Zug und Zug - Und die Bahn ist doch was Schönes

Von Christian Bartels (KNA)

DOKU - Der Arte-Dokumentarfilm "Die Eisenbahn - Motor des Fortschritts" kümmert sich nicht um die triste Gegenwart der Deutschen Bahn, sondern schaut auf die ganz großen Bögen eines seit rund 200 Jahren erfolgreichen Verkehrsmittels.

| KNA Mediendienst

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"Die Eisenbahn - Motor des Fortschritts"

Foto: Mattias Meinl/ZDF/KNA

Berlin (KNA) In einem Dokumentarfilm namens "Die Eisenbahn - Motor des Fortschritts" erst einmal den Satz "Lange vor dem Auto hat sie uns mobil gemacht" zu hören, den Sprecher Henrik van Ypsilon süffig betont, mutet seltsam an im Jahr 2024. Wenn nicht gerade Streikwellen oder Wellenstreiks den Bahnverkehr lahmlegen, dann sorgen doch Bauarbeiten im Namen des "Deutschlandtakts" künftiger Jahrzehnte oder einfach kaputte Stellwerke für Verzögerungen im Betriebsablauf. Um die aktuelle Misere des Staatskonzerns Deutsche Bahn AG schert sich der vom ZDF verantwortete Neunzigminüter, den Arte am 16. März um 20.15 Uhr und in der Mediathek zeigt, aber nicht. Stattdessen rauschen deutsche und französische Schnellzüge durch schöne Landschaften. Dann dampfen Dampfloks zunächst in schwarz-weiß und bald auch farbig durch den weißen Schnee. Der Film schwelgt in schönen Bildern und begeistert sich an der "Magie von Kraft und Bewegung", die der Offkommentar beschwört und die von begeisterten Lokführern gelenkte "Stahlrösser" aus Museumsbeständen gerne vorführen. Statt um spezifische Probleme der unmittelbaren Gegenwart geht es um die ganz großen Bögen des gut 200 Jahre alten Verkehrsmittels. Wie alt genau es ist, lässt sich wegen der zahlreichen, darin zusammengeflossenen Entwicklungsstränge kaum sagen. Spurrillen, das Grundkonzept moderner Schienensysteme, gab es schon in der Römerzeit. Im 18. Jahrhundert begann in England die Dampfmaschinen-Ära, in der der neue Antrieb das bisherige Zugtier Pferd auch deshalb ersetzte, weil die Preise für Pferdefutter massiv gestiegen waren. Zunächst ging es nur um Gütertransport. Der Erfolg der Bahn auch im Personenverkehr überraschte die frühen britischen Investoren. Und die hohen Dividenden, die sie schnell kassierten, inspirierten Nachahmer in Europa und darüber hinaus. Gerne schaut sich der Film im DB-Museum in Nürnberg um. Dort nahm zu Zeiten des bayrischen Königs Ludwig I. 1835 die erste deutsche Bahn den Publikumsverkehr auf. Im Museum kündet der Prunk-Salonwagen des zweiten bayerischen Ludwigs vom Versuch, monarchistische Distinktion zu bewahren, auch wenn die Eisenbahn alle Menschen gleich schnell transportierte und das Reisen entscheidend demokratisierte. Dank knapper Aussagen gut ausgewählter Experten spannt der Film (Regie/ Buch: Thomas Staehler, Produktion: Loopfilm/ZDF/Arte) ein großes historisches, dabei immer auch an Gegenwartsbezügen orientiertes Panorama auf. Die Eisenbahn sei für die Menschen des 19. Jahrhunderts das gewesen, was das Internet heute ist, sagt der Vorsitzende des Deutschen Eisenbahn-Vereins, Wolf-Jobst Siedler. Ohne die Eisenbahn wäre der Kapitalismus nicht möglich gewesen, sagt der englische Eisenbahnhistoriker Christian Wolmar und meint das nicht kritisch, sondern mit Blick auf "Wachstum und Aufschwung der Volkswirtschaften". Die transkontinentale Bahnstrecke habe die USA zwischen Atlantik und Pazifik zusammengehalten, aber auch zur Vertreibung der Ureinwohner, über deren Gebiet sie verlief, geführt. In der seinerzeit größten britischen Kolonie wurde mit dem Eisenbahnbau fast so früh wie im Mutterland begonnen - freilich vor allem zur Ausbeutung des Reichtums. Bei aller Fortschrittsbegeisterung, von der viele zeitgenössische Dokumente zeugen, verbreitete sich auch die Erkenntnis, "dass Technik zerstören und töten kann", schon weil verunfallte Eisenbahnen nicht einfach verschwanden wie gesunkene Schiffe. In den USA wurden diese "Train crashs" freilich auch als Spektakel inszeniert und vermarktet. Die militärische Bedeutung der Spitzentechnologie Bahn half im US-amerikanischen Bürgerkrieg den siegreichen Nordstaaten und ermöglichte im Ersten Weltkrieg die "Materialschlachten" - und damit das Paradoxon, dass der Krieg jahrelang unentschieden "festgefahren" war, bis 1918 in einem Eisenbahnwaggon der Waffenstillstand unterschrieben wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet die Bahn, von den individuelleren und schnelleren Verkehrsmitteln Auto und Flugzeug überflügelt, in eine weltweite Krise, in deren Zuge in manchen südamerikanischen und afrikanischen Ländern der Personenverkehr sogar komplett eingestellt wurde. Doch "völlig unerwartet" holte die dank ihres Schienensystems systemoffene Eisenbahn zum Gegenschlag aus, vor allem mit den Hochgeschwindigkeitszügen aus den Arte-Kernländern Frankreich und Deutschland. So besitzt das umweltfreundlicheste Verkehrsmittel wieder viele Zukunftsperspektiven, von denen am Ende ein niedersächsisches Experiment mit Wasserstoff-Antrieb und der bei München erforschte "Hyperloop"-Zug zeugen. Der fährt zwar in einer Röhre, aus der Reisende gar nicht mehr rausgucken und die Landschaft ansehen könnten. Aber das würde sich bei seiner Geschwindigkeit von 900 Kilometern in der Stunde ohnehin erübrigen. "Die Eisenbahn - Motor des Fortschritts" düst also zügig durch eine beträchtliche Zeitspanne. Zwar werden immer wieder auch viele kritische Punkte deutlich betont. Die Schienen, die ins Vernichtungslager Auschwitz führten, sind zu sehen, dazu sagt die Historikerin Susanne Kill, dass der Massenmord an Juden in seinem Ausmaß erst durch die Eisenbahn ermöglicht wurde. Doch lange geht es darum nicht. Den gegenwärtig üblichen Ansatz, kritisch auf die Industrialisierung wegen ihres Energie- und Ressourcenverbrauchs oder den Kolonialismus und seine Auswirkungen zu blicken, macht sich der Film nicht wirklich zu eigen. Doch solche Details mag kritisieren, wer möchte. Umso aufschlussreicher gelingt dafür die Zusammenschau auf historische, soziologische und architektonische sowie ökonomische und ökologische Aspekte über die Jahrhunderte hinweg. Zwischendurch reißt der Film auch physikalische Zusammenhänge wie etwa die Wirtschaftlichkeit des Rad-Schiene-Systems (das geringere Reibungsverluste als das Auto erzeugt) an. Der Offkommentar freut sich derweil an Sprachbildern, wo der "Siegeszug" dieser "bahnbrechenden" Erfindung auch in der Umgangssprache "Fahrt aufnahm". Die Gestaltungsmittel der Doku ordnen sich ihrer Absicht unter: Die Montage schöpft aus dem Vollen der zahllosen Bildquellen und deutet zumindest manchmal an, woher sie stammen. Der Kommentar ist nicht zu redselig, die unvermeidliche Musikuntermalung nicht zu dick aufgetragen. Insofern gelingt diesem Wohlfühl-Dokumentarfilm ein keineswegs selbstverständliches Kunststückchen ganz gut - gleichermaßen zu unterhalten und zu informieren.

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