Deutschlandradio-Intendant Raue: "Berichterstattung über die AfD enthysterisieren"

Von Steffen Grimberg und Alexander Riedel (KNA)

MEDIENPOLITIK - Stefan Raue rät im Interview zu einem gelasseneren Umgang mit der AfD, kann den Empfehlungen des Zukunftsrats zur Reform der Öffentlich-Rechtlichen einiges abgewinnen und hält zwei Amtszeiten als Intendant für genug.

| KNA Mediendienst

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Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue

Foto: David Ertl/Deutschlandradio/KNA

Berlin (KNA) 1994 wurde aus dem damaligen Deutschlandfunk, RIAS Berlin und DS Kultur der nationale Hörfunk für das vereinigte Deutschland geschaffen. Zum 30. Geburtstag steht auch das Deutschlandradio vor großen Herausforderungen. Intendant Stefan Raue im Interview über Reformideen, den Umgang mit der AfD sowie sein Gehalt. KNA-Mediendienst: Herr Raue, im Bericht des Zukunftsrats wird die ARD 132 Mal genannt - Deutschlandradio kommt bloß 37 Mal vor. Fühlen Sie sich da eigentlich ausreichend berücksichtigt? Stefan Raue: Ja, auf jeden Fall. Der Zukunftsrat hat sich die Mühe gemacht, die einzelnen Bestandteile des öffentlich-rechtlichen Systems intensiv zu durchleuchten und sich Perspektiven für uns, das ZDF und die ARD zu überlegen. In dieser Beschreibung haben wir uns deutlich wiedergefunden. Insofern sind wir sehr zufrieden damit. MD: Nun heißt es in dieser Beschreibung des Zukunftsrats, Deutschlandradio nehme eine Sonderstellung ein, weil es Zielgruppen bediene, die vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk wenig und von privatwirtschaftlichen Angeboten gar nicht angesprochen werden. Ist das tatsächlich so? Ihr Publikum besteht doch aus den treuesten Anhängern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks! Raue: Natürlich bieten wir Sendungen und Programme, die sehr, sehr viele Menschen erreichen. Alle drei Wellen haben in den letzten Jahren erfreulich an Reichweite zugelegt, der Deutschlandfunk gehört als einziges Informationsprogramm zu den Top Ten der meistgehörten Programme in Deutschland. Aber wir haben auch Angebote wie das künstlerische Hörspiel, klassische Musik oder aufwendige Features, die nur eine kleine, anspruchsvolle Klientel erreichen. ZDF und ARD arbeiten da mit anderen Grundkonzepten und einer viel größeren Spannbreite. Da spielen Bereiche wie Unterhaltung, Show und Sport eine deutlich größere Rolle als im nationalen Hörfunk. Insofern haben wir schon von vornherein eine etwas andere Zuspitzung und Zielgruppe. MD: Apropos nationaler Hörfunk: Der Zukunftsrat sagt auch, Deutschlandradio solle seinem Namen gerecht werden und sich nicht so stark auf die Standorte Berlin und Köln fokussieren. Raue: Diese Diskussion führen wir auch hausintern. Und das ist nicht so sehr eine Diskussion Berlin und Köln gegen den Rest der Welt, sondern es geht darum, ob Programme, die aus Millionenmetropolen stammen wie Berlin oder der Rheinschiene und dem Ruhrgebiet, ein ausreichend feines Sensorium für das haben, was im Rest der Republik passiert? Von daher haben wir diesen Hinweis des Zukunftsrats als sehr wegweisend und richtig empfunden. MD: Eine aktuell vieldiskutierte Frage ist die nach dem redaktionellen Umgang mit der AfD - gibt es bei Deutschlandradio dafür Richtlinien, welche Marschrichtung würden Sie als Intendant ausgeben? Raue: Wir führen hier eine sehr offene Diskussion, an der ich mich auch vor allem als Journalist beteilige. Das ist nichts, was man top-down regeln kann, sondern