Hauptsächlich negativ - BMI-Studie zu medialer Berichterstattung über Muslime soll wieder ins Netz

Von Steffen Grimberg (KNA)

ISLAMFEINDLICHKEIT - Wegen Rechtsstreitigkeiten musste eine Studie des Innenministeriums zu Islamfeindlichkeit in Deutschland vom Netz genommen werden. Der Bericht soll zeitnah wieder veröffentlicht werden - und stellt der deutschen Medienlandschaft ein klar negatives Zeugnis aus.

| KNA Mediendienst

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Foto: Funke Foto Services/Imago Images/KNA

Erfurt/Berlin (KNA) Die deutschen Leitmedien erhalten im Bericht "Muslimfeindlichkeit - eine deutsche Bilanz" der Unabhängigen Expertenkommission Muslimfeindlichkeit (UEM) wenig schmeichelhafte Noten. 57 Prozent der Print- und sogar 89 Prozent der TV-Beiträge über Islam und Muslime handeln von Negativthemen. So beschäftigen sich mehr als vier von fünf TV-Beiträgen mit Islam-Bezug in ARD-Informationssendungen mit Terrorismus, Krieg und innerer Sicherheit. "Auch wenn nicht durchgehend von einem geschlossenen 'Feindbild Islam' der Massenmedien gesprochen werden kann, weil deutsche Medien gewisse Nuancen in der Berichterstattung zeigen, weist der Islamdiskurs deutscher Leitmedien in Presse und Fernsehen bei allen Unterschieden eine deutlich negative thematische Grundstruktur auf", so das Fazit der UEM. Die neunköpfige Kommission wurde im Herbst 2020 vom Bundesinnenministerium (BMI) einberufen, Hintergrund waren unter anderem rassistisch motivierte Anschläge wie in Hanau am 19. Februar 2020. Ihre Arbeit wurde aus Mitteln der Deutschen Islamkonferenz (DIK) finanziert, die sich bereits seit 2012 mit dem Phänomen Muslimfeindlichkeit befasst. Mitglieder der vom Bundestag eingesetzten Kommission sind Karima Benbrahim vom Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit Nordrhein-Westfalen (IDA-NRW), Saba-Nur Cheema, (Goethe-Universität Frankfurt am Main/Bildungsstätte Anne Frank e. V.), Yasemin El-Menouar von der Bertelsmann-Stiftung, Karim Fereidooni (Ruhr-Universität Bochum), Kai Hafez (Universität Erfurt), Özcan Karadeniz vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften e. V., Anja Middelbeck-Varwick (Goethe-Universität Frankfurt am Main), Mathias Rohe, (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) sowie Christine Schirrmacher (Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn/Katholische Universität Löwen). Vorbild für die UEM waren die 2008 und 2013 vom Bundestag eingesetzten Unabhängigen Expertenkreise Antisemitismus und das 2019 berufene Unabhängige Expertengremium zu Antiziganismus. Das Echo auf die 16 konkreten Empfehlungen des Medienkapitels fielen allerdings bislang eher dünn aus, sagt der Kommunikationswissenschaftler Kai Hafez, der in Erfurt zu Kommunikationskulturen, zur Theorie der globalen Kommunikation und zu Kommunikationsprozessen zwischen Europa, den USA und der islamischen Welt forscht. Was auch daran liegt, dass das BMI den schon seit dem vergangenen Sommer vorliegenden Bericht Mitte März wieder aus dem Netz genommen hat. Hintergrund ist eine erfolgreiche Klage des Publizisten Henryk M. Broder, der in einem anderen Kapitel des 400-Seiten-Werks als "Fallbeispiel" für besonders harte Islamkritik zitiert wird und sich dadurch in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt sah. Dem gab das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin Brandenburg anders als die Vorinstanz statt. Darstellungen, dass es nun den gesamten Bericht dauerhaft zurückgezogen und eingestampft habe, widersprach das Ministerium. Der Bericht sei zwar vom Internetportal des BMI in Reaktion auf den Beschluss des VG Berlin Brandenburg entfernt worden, soll aber in Kürze erneut zugänglich gemacht werden. "Derzeit wird im BMI geprüft, wo und wie der Bericht den Vorgaben des OVG entsprechend wieder veröffentlicht werden kann. Ziel ist es, dass die Ergebnisse des UEM auch weiterhin einer interessierten Fachöffentlichkeit zur Verfügung stehen", erklärt ein BMI-Sprecher auf Anfrage des KNA-Mediendienstes. "Es stand vom Ministerium aus nie zur Disposition, den Bericht zurückzuziehen", sagt auch Hafez: "Der Bericht an sich ist nicht umstritten", schon gar nicht das Medienkapitel, "auf das sich die Kontroverse im Übrigen auch überhaupt nicht bezieht". Um so dringlicher wäre es aus seiner Sicht, sich in den Redaktionen konstruktiv mit den Ergebnissen und Empfehlungen des Berichts auseinanderzusetzen. "Die meisten Menschen in Deutschland haben keine Islamerfahrung in ihrem unmittelbaren Umfeld - hier kommt den Medien eine unglaubliche Macht zu". Wenn dann aber auch in der Berichterstattung "weit mehr über als mit Muslimen gesprochen" werde, wie es in dem der Bericht heißt und Muslime selbst kaum als Akteure und Sprecher in der deutschen Zivilgesellschaft in Erscheinung träten, sondern weiter "in hohem Maße objektifiziert" würden, leiste das der Muslimfeindlichkeit weiter Vorschub. "Der Zusammenhang zwischen negativer Berichterstattung und Islamophobie besteht wechselseitig", so Hafez. Als Gegenmittel empfiehlt der Bericht eine "besondere Sensibilität" für die Thematik. "Es geht nicht um Kuschelberichterstattung", sagt auch Hafez: Probleme müssten offen benannt werden. Das fordern auch die Neuen Deutschen Medienmacher*innen (NDM). Das bundesweite Netzwerk von Journalisten mit und ohne Einwanderungsgeschichte setzt sich laut seiner Selbstdarstellung "für gute Berichterstattung und für vielfältiges Medienpersonal ein" und fordert seit langem mehr Diversität in den Redaktionen. Doch daran fehlt es weiterhin. In Medienberichten über den Bau von Moscheen würden der Islam und Muslime immer noch überwiegend "als Problem benannt, in einen Gegensatz zur deutschen Gesellschaft gesetzt und damit in den Kontext einer vielfach negativen Berichterstattung über 'den Islam' eingeordnet", wie es im UEM-Bericht heißt. "Doch auch die jüngsten Debatten über Beleuchtungen in deutschen Städten zum Ramadan sind ein gutes Beispiel", so NDM. "Verantwortungsvolle Berichterstattung" verzichte dagegen auf solche polarisierenden und aufgebauschten Themen auf Kosten von Minderheiten. Die bisher mangelnde Sensibilität ist laut UEM-Bericht auch auf die Bedingungen in vielen Redaktionen zurückzuführen. "Wir haben mit zehn namhaften Journalistinnen und Journalisten Tiefeninterviews geführt", berichtet Hafez: "Das Islambild in den deutschen Medien hat sich in den vergangenen 20 Jahren nicht wirklich geändert, die Themenpalette hat sich nicht ausgeweitet und Geschichten werden im ganz wörtlichen Sinne an den üblichen Verdächtigen aufgehängt". Im Bericht wird dieser Befund etwas höflicher als "Reformstau" umschrieben, doch auch er konstatiert "eine begrenzte Sensibilisierung in den Chefredaktionen für Muslimfeindlichkeit", den "starken Einfluss kommerzieller Motive" vor allem bei den privatwirtschaftlichen Medien und einen "zunehmenden populistischen Druck" auf die traditionellen Medienhäuser. Dies treffe auf eine Situation, in der viele Redaktionen über die mangelnde Diversität in den eigenen Reihen hinaus auch nur "begrenzten Zugriff auf muslimische Quellen sowohl im In- wie im Ausland" hätten. Gleichzeitig nähmen Auftritte umstrittener "Islamexperten" bzw. -kritiker zu, da diese durch ihre kontroverse Art vor allem im Online-Bereich für Aufmerksamkeit und Klicks sorgten. "Herausgeber und Chefredakteure haben keinen Ansatz zu der Problematik und sind zum Teil selbst mit Vorurteilen behaftet", wird Hafez deutlicher. Das liege auch daran, dass die gesamte historische und kulturelle Dimension des Islam "in der regulären Ausbildung nirgendwo verankert ist, das ist maximal Spezialistentum". Und so "blubbert sich viel professionelle Banalität hoch zu strukturellem Rassismus", meint Hafez. Dies spiele auch Strömungen wie der AfD in die Hände; sie lebe "hauptsächlich von Islamfeindlichkeit und meint damit alles Fremde. Die Probleme sind aber nicht nur die bösen Rechten, sondern die gleichgültige Gesellschaft, die eine latente Islamfeindlichkeit fördert", so Hafez. Der Bericht widmet sich im Medienkapitel auch der Rolle der christlichen Medien, hat hier aber nur Online-Medien beziehungsweise die Online-Auftritte untersucht. "Islam- und Muslimfeindlichkeit unterscheiden sich in den untersuchten christlichen Medien nicht grundsätzlich von vorhanden antimuslimischen Mustern" in anderen Medien, so das Fazit. Zudem seien die christlichen Medien "vielfach sehr selbstreferenziell" und ließen eine kritische Perspektive auf eigene Konfliktbeteiligungen ebenso vermissen wie eine angemessene Einbeziehung muslimischer Stimmen und Perspektiven, so die UEM. Zur Auswertung der christlichen Medien wurde eine eigene Pilotstudie in Auftrag gegeben, die von Gritt Klinkhammer vom Institut für Religionswissenschaft und Religionspädagogik der Universität Bremen durchgeführt wurde.

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