Säen und Ernten - Sehenswerte Arte-Doku über Hunger als strategische Waffe

Von Christian Bartels (KNA)

DOKUMENTATION - Die französische Arte-Doku "Hunger als Waffe - Russlands Getreidekrieg" zeigt hierzulande wenig beachtete, aber global wirksame Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine - und macht ganz nebenbei auf deutliche Unterschiede zu deutschen Produktionen aufmerksam.

| KNA Mediendienst

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"Hunger als Waffe - Russlands Getreidekrieg"

Foto: AP Archives/Arte France/KNA

Berlin (KNA) Beim deutsch-französischen Kulturkanal Arte lässt sich einiges gut beobachten, was Deutschland und Frankreich verbindet und trennt. Das gilt auch für die unterschiedlichen Fernseh-Macharten, besonders im Bereich der Dokumentationen. Deutsche Dokus, die für Arte schließlich immer unter Federführung einer ARD-Anstalt oder des ZDF entstehen und oft zur Weiterverwertung in anderen Programmen gedacht sind, zeigen am Anfang stets eine Vorschau der folgenden Höhepunkte. Dann nehmen sie ihr Publikum mit einem ziemlich allwissenden Offkommentar an die Hand. Wenn der mal schweigt, sorgt Untermalungsmusik für passende Emotionen. Französische Dokus dagegen zeigen manchmal sogar Landkarten im Bild und setzen Wissen ihres Publikums voraus - sowie Interesse für geopolitische Zusammenhänge, auch im Bewusstsein der weltpolitischen Bedeutung, die Frankreich besaß (oder noch besitzt?). Eher schwierige Fremdwörter wie "kumulative Folgen", die deutsche Dokus kaum verwenden würden, scheuen sie nicht. Die Arte-Frankreich-Produktion "Hunger als Waffe - Russlands Getreidekrieg" (Regie, Buch: Vincent De Cointet) setzt zwar auf dezentes, durchgehendes Sounddesign und einen Offkommentar, der angesichts des Themas auch nötig ist. Von ein paar solcher grundsätzlichen Unterschiede zeugt sie aber auch. Ab dem 13. Februar ist die Doku in der Arte-Mediathek zu sehen - bequem angesichts eines linearen Sendeplatzes um 23.00 Uhr am Ende eines deutsch-französischen Themenabends am 20. Februar. Zunächst könnte man sich aus deutscher Sicht fragen, ob Getreide nicht einen zu kleinen Detailaspekt darstellt, um einen ganzen Film zu tragen. Dagegen sprechen Zahlen, die es hagelt. Zwölf Prozent der globalen Weizenexporte gingen über die Ukraine. Der ohnehin hohe Tonnen-Preis für Weizen stieg nach dem russischen Angriff 2022 um mehr als 100 Euro auf bis zu 438 Euro. Dann begibt sich die Doku nach Ägypten, um Auswirkungen zu zeigen. Warum Ägypten? Erst recht fragen müsste man sich, ob es in Ordnung ist, offenbar russische Experten wie den Präsidenten einer "Getreide-Union" und den Direktor eines Zentrums für Afrika-Studien zu befragen, ohne klarzustellen, dass sie offenkundig für das Putin-Regime sprechen. Die französische Doku macht es sich einfach und zeigt, neben fraglos schönen Bildern von Schiffen auf blauem Meer, viele Luftaufnahmen von Getreidefeldern, Gewässern und Häfen. Oft sind sie kriegszerstört, dennoch herrscht Betrieb. Schließlich muss die Ukraine ihre Wirtschaft aufrecht erhalten, um bestehen zu können. Sind es schöne Bilder, sind es schreckliche, lautet gleich noch eine implizite Frage. Und allmählich ergibt sich ein Bild von langlaufenden Entwicklungen, von denen zumindest in Deutschland selten die Rede war. Als Putin um die Jahrtausendwende an die Macht gelangte, stellte Hunger in Russland ein Problem dar. Der neue Präsident erklärte zur Priorität, es zu lösen, und das gelang. Die westlichen Embargos nach der Krim-Besetzung 2014 - für die inzwischen als Konsens gilt, dass sie zu zaghaft waren - sorgten dafür, dass Russland Autarkie erreichte und dank hoher Produktivität im gesamten Lebensmittel-Bereich zu einem noch größeren Getreide-Exporteur als die benachbarte Ukraine avancierte. Offenkundig bezogen die Planer der Invasion diese Tatsachen in die langfristigen Strategien ein, zerstörten sehr früh im Krieg wichtige Infrastrukturen der Ukraine, besetzten für den Export wichtige Küstenregionen und betrieben (und betreiben) systematisch "Getreidediebstahl", sowohl von geerntetem Weizen wie von lukrativen Betrieben und fruchtbaren Schwarzerde-Böden. Selbst von gezielten Angriffen auf einzelne Höfe und wichtige Agrar-Unternehmer, also von deren Ermordung, berichtet die Doku. Dass Russlands brutale Kriegsführung verharmlost wird, muss dann niemand mehr fürchten. Die mit geraubtem Getreide erzielten Exportgewinne fehlen zugleich der Ukraine zur Finanzierung ihrer Verteidigung - und sichern Russland in weiten Teilen der Welt wenn nicht Unterstützung, dann Neutralität. Schließlich befand sich, was im reichen Deutschland kaum jemand bemerkt hatte, die globale Inflation nach der Corona-Epidemie schon Anfang 2022 auf einem Höhepunkt. Und dann feuerten der russische Überfall und die schnell verhängten westlichen Sanktionen - das sind die eingangs erwähnten "kumulativen Folgen" - sie erst recht an. In Ländern wie Ägypten, das als größter Weizenimporteur der Welt gilt, ist vor allem Ernährungssicherheit wichtig, und zweitrangig, von wo bezahlbares Getreide kommt. "Die Kluft zwischen dem reichen Westen und dem Rest der Weltbevölkerung, auch globaler Süden genannt", von der der Offkommentar schließlich deutlich spricht, ist im Verlauf des Kriegs zweifellos größer geworden. Und das könnte zur langfristigen Planung des autokratischen Diktators Putin gehört haben, kann man sich am Ende von "Hunger als Waffe - Russlands Getreidekrieg" denken. Wenn dann noch ein älterer ukrainischer Bauer in einem zerstörten Speicher sagt, "Wir müssen säen und ernten", selbst wenn junge Ukrainer im Krieg sterben, ist das ein eindrücklicher Schluss, der erzählerisch einen Kreis schließt und viele bestehende Probleme bewusst gemacht hat. Von solchen Dokus, die ihrem Publikum zwischenzeitliche Zweifel zumuten und zutrauen, großen Bögen zu folgen, könnte das deutsche Gebrauchsfernsehen sich ein paar Scheiben abschneiden.

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