etwas, wo wir alle Neuland betreten. Wir müssen unsere Rolle als Forum und Spiegel der Gesellschaft ernst nehmen. Wir sind keine Akteure, sondern ein Resonanzboden für das, was in der Gesellschaft verhandelt und diskutiert wird. Ich rate daher sehr dazu, die Berichterstattung über die AfD zu enthysterisieren, sie professionell zu beobachten und zu beurteilen. Wir sollten sie nicht zum Inbegriff aller Opposition machen, das überbetont auch ihre Bedeutung in der politischen Landschaft. Wenn jede politische Entscheidung vor dem Hintergrund gesehen wird, wie könnten die AfD und ihre Klientel darauf reagieren, ist das ein Irrweg. Sie ist eine gewählte Partei und als solche zu behandeln und kritisch zu beobachten - aber wir sollten das Ganze insgesamt etwas kühler betrachten. MD: Sie würden also nicht sagen, weil die AfD im Prinzip den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abschaffen will, hat der auch das Recht, sich dagegen zu verteidigen und zu wehren? Raue: Wir dürfen nicht unkritisch gegenüber der AfD sein und müssen klar sagen, was in dieser Partei passiert und gedacht wird. Aber die Berichterstattung über die AfD kann nicht dem Selbstverteidigungsinteresse der öffentlich-rechtlichen Medien folgen. Verteidigen müssen wir uns auf anderen Feldern, nicht in der Berichterstattung über die AfD. MD: Zurück zum Zukunftsrat: Das Expertengremium sagt auch, Deutschlandradio müsse seine Ressourcen viel entschlossener Richtung Digitalisierung umschichten. Sind Sie da zu langsam? Raue: Ja, diese Kritik nehme ich natürlich an. Auch unsere jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sagen, ihr seid noch zu stark in der alten Radiowelt drin. Allerdings haben wir es gleichzeitig mit der erfreulichen Tatsache zu tun, dass unsere klassischen linearen Radioprogramme sehr erfolgreich sind und wir bei allen Dingen, die wir verändern, immer aufpassen müssen, dass dieses sehr anspruchsvolle Publikum nicht das Gefühl bekommt, wir würden uns von ihm abwenden. Es gibt eine Zäsur, ungefähr bei den 40-Jährigen. Die Jüngeren orientieren sich sehr stark in der digitalen Welt und hören viel on demand, während die über 40-Jährigen dem linearen Radio treu bleiben. Wir richten uns mit unseren Inhalten an beide Publika, die wir vernünftig und seriös bedienen müssen. Das macht so einen Paradigmenwechsel für uns noch einmal erheblich komplizierter. MD: Was tun Sie denn konkret, um digitaler zu werden? Raue: Unsere Programmdirektorin Jona Teichmann verfolgt seit zwei Jahren eine neue Digitalstrategie, die neue Formatideen unterstützt, aber vor allem dem Thema Distribution viel stärkere Bedeutung als früher zuweist. Wir verbreiten unsere Programme ja über verschiedene Drittplattformen, über die wir noch mal ganz andere Zielgruppen erreichen. MD: Bleiben wir noch einen Moment beim Zukunftsrat. Was halten Sie von den Ausführungen zum Medienrat als neuem Aufsichtsgremium und vor allen Dingen von einem gestärkten Verwaltungsrat? Raue: Wir haben hier als Deutschlandradio eine Sonderkonstruktion, wir sind anders als die anderen Anstalten eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit den Mitgliedern ARD und ZDF. Das bedeutet, dass in unserem Verwaltungsrat von den zwölf Mitgliedern sechs von ARD und ZDF kommen, drei von den Ländern und eines vom Bund. Zwei Mitglieder werden als Sachverständige vom Hörfunkrat gewählt, sie bringen bereits das geforderte besondere Fachwissen in Sachen Medien und Finanzen mit. MD: Der Zukunftsrat regt grundsätzlich eine kollegiale Führung der Häuser an - hier haben mehrere Intendanten schon offiziell oder inoffiziell verlauten lassen, dass sie das für keine gute Idee halten. Wie sieht es bei Ihnen aus? Raue: Ich bin seit sechs Jahren Intendant, seitdem habe ich unsere Geschäftsleitung als kollegial geführt empfunden. Wir haben eine wöchentliche Geschäftsleitungssitzung, in der offen diskutiert wird, und es hat nur ganz wenige Entscheidungen gegeben, bei denen der Intendant das letzte Wort gehabt hat. Es darf natürlich keine Selbstblockade dabei herauskommen. Das ist, glaube ich, die Sorge auch des ein oder anderen Kollegen. Wir haben bei uns sehr überschaubare Verhältnisse mit zwei Direktionen und einem Intendanten. Das sieht bei den großen Mehrländeranstalten der ARD ganz anders aus. MD: Eine laut Zukunftsrat offene Frage ist außerdem die nach der künftigen Rolle der Orchester und Chöre - diese "Klangkörper" gehören ja nicht im engeren Sinne zum öffentlich-rechtlichen Auftrag. Raue: Da fühle ich mich ein bisschen in der Rolle des Missionars und habe dem Zukunftsrat wie den Ländern empfohlen, sich unser Modell genauer anzuschauen. Als vor 30 Jahren Deutschlandradio gegründet wurde, hat man eine Vielzahl von Klangkörpern aus den ehemaligen Vorgängersendern gehabt. Es war klar, das kann nicht alleine Sache der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sein - und so wurde die Rundfunkorchester und -Chöre GmbH mit den vier Gesellschaftern Bund, Land Berlin, dem RBB und Deutschlandradio gegründet. Und das ist eine Konstruktion, die sich auch in schwierigen Lagen wie der Corona-Pandemie bewährt hat. MD: Die Rundfunkkommission der Länder hat nun ein Eckpunktepapier vorgelegt, wie es mit der Reform des öffentlich-rechtlichen Systems weitergehen soll. Dabei fließen einige Empfehlungen des Zukunftsrats ein, andere nicht. Gleichzeitig läuft das KEF-Verfahren zum Rundfunkbeitrag ... Raue: Das hat in der Tat eine gewisse Asynchronität. Wir sind eigentlich in einem geregelten Verfahren mit der KEF, die am 23. Februar ihre Empfehlung abgeben wird - und danach sind die Länder dran. Die Rundfunkkommission diskutiert Maßnahmen, die kurz- und mittelfristig wirken sollen. Und der Zukunftsrat hatte den Auftrag, langfristig zu überlegen. Das sind drei unterschiedliche Ebenen der medienpolitischen Diskussion. MD: Wobei für einige Länder doch ganz klar im Vordergrund steht, die von der KEF erwartete Empfehlung zur leichten Erhöhung des Rundfunkbeitrags zu verhindern! Raue: Aber die KEF hat ja nicht erst im letzten Jahr mit ihrem Prüfverfahren angefangen, zudem ist es durch die Länder in Kraft gesetzt und ist vom Verfassungsgericht gestützt. Das ist klar und transparent für alle Beteiligten. Es ist den Ländern völlig unbenommen, bei der KEF weitere Gutachten in Auftrag zu geben und Dinge neu bewerten zu lassen. Das ist eine Sache zwischen der Rundfunkkommission und der KEF. Aber das aktuelle Verfahren läuft. MD: Und wenn die Länder jetzt tatsächlich einfach nichts tun und die KEF-Empfehlung nicht umsetzen - lassen Sie sich dann bezirzen, die Erhöhung nicht in Karlsruhe einzuklagen? Raue: Ich glaube, alle Beteiligten sind aus dem Alter raus, wo man sich bezirzen lässt. Ich kann auch nicht für ARD und ZDF sprechen. Fragen Sie mich nach dem 23. Februar und wenn sich abzeichnet, wie die Länder mit der KEF-Empfehlung umgehen, noch mal. Dann kann ich Ihnen sagen, wie wir uns verhalten werden. MD: Eine Sache, wo sich Politik und Zukunftsrat ja einig sind, ist die gemeinsame technische Plattform. Würde Deutschlandradio zusätzliche Möglichkeiten bieten oder sagen Sie, das wird uns vielleicht ein bisschen zu groß und wir müssen sehen, wo wir da neben ARD und ZDF eigentlich noch bleiben? Raue: Da gibt es gleich mehrere Antworten: Der Zukunftsrat hat sich explizit zum Thema "technische Plattform" geäußert, und das halten wir für notwendig und sehr richtig. Denn das übersteigt die Möglichkeiten jedes Einzelnen, erst recht die eines kleinen Senders wie unserem. Dann muss uns aber auch klar sein, dass multimediale Plattformen in der Regel nicht zugunsten von Hörfunk und Audio funktionieren, sondern visuell gesteuert, vom Bewegtbild dominiert sind. Hier müssen wir schauen, dass Radio beziehungsweise Audio nicht der große Verlierer von multimedialen Darstellungsformen ist. MD: Und was hält Stefan Raue denn von der vom Zukunftsrat vorgeschlagenen neuen zentralen ARD-Anstalt? Raue: Da müsste zunächst mal geklärt werden, auf welcher Basis und mit welcher Befugnis und mit welcher rechtlichen Voraussetzung eine zentrale Einrichtung der ARD gegen den Willen einer Landesrundfunkanstalt Entscheidungen treffen könnte. Das ist der zentrale Knackpunkt. MD: Ein Thema mit großer Symbolkraft sind die Spitzengehälter im öffentlich-rechtlichen System. Diese sollen nun an den öffentlichen Dienst angeglichen werden. Sie verdienen aktuell 264.000 Euro im Jahr. Wären Sie bereit, hier einen Abschlag hinzunehmen? Raue: Die Rundfunkkommission spricht vom öffentlichen Sektor, das ist ein sehr weites Feld. Ich bin für 700 feste und 700 freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zuständig und verantworte einen Jahresetat von 260 Millionen Euro. Wenn ich mir so eine Aufgabe anschaue - völlig unabhängig davon, für welche Firma ich arbeite -, halte ich das Gehalt, das unser Verwaltungsrat mit mir vereinbart hat, für nachvollziehbar und gerechtfertigt. Das Gehalt des Intendanten bei Deutschlandradio ist übrigens am unteren Ende der Intendantengehälter im öffentlich-rechtlichen System angesiedelt. MD: Und wie sieht es mit der Empfehlung des Zukunftsrats aus, dass künftig nur noch zwei Amtszeiten für Intendanten und Direktoren zulässig sein sollen? Raue: Das kann ich nur persönlich beantworten, nicht für Deutschlandradio und nicht für zukünftige Zeiten. Ich persönlich halte das für richtig. Zwei Amtszeiten - also zehn Jahre - sind für eine so prägende Aufgabe wie Direktion oder Intendanz eine gute Zeit. MD: Deutschlandradio wird dieses Jahr 30 Jahre alt. Was planen Sie zum Jubiläum? Raue: Wir haben uns lange überlegt, wie wir damit umgehen. Wir wollen im ganzen Land präsent sein und werden das auch, in Form von verschiedenen kleinen und mittelgroßen Veranstaltungen - mit unseren Korrespondentinnen und Korrespondenten, Empfängen, mit wissenschaftlichen und kulturellen Veranstaltungen. Außerdem sind zwei Sommerfeste für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geplant sowie zwei Funkhausfeste für unser Publikum. Unsere "Denkfabrik" ist natürlich auch mit einbezogen, und wir sind an einer wissenschaftlichen Untersuchung zur Geschichte unseres Hauses beteiligt, die beim Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam angesiedelt ist. Das soll aber keine reine Unternehmensgeschichte werden, sondern die Gründung von Deutschlandradio aus Deutschlandfunk, RIAS und Deutschlandsender Kultur im Spiegel der deutschen Einheitsgeschichte aufrollen.

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