"Wir äußern uns nicht dazu" - Keine klaren Informationen zum Grimme-Online-Award 2024

Von Christian Bartels (KNA)

MEDIENPREIS - Eigentlich ginge der Grimme-Online-Award jetzt in seine heiße Phase. Doch 2024 herrscht dröhnendes Schweigen zum wohl wichtigsten deutschen Internet-Preis - ein seltsames Signal des kriselnden Grimme-Instituts.

| KNA Mediendienst

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Grimme-Online-Award

Foto: Christoph Hardt/IMAGO/KNA

Berlin (KNA) Anfang März, nach dem Einreichungsschluss, veröffentlicht das Grimme-Institut üblicherweise die Liste der eingegangenen Vorschläge zum Grimme-Online-Award (GOA). 2023 waren es deutlich mehr als 500 Internetangebote, die Nutzer, Macher und auch Sender vorgeschlagen hatten. Die hohe Zahl stand stets für Relevanz - und für viel Arbeit für die Nominierungskommission, die anschließend mit dem Sichten begann. Das zeitaufwendige Vorgehen einer Vorauswahl durch "Nomkoms", bevor Jurys dann die Preisträger küren, entsprach dem beim Grimme-Preis für Fernseh-Produktionen, bloß dass beim GOA mehr und wesentlich heterogenere Inhalte betrachtet werden mussten. Und dieses Jahr? Auf der Webseite des Instituts prangen im GOA-Segment noch Jubelfotos von der Preisverleihung im Juni 2023, der auch der "jüngste" Beitrag des Blogs zum Preis ("quergewebt") gilt. Ob der Preis 2024 stattfindet, ist weiter völlig offen. Auf Nachfrage beim Grimme-Institut heißt es: "Wir äußern uns nicht dazu." Man solle sich an die Gesellschafter wenden. Aus der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei, die für 30 Prozent der Gesellschafter spricht - je 10 Prozent der Anteile an der gGmbH halten das Bundesland selbst, seine Landesmedienanstalt (LfM) und seine Filmförderung (Film und Medien Stiftung NRW) - erfährt man, dass alle Anfragen zum Institut "zentral über die Pressestelle des Mehrheitsgesellschafters laufen", des Deutschen Volkshochschul-Verbands. Vom DVV, der mit 40 Prozent größter Gesellschafter der gemeinnützigen GmbH ist, hört man - nichts. Kein Wunder. Die komplizierte Struktur der Gesellschafter zählt zu den Problemen des Grimme-Instituts. Und schon lange gelten allerhand Anfragen der bekannten Finanz- und Führungskrise des Instituts in Marl. Der Vertrag der Geschäftsführerin und Direktorin Frauke Gerlach läuft zum Mai aus. Um Nachfolgekandidaten zu finden, wurde die Personalberatung ifp beauftragt, meldete "epd Medien" kürzlich. Öffentlich ausgeschrieben werde die Stelle aber auch, erfuhr der Rundfunkrat des WDR. Die Kölner Rundfunkanstalt hält wie das ZDF weitere zehn Prozent der Anteile an der gemeinnützigen GmbH. Wo Konkreteres zur Lage des GOA stand: am Ende der bislang letzten Ausgabe des bis dahin monatlich erschienenen GOA-Newsletters vom 20. Dezember. Unter der Überschrift "Kein Weihnachtswunder" schrieb Vera Lisakowski, dass der Preis 2024 "nicht in der gewohnten Form stattfinden" werde, "vielleicht gibt es einen kleineren Wettbewerb gegen Jahresende". Zugleich kündigte sie mit "verabschiedenden Grüßen" an, dass sie selbst wohl nicht mehr dabei sein werde. Lisakowski war seit 2007 im Grimme-Institut, übernahm 2015 die GOA-Gesamtleitung - und machte ihn mit einem kleinen Team zu einem der nicht sehr zahlreichen Medienpreise, bei deren Verleihung schon deshalb authentisch gejubelt wurde, weil für alle Nominierten die Spannung bis zum Schluss bestehen blieb. "Preise leben von Kontinuität und Verlässlichkeit", sagt Friedrich Hagedorn, der den Award 2001 als Referatsleiter Medienbildung ins Leben gerufen hatte und das Institut 2015 verließ, auf Anfrage des KNA-Mediendienstes. Er versteht nicht, dass das Institut sich überhaupt nicht öffentlich zur Zukunft des bislang jährlich verliehenen Preises äußert. Der GOA werde "leichtfertig aufs Spiel gesetzt", obwohl doch dieser Preis "am ehesten die mediale Zukunftsorientierung des Instituts verkörpert". Zugleich geht mit den älteren, bekannteren Grimme-Preisen für Fernsehproduktionen zumindest nach außen alles seinen gewohnten Gang - auch wenn Dabeigewesene vom Hickhack rund um das "Bergfest" während der Sitzungswoche der Fernsehjurys berichten. Am 26. April sollen die Preise zum 60. Mal vergeben werden. Ein kleiner Treppenwitz besteht darin, dass dieses Jahr gleich drei von vier Nominierungskommissionen ihr Kontingent an Nominierungen nicht ausgeschöpft haben. Im Bereich Unterhaltung wurden statt fünfzehn möglicher Kandidaten nur sieben nominiert. Offenkundig gab es deutlich zu wenig Preiswürdig-Innovatives im deutschen Unterhaltungsfernsehen. Schließlich finden Medien-Innovationen heute auch eher online statt. Dass das Internet zum Leitmedium wurde, dem nicht nur die Zukunft, sondern längst auch die Gegenwart gehört, ist eine Binse. Ganz besonders betonen die Fernsehsender sie, wenn sie, wie etwa die ARD, mehr als 150 Millionen Euro pro Jahr aus dem linearen Programm in Online-Ausspielwege umschichten wollen. Nur das Grimme-Institut behält lieber den Fernsehpreis, statt auf seinen Onlinepreis zu setzen. Ein seltsames Signal, denn wirklich spannend wird es formal wie inhaltlich am ehesten an den fließenden Grenzen zwischen den Mediengattungen, die online zusammenwachsen. Nicht zuletzt über so etwas wurde auch in GOA-Jurys und -Kommissionen immer wieder diskutiert. Gehören etwa Produktionen für YouTube, Netflix und Mediatheken zum Fernseh- oder zum Onlinepreis? Auf die Frage, ob es im Institut Überlegungen gab, das Zusammenwachsen aller Medien auf andere Weise, etwa mit einem mediengattungsübergreifenden Preis zu begleiten, sagt Vera Lisakowski, dass oft darüber diskutiert wurde. Man sei aber immer überein gekommen, dass das "vor allem nicht im Sinne der Nominierten und Preisträger" sei. Doch genau dort läge das künftige Potenzial für ein Grimme-Institut auf der Höhe der Zeit. Wohl nirgendwo sonst in Deutschland sind über Jahrzehnte hinweg Inhalte sehr unterschiedlicher Medien so gründlich und kritisch beobachtet worden wie am Marler Institut. Dieses Potenzial zu verschenken, wäre ein eklatanter Fehler. Der Autor war in den vergangenen sechs Jahren Mitglied von Nominierungskommissionen und Jurys des GOA. Im Sommer 2023 hatte er sich aus der Jury zurückgezogen.

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