Mehr ARD-Strukturreform als digitaler Aufbruch - Der "Zukunftsrat" hat seinen Namen verfehlt

Von Leonhard Dobusch

Der sogenannte Zukunftsrat schlägt viel zur künftigen Struktur der ARD vor, präsentiert zum Thema Netz und Medienplattformen aber eher eine Leerstelle, meint der Organisationsforscher und ZDF-Verwaltungsrat Leonhard Dobusch.

| KNA Mediendienst

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Leonhard Dobusch

Foto: Andrea Enderlein/ZDF/KNA

Innsbruck (KNA) Vielleicht ist auch nur die Bezeichnung "Zukunftsrat" das Problem. Der im März 2023 von den Ländern als Rundfunkgesetzgeber eingesetzte "Rat für die zukünftige Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (Zukunftsrat)" hat nämlich einen Bericht vorgelegt, der eher zu einem "Rat für Governance- und Strukturreform der ARD" gepasst hätte. Herzstück des gut 30-seitigen und von allen acht Zukunftsratmitgliedern mitgetragenen Berichts sind Vorschläge für die Ablösung der "Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands" (ARD) durch eine ARD-Anstalt. Ziemlich genau ein Drittel des Papiers widmet sich den diesbezüglichen Vorschlägen. Detailliert werden auf Seite 19 in einer Liste mit 17 Punkten die "Aufgaben und Pflichten" der Geschäftsleitung dieser ARD-Anstalt angeführt, nur um sie dann sechs Seiten später noch einmal fast identisch erneut aufzulisten. Gleich der zweite Punkt dieser Liste nach "Auftragserfüllung" lautet "die Strategieentwicklung zur Vorlage beim Verwaltungsrat". Dieser soll nämlich in der ARD-Anstalt "die strategische Gesamtverantwortung" inne haben. Auch was die Zusammensetzung so eines Verwaltungsrats betrifft, ist der Bericht des Zukunftsrats überaus spezifisch: "Im Verwaltungsrat sitzen unabhängige Persönlichkeiten mit einschlägigen fachlichen Kenntnissen und Erfahrungen, etwa drei aus dem Bereich der Medien, zwei mit ausgewiesener Managementerfahrung und vier 'Weise' mit besonderer Sensibilität für den Angebotsauftrag." Wie einer zu stark parteipolitisch geprägten Auswahl dieser Verwaltungsräte vorgebaut werden könnte, wird im Bericht allerdings nicht erörtert - im Gegenteil, die unveränderte Besetzungslogik der in Medienräte umbenannten Rundfunkräte macht so eine Auswahl durchaus wahrscheinlich. Auch vor diesem Hintergrund ist der vorgeschlagene Machtzuwachs des Verwaltungsrats zu hinterfragen. Denn der Verwaltungsrat soll nicht nur der statt einer Intendanz vorgeschlagenen "kollegialen Geschäftsleitung" die Strategie vorgeben, er soll die Geschäftsleitung auch auswählen, "im Einvernehmen mit dem Medienrat". Bislang ist die Wahl der Intendant:innen den größeren, die Gesellschaft repräsentierenden Rundfunk- und Fernsehräten vorbehalten, der Verwaltungsrat des ZDF hat bei der Wahl der Intendanz nichts mitzureden. Unmittelbar auf die zehn detaillierten und teilweise redundanten Seiten über Gremien- und Strukturreform der ARD-Anstalten folgen dann eineinhalb Seiten über "Digitale Technologie: Eine gemeinsame technische Lösung für ARD, ZDF und Deutschlandradio". Die darin vorgeschlagene, gemeinsame Infrastrukturgesellschaft kann durchaus sinnvoll sein, Überlegungen zu Potenzialen so einer Einrichtung über die Erbringung bestehender Mediatheksdienstleistungen hinaus wird aber nicht einmal angedacht. Dabei liegt es eigentlich nahe, öffentlich-rechtliche Digitalinfrastruktur auf Basis offener Software, Standards und Protokolle zu entwickeln und auf diese Weise neue Formen von digitalem Public Value jenseits des Programmauftrags zu liefern. Sei es, weil offene Software auch anderen die Mitnutzung und -entwicklung erlaubt, sei es, weil öffentlich-rechtliche Digitalplattformen und Services wie Login und Altersverifikation von Dritten mitgenutzt werden können. Neben dem völligen Fehlen von Ideen und Vorschlägen zur Öffnung öffentlich-rechtlicher Digitalplattformen (auch was Publikumsinteraktion betrifft), sind es zwei weitere besonders zukunftsträchtige Digitalbereiche, die im Bericht fast völlig unerwähnt bleiben: Es geht um die Drittplattform- und Ökosystemstrategien. Auch abgesehen vom öffentlich-rechtlichen Jugendangebot Funk, das schon heute fast ausschließlich auf Drittplattformen wie YouTube, Instagram oder TikTok sein Publikum findet, haben diese "globalen Plattformen" längst eine große und ständig wachsende Bedeutung für öffentlich-rechtliche Medien. Angesichts dessen ist es schon erstaunlich, dass das Zukunftsratspapier deren Rolle darauf reduziert, dass sie "in erster Linie dem Zweck dienen [sollen], [sonst nur schwer erreichbare] Nutzerinnen und Nutzer auf die eigenen Dienste überzuleiten". Weder wird zwischen verschiedenen Kategorien von reichweitenstarken Drittplattformen (zum Beispiel profitorientiert-datenkapitalistischen wie YouTube oder commonsbasiert-gemeinnützigen wie Wikipedia) unterschieden. Noch wird die Frage diskutiert, inwieweit der öffentlich-rechtliche Auftrag überhaupt angemessen erfüllt werden kann, ohne sich stärker auf diese Plattformen einzulassen. Dieses Ausblenden von Drittplattformen wäre dann vielleicht noch verständlich, wenn dem eine klare Vision für die Etablierung eines eigenen, öffentlich-rechtlichen Ökosystems entgegengesetzt worden wäre. In so einem Ökosystem müssten öffentlich-rechtliche Medien nämlich neue Rollen und Aufgaben übernehmen, wie beispielsweise die Kuratierung, Einbindung und Moderation von externen Inhalten auf öffentlich-rechtlichen Plattformen. Neue Rollen und Aufgaben, die eine entsprechende Erweiterung des Auftrags erfordern würden. Doch dem ist nicht so. Aber was, wenn nicht solche Fragen, sollten in einem "Zukunftsrat" erörtert werden? Leonhard Dobusch (43) ist seit 2016 Professor für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Organisation an der Universität Innsbruck. Im gleichen Jahr wurde er für den Bereich "Internet" in den ZDF-Fernsehrat berufen und im März 2022 in den ZDF-Verwaltungsrat gewählt.

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