Bonn (KNA) Nina Gladitz kam eines Tages mit Guliano Reinhardts Onkel Josef vorbei, um sich mit seinen Tanten und anderen aus der weitläufigen Verwandtschaft der Sinti-Familie über ihre Erfahrungen als Film-Komparsen für Leni Riefenstahl und ihren Spielfilm "Tiefland" zu unterhalten. Guliano Reinhardt sprach in Freiburg über Nina Gladitz und ihre Dreharbeiten zu "Zeit des Schweigens und der Dunkelheit". Nina Gladitz sei sehr offen und sehr freundlich gewesen. So hat er sie in Erinnerung. "Sie hat fast zur Familie gehört." Gewohnt habe sie damals in Kirchzarten, unweit von Freiburg. Immer wieder Freiburg. Dort gab Leni Riefenstahl jene Signierstunde in der Universität, die im Dokumentarfilm "Zeit des Schweigens und der Dunkelheit" dokumentiert ist. Dort traf Leni Riefenstahl im November 1984 im Landgericht auf Nina Gladitz, als sie gegen sie und ihren Dokumentarfilm klagte und in drei von vier Punkten unterlag. Dort organisierte die ehemalige WDR-Redakteurin Sabine Rollberg 2022, ein Jahr nach dem Tod von Nina Gladitz, an der Universität eine Konferenz, bei der der vom WDR gesperrte Dokumentarfilm nach Jahrzehnten im Giftschrank erstmals wieder vorgeführt wurde. Und nun lief der Film erneut in Freiburg im Kommunalen Kino - nachdem er davor vor kleinem "Fachpublikum" auch in Berlin, Potsdam, Kirchzarten und in Dortmund gezeigt worden war. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit hat der Westdeutsche Rundfunk (WDR) den Dokumentarfilm von Nina Gladitz aus dem Giftschrank geholt. Nach 35 Jahren, 2022 war das. Doch es gibt viele ungeklärte Fragen und den nahe liegenden Verdacht, der WDR sei vor der prozesswütigen NS-Propaganda-Filmemacherin Leni Riefenstahl eingeknickt (vgl. MD 12/24). Jahrzehnte lang war der Film mit einer fragwürdigen Begründung gesperrt. Im linearen Programm oder in der Mediathek des WDR soll er weiterhin nicht zu sehen sein. Leni Riefenstahl klagte 1984 vor dem Landgericht gegen Nina Gladitz und die im Film geäußerten Vorwürfe: Sie habe für ihren von den Nazis finanzierten Spielfilm "Tiefland" ab 1941 Sinti aus einem Konzentrationslager in Maxglan bei Salzburg geholt und unbezahlt und unter Zwang als Komparsen beschäftigt. Der Großteil wurde später im Vernichtungslager Auschwitz ermordet; wenige Überlebende sprachen in der Doku davon, Riefenstahl habe sie im Glauben gelassen, sie würde sie vor der Deportation retten. Riefenstahl bestritt all das, unterlag aber vor Gericht in drei von vier Punkten. Dennoch sperrte der WDR den Film und ermöglichte Gladitz nicht, eine beanstