzierten Umgang" mit KI auf. Die Einleitung des Papiers klingt aber so gar nicht danach. Eher so, als hätte man vor allem Angst vor der neuen Technologie und deren Machern: Angst vor einem unkontrollierten Einsatz von KI, Angst vor einer Ausnutzung journalistischer Inhalte als Datengrundlage für KI, Angst vor einem "Kollegen KI", der Redakteurinnen und Redakteure ersetzt. Das sind valide Punkte, die ernst genommen werden müssen. Das zeigt allein die Praxis des Medienhauses Axel Springer, das in den vergangenen Monaten immer wieder wegen Entlassungen im Zusammenhang mit einer geplanten KI-Offensive in die Schlagzeilen kam. Springer-Chef Mathias Döpfner sieht die KI-Zukunft absolut schwarz-weiß ("Es geht um alles oder nichts") und hat erklärt, dass nicht nur Print-Zeitungen künftig von KI gelayoutet werden und CvDs im Print von KI ersetzt werden sollen - sogar KI-basierte Chefredakteure in Avatargestalt kann er sich tatsächlich vorstellen. Doch nicht nur Döpfner hat wilde Ziele mit Künstlicher Intelligenz, auch so manche Redaktion hat im vergangenen Jahr wilde Dinge mit KI angestellt und sich dabei den ein oder anderen KI-Fail geleistet. Auch das kann Angst machen: Burda etwa ließ eine Ausgabe ihrer Rezeptzeitschrift "Lisa - Kochen und Backen" komplett von Künstlicher Intelligenz erstellen, Texte und Fotos inklusive. Vermerkt wurde das allerdings nirgends. Oder die Autorin Karla Indernach des "Kölner Express", die sogar ein Profilfoto hat, aber gar kein echter Mensch ist. Das erfährt man allerdings nur, wenn man auf ihr "Autorinnen"-Profil klickt. Nicht zu vergessen: Der Fall der Funke-Illustrierten "Die Aktuelle". Die Zeitschrift veröffentlichte im April ein Fake-Interview, das sie angeblich mit dem ehemaligen Formel-1-Rennfahrer Michael Schumacher geführt hatte, den die Medienöffentlichkeit seit seinem schweren Unfall nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Nur im Kleingedruckten erfuhr man dann auf der entsprechenden Seite, dass nicht Schumacher, sondern eine KI der Gesprächspartner für das Interview gewesen war. Das blieb nicht ohne Konsequenzen: Schumachers Familie kündigte rechtliche Schritte gegen "Die Aktuelle" an, Chefredakteurin Anne Hoffmann wurde gefeuert und der Presserat erteilte eine Rüge für das Fake-Interview. Für derartige ethische und moralische Entgleisung liefert eine KI natürlich neues Versuchungspotenzial. Doch die, die sich für ein Fake-Interview oder eine Fake-Autorin entscheiden, sind immer noch die Journalisten selbst. KI hin oder her: Solange sie keine Chefredaktion ersetzt (Grüße an Mathias Döpfner), liegt die Verantwortung bei echten Menschen. Und solange echte Menschen ethische Maßstäbe ignorieren, kann die Schuld nicht auf Künstliche Intelligenz geschoben werden. Dass journalistische Grundregeln, egal ob mit oder ohne KI, natürlich weiterhin gelten und eingehalten werden müssen, wird übrigens sowohl im DJV-Grundsatzpapier als auch in den meisten KI-Richtlinien der Medienhäuser betont. Was in den ganzen Richtlinien, Regeln und Grundsätzen aber untergeht: Das große Potenzial, das Künstliche Intelligenz für den Journalismus mitbringt. KI gibt uns jetzt oder in Zukunft die Chance, die Arbeit von Journalisten zu erleichtern: Nervige Nachrichtenschichten übernehmen, umfangreiche Datenanalysen auswerten, Archive organisieren, Investigativrecherchen unterstützen, Kommentarspalten von Hass und Falschnachrichten befreien. Nie alleine, nie unbeaufsichtigt, aber unterstützend. Selbst komplett neue Ideen können mithilfe von KI umgesetzt werden: Der Bayerische Rundfunk etwa hat die Regionalität seines Hörfunkangebotes mit Künstlicher Intelligenz gestärkt. Bei dem BR-Projekt "Remix Regional" wurden individuelle Hörerprofile erstellt, so dass Hörer auch über Regionalgrenzen hinweg die Nachrichten in den Feed gespielt bekommen, die nicht nur für den eigenen Wohnort, sondern beispielsweise auch für die ehemalige Heimat interessant sind. Auf der anderen Seite kann KI den Qualitätsjournalismus selbst wieder neu stärken. Während sich gerade viele fragen, wo KI journalistische Arbeit vielleicht mal ersetzen könnte, sollten sich Journalisten vielleicht eher fragen, wo ihre Kernkompetenz eigentlich liegt und was sie auszeichnet. Die Medienkritikerin Nadia Zaboura meint, Journalisten sollen sich nicht darauf konzentrieren, wo sie verwechselbar - sprich von einer KI ersetzbar - seien, sondern: "Wo sind wir unique, wo sind wir einzigartig?". Das fragte Zaboura im Dezember bei der Veranstaltung "Ist das KI oder von dir?" in Köln. Ja, was können wir denn besonders gut? Wahre Geschichten erzählen. Komplexe Sachverhalte herunterbrechen. Relevante Nachrichten finden. Kontext herstellen. Fakten checken. Das kann Künstliche Intelligenz nicht alles. Aber sie kann uns dabei helfen. Was würde passieren, wenn wir Künstliche Intelligenz nicht als vernichtende Allzweckwaffe, sondern als hilfreiches Tool verstehen würden? Würden wir die davon ausgehende Gefahr verkennen? Oder könnten wir besseren Journalismus machen? Johanna Bernklau ist Medienjournalistin und beschäftigt sich vor allem mit der digitalen Transformation. Sie studierte Journalistik und Politikwissenschaften an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Aktuell macht sie in Leipzig ihren Master in Datenjournalismus und gehört zum Autorenteam des Medienblogs "Altpapier".

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