Düsseldorf (KNA) Seit den Landtagswahlen 2022 ist Nathanael Liminski in NRW Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales und Medien. Schon vorher fungierte er als Medienstaatssekretär unter Ministerpräsident Armin Laschet und später unter dessen Nachfolger Hendrik Wüst. KNA-Mediendienst: Herr Liminski, Kritiker werfen Ihnen vor, Medienpolitik sei in NRW zur Nebensache geworden und vom einstigen Medien-Musterland sei nicht mehr viel zu spüren. Bekommen Sie hier als NRW-Medienminister Schuldgefühle? Nathanael Liminski: Ich glaube, dass Sie damit sehr exklusiv unterwegs sind. In jedem Fall stimmt das nicht mit der Wahrnehmung der allermeisten Akteure und Beobachter in der Medienpolitik überein. Wir sind auf allen Feldern der Medienpolitik aktiv und in vielen sogar führend dabei: Bei der Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks melden wir uns etwa mehr zu Wort, als sich das mancher wünschen würde. Beim Thema Medienvielfalt, auch betreffend die privaten Medien, bedienen wir die ganze Klaviatur der Medienpolitik, von Regulatorik über den Vollzug bis hin zur Förderung. So waren wir beim Medienfreiheitsgesetz der EU, obwohl formal nicht federführend im Länderkreis, eines der engagiertesten Länder, um das Gesetzgebungsverfahren in die richtige Richtung zu lenken. Bei der Medienkompetenzförderung, vor allem im Bereich Prävention, sind wir mit unserem "Digitalcheck NRW" vorne. Initiativen wie "Verfolgen statt nur löschen" wurden inzwischen in allen Ländern übernommen, mittlerweile auch in Belgien. Und dann das klassische Film- und Fernsehgeschäft: Trotz der widrigen Umgebung würde wohl niemand bestreiten, dass Nordrhein-Westfalen hier als Standort stark und daher auch in der aktuellen Diskussion um die Reform der Filmförderung des Bundes kraftvoll und konstruktiv Stellung bezieht. MD: Wie froh sind Sie denn, dass Sie hier in NRW mit der RTL-Gruppe zu tun habe - und nicht mit ProSiebenSat.1? Liminski: Wir haben mit RTL einen starken Inhalteanbieter, der es versteht, sich trotz des verschärften internationalen und digitalen Wettbewerbs so breit aufzustellen, dass er weiterhin sehr wettbewerbsfähige Angebote machen kann. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Privatrundfunk haben sich deutlich verschärft. Gegen die großen amerikanischen Streaming-Plattformen anzukommen, ist ein hartes Brot. Deswegen ist es gut, dass mit Bertelsmann hinter RTL auch ein starker Konzern steht und wir nicht in die Irrungen und Wirrungen internationaler Geldgeber geraten, wie das bei ProSiebenSat.1 immer wieder droht. Aber wir sehen die Entwicklung bei ProSiebenSat.1 nicht mit Schadenfreude, sondern mit Sorge. Es braucht auch im privaten Rundfunk unbedingt Wettbewerb und Vielfalt. MD: Bertelsmann-Chef Thomas Rabe hat Anfang der Woche im Interview mit der "FAZ" mangelnden Kontakt und Austausch mit der Politik beklagt. Ist da was dran? Liminski: Da wir uns erst kürzlich gesprochen haben, wird er damit den Austausch zur NRW-Landesregierung sicher nicht meinen. Ich kann ihn aber verstehen. Wenn man sich etwa das weltfremde Vorhaben der Ampel-Regierung im Bereich der Werberegulierung anschaut, kann ich nachvollziehen, wenn man sich bei den betroffenen Medienhäusern fragt: Wissen die, was sie tun? Wissen die, mit wem und was sie es zu tun haben? Und wissen sie vor allem, welche Folgen das hätte? Als Medienpolitiker trage ich Verantwortung für die demokratierelevante Medienvielfalt in Deutschland und kämpfe daher gegen das unachtsame, nicht sachgerechte und gegenüber Ländern wie Branche übergriffige Vorgehen der Ampel. MD: Wie wichtig ist NRW denn noch für Bertelsmann? Laut Rabe werden die USA demnächst der stärkste Markt sein, das Unternehmen wird immer internationaler. Liminski: Es ist doch eine gute Nachricht, wenn ein Unternehmen wie Bertelsmann mit seinen nordrhein-westfälischen Wurzeln auch international tätig ist. Das sichert letztlich auch das Geschäft in der Heimat ab. Die Zeiten, wo man in NRW auf einem eigenen Medienforum die eigene kleine Welt besprechen und beplanen konnte, sind längst vorbei. MD: Früher kamen zum NRW-Medienforum auch ein Rupert Murdoch und ähnliche Big-Shots der Branche höchstpersönlich. Heute regieren die großen neuen Player NRW und ganz Europa eher mal von London aus und nicht aus Düsseldorf oder Köln. Liminski: Erst kürzlich war der CEO von Netflix hier bei mir. Das Unternehmen ist weltweit unterwegs, aber offenkundig hat man nicht ganz vergessen, dass auch hier Entscheidungen geprägt werden und wo ein großer Markt ist. Wir haben allen Grund, selbstbewusst zu sein. MD: Thomas Rabe hat in dem schon zitierten Interview erklärt, die Werte von Bertelsmann und der AfD seien unvereinbar. Wer bei Bertelsmann arbeite und mit dieser Partei sympathisiere, müsse prüfen, ob er den richtigen Arbeitgeber hat. Wünschen Sie sich so eine klare Haltung von mehr Unternehmen - und sollten gerade Medienunternehmen sich hier klar zu erkennen geben? Liminski: Es ist gut, wenn Unternehmen wahrnehmbar für Demokratie und Freiheit einstehen. Wir als Politik können das nicht verordnen. Es ist auch am glaubwürdigsten, wenn so etwas von den gesellschaftlichen Akteuren selbst kommt - Medienhäuser eingeschlossen. Alles andere befeuert das Narrativ der Extremisten, dass sie es mit einer großen politisch-medialen Kollaboration zu tun hätten. Das alles ist Quatsch, aber wir müssen ja zur Kenntnis nehmen, dass viele Menschen es glauben. MD: Erste Forschungen belegen jetzt auch für Deutschland, dass in Gegenden, in denen die klassischen, lokaljournalistischen Angebote zu schwach sind, Parteien wie die AfD und weitere extreme Strömungen profitieren. Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund den Ausfall der Presseförderung? Liminski: Das ist leider ein beispielhaftes Thema für eine Unart der Ampel-Koalition: Sie legt eine wahnsinnig überschießende Rhetorik an den Tag, lässt dann aber jegliche ernsthafte Aktivität vermissen. Zur Wahrheit gehört, dass auch die vorige Große Koalition hier keine Glanzleistung abgeliefert hat. Aber sie hat die Presseförderung zumindest schon einmal in den Bundeshaushalt reingeschrieben. Jetzt hatte der Bundeskanzler den Verlegern explizit die Förderung zugesagt - mehrfach und persönlich. Und dann folgte ein klandestiner Rückzug, indem der Bund sagt, das könnten ja auch die Länder machen. Das ist eine Beerdigung dritter Klasse: Die Leiche trägt die Kerze selbst. Dabei geht es um ein sehr ernstes Thema: Wenn sich die regionale beziehungsweise lokale Presse auf Dauer aus der Fläche zurückzieht, ist das nicht nur eine wirtschaftliche oder medienpolitische Frage, sondern ein handfestes, gesellschaftliches Problem. In den USA zeigt sich schon länger, dass aus geringerer medialer Teilhabe geringere demokratische Teilnahme wird. In dem Moment, wo alles nur noch aus Zentralredaktionen in Berlin kommt, geht mehr verloren als nur die Vielfalt. Das macht mir Sorgen. Und es sollte die Bundesregierung endlich dazu bringen, eine Presseförderung zu aktivieren, die erhält, was wir an regionaler Pressevielfalt haben. Die Summen, um die es geht, sind für den Bund kein Ding der Unmöglichkeit - zumal angesichts der Bedeutung, die Redner der Ampel dem Anliegen in ihren Sonntagsreden zumessen. MD: Der Bund sieht nun die Länder in der Pflicht - das kleine Brandenburg fördert über seine Landesmedienanstalt schon länger Lokaljournalismus-Projekte mit einer Millionen Euro pro Jahr. Was macht das große NRW? Liminski: Im Bereich der privaten Lokalradios fördern wir zukunftsfähige Strukturen und technische Transformation. Die Landesanstalt für Medien ist sowohl mit Instrumenten als auch mit finanziellen Mitteln ausgestattet, staatsfern und unabhängig, diese Prozesse zu unterstützen. Und sie macht es auch. Jede direkte Einmischung des Staates halte ich für gefährlich. Eine Medienförderung direkt ins Programm darf es nicht geben. MD: Und wie steht es um den gemeinnützigen Journalismus? NRW hat unter Ihrer Führung eine entsprechende Initiative angeschoben, die Schaffung von Rechtssicherheit steht auch im Fahrplan der Ampel. Aber das ist ein bisschen wie bei der Deutschen Bahn, man weiß nicht ganz genau, ob der Zug noch kommt. Liminski: Wir haben einen kompletten Gesetzentwurf mit Gutachten im Bundesrat eingebracht, aber der ist leider nicht durchgekommen. Am Ende muss der Bundesfinanzminister es umsetzen. Die Ampel hat sich das ja selbst in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, aber zu deren Bilanz von Wort und Tat habe ich ja bereits ausgeführt. Natürlich ist klar, dass gemeinnütziger Journalismus nicht die Weltformel oder das Allheilmittel gegen das Problem der sinkenden Medienvielfalt in unserem Land ist. Aber er kann ein Baustein sein. Das zeigen auch tolle lokal- oder fachjournalistische Initiativen hier in NRW. MD: Die nächste große Baustelle ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Alle wollen Reformen, aber ziehen die Länder hier wirklich an einem Strang? Liminski: In meiner Wahrnehmung ja. Bei unserer Klausur in Bingen haben wir uns auf konkrete Reformelemente verständigt und entsprechende Fragestellungen an die KEF formuliert, um belastbare Aussagen zur Beitragsrelevanz der Reformansätze zu bekommen. Die Länder machen also weiterhin Tempo bei der Reform, was auch richtig und notwendig ist. Wir nehmen unser Mandat als Länder im dritten und letzten Schritt des Verfahrens zur Festsetzung des Beitrags sehr ernst und wollen sicherstellen, dass alles, was an Reformen bereits auf den Weg gebracht oder absehbar ist, in der Beitragsentscheidung am Ende berücksichtigt ist. Das ist nun auch Gegenstand des KEF-Sondergutachtens, das im Sommer vorliegen soll - und vor dessen Hintergrund werden wir dann im Herbst entscheiden. Nach meiner Wahrnehmung sind sich hier alle Beteiligten, von den Intendanten in den Anstalten über die KEF bis zu den Ländervertretern, ihrer gemeinsamen Verantwortung bewusst. Allen muss klar sein, wenn man sich jetzt in die jeweiligen Schützengräben zurückzieht und sagt, ich mache das, was ich muss und mehr nicht - dann besteht die reale Gefahr, das System gemeinsam gegen die Wand zu fahren. MD: Allerdings spricht aus dem Fragenkatalog an die KEF doch tiefer Frust über die Anstalten. Vieles von dem, was die KEF jetzt ultimativ rechnen soll, hätten die Sender ja längst umsetzen können - zum Beispiel die von der ARD ja auch angekündigte, aber nicht vollzogene Streichung eines Spartenkanals. Liminski: Es gibt wie immer Licht und Schatten. Wir brauchen ein Preisschild an den Reformideen, um sie beraten und entscheiden zu können. Natürlich auch, um den Druck für die Diskussion zu erhöhen. In den letzten zwei Jahren ist bei den Anstalten aber schon sehr viel mehr Bewegung, als ich das in den Jahren zuvor erlebt habe. Auch die viel gescholtene ARD ist hier für ihre Verhältnisse sehr weitgehende Schritte gegangen. MD: Vom ZDF ist dagegen kaum die Rede... Liminski: Natürlich ist bei einem Verbund wie der ARD mit neun Anstalten der Handlungsbedarf größer, schon rein quantitativ. Ich beziehe den Reformbedarf aber immer auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt, weil wir so weiter kommen. Wir müssen dafür noch viele Mauern einreißen, die sich in den Köpfen gebildet haben. Das ZDF hat den Vorteil, dass es nur für sich die Dinge entscheiden muss - und was Strukturen und Verfahren angeht, schneller sein kann. Aber wir brauchen einen Gesamtansatz - schon wegen der öffentlichen Wahrnehmung und nicht zuletzt wegen der gemeinsamen Finanzierung: Die Menschen zahlen ihren Beitrag für das Gesamtangebot und würden nicht verstehen, wenn man ihnen erklärt, man könne hier an der Stelle nur so viel sparen, weil nur die ARD bestimmte Maßnahmen umgesetzt hat. Wenn wir über Verwaltung, Gehaltsabrechnungen oder Produktionskapazitäten reden, gibt es richtigerweise kein Verständnis, warum das nicht auch übergreifend gehen soll. Ich bin sehr für den publizistischen Wettbewerb zwischen ARD, ZDF und Deutschlandradio. Das heißt aber nicht, dass man nicht an die Königreiche dahinter ran kann. MD: Wo zum Beispiel das ZDF bei der von der Politik sehr begrüßten Reform der Verwaltung - Stichwort SAP-Harmonisierung - bislang nicht mitmacht. Wird sich das nach dem geplanten Reform-Staatsvertrag ändern? Liminski: Dafür müssen Sie das ZDF fragen. Ich werbe jedenfalls dafür. MD: Nochmal zurück zum Zeitplan: Bei aller Dynamik ist klar: Der neue Staatsvertrag muss beschlossen und ratifiziert werden. Dann soll die KEF - natürlich auf der Basis ihrer Vorarbeit - wahrscheinlich etwas schneller rechnen. Aber die Anstalten müssen auch ihren Bedarf neu anmelden - da kann es zum 1. Januar 2025 doch noch keinen neuen Beitrag geben. Rechnen Sie damit, dass dann wieder das Bundesverfassungsgericht bemüht wird? Liminski: Wir sind im Länderkreis einig: Es braucht in diesem Jahr Klarheit. Wenn wir das hinbekommen, werden das auch die Sender bei ihrer Entscheidung berücksichtigen zur Frage, ob sie nach Karlsruhe gehen. Und falls sie nach Karlsruhe gehen, würden das auch die Richter dort berücksichtigen. MD: Und Ihr Plan B beziehungsweise das Zückerchen für die Anstalten heißt, dafür dürfen diese früher an die Rücklagen ran! Liminski: Ich habe nicht den Eindruck, dass das dort als Zückerchen wahrgenommen wird. Es wäre die logische Folge. Und in der Tat gibt es - Stichwort Moratorium - die Idee, aus diesen Rücklagen die ersten zwei Jahre der nächsten Gebührenperiode, also 2025 und 2026, zu bestreiten. Das kann man machen, muss sich aber klar sein, dass... MD: ...dann das Geld weg ist... Liminski: ...oder eine Beitragsempfehlung der KEF ab 2027 deutlich höher ausfallen müsste, wenn die Reformen bis dahin nicht entschieden, umgesetzt oder wirksam sind. MD: Wichtige Fragen beim Sondergutachten drehen sich um die Zusammenlegung von Standorten - beispielsweise des aktuell in Köln und Berlin beheimateten Deutschlandradios, es geht auch um die Zusammenlegung von ZDFinfo und Phoenix oder von One und ZDFneo. Das sind aus Anstaltssicht heilige Kühe - das ZDF will Neo gerade weiter ausbauen. Wie viel Gegenwind der Anstalten erwarten Sie hier? Liminski: Immerhin kann man an dem Katalog sehen, dass das alte Vorurteil gegenüber den Ländern, nur Standortpolitik zu betreiben, nicht zutrifft. Das nutzen die Anstalten aber natürlich gern, um die eigene mangelnde Beweglichkeit zu begründen. Wir wollen aber gerade bei so weitreichenden Entscheidungen eine belastbare Grundlage haben... MD: ...das berühmte Preisschild... Liminski: Ja - denn es sagt sich so locker "Aus zwei mach eines", etwa beim Deutschlandradio. Ich würde aber am neuen Standort erst einmal massiv investieren müssen - einmal abgesehen von der Frage, ob es einem nationalen Sender nicht gut tut, wenn er in Ost und West beheimatet ist. In jedem Fall brauchen wir belastbare, sachliche Grundlagen - wir werden aber sicherlich an einigen Stellen an strukturellen und auch an Standortfragen nicht vorbeikommen. Die dafür notwendige Ernsthaftigkeit sehe ich im Länderkreis gegeben. Und wenn sie dort gegeben ist, dürfte das auch irgendwann in den Anstalten ankommen. Die Strukturen dort sind nicht gottgegeben, alles kann man verändern. MD: Hat das der WDR auch schon gemerkt? Er ist immerhin die größte und reichste Anstalt der ARD. Liminski: Der WDR hat unter der Führung von Tom Buhrow Einschnitte vorgenommen, die ich bei anderen großen Anstalten so nicht erkennen kann. Die Streichung von 500 Stellen war ja für WDR-Verhältnisse geradezu eine Revolution - bei einem Haus, das immer nur ein "Weiter so!" und "Mehr davon!" kannte. Ich verstehe aber, dass der WDR wissen will, was mit "Zusammenarbeit" und "Gemeinsamkeit" genau gemeint ist. Wenn die Großen mehr als andere geben sollen für etwas, was sie dann anschließend nicht mehr beeinflussen können, ist das in der Tat problematisch. Aber ich verlange die Beweglichkeit nicht nur von den kleinen Anstalten, sondern auch von den Großen, und damit auch vom WDR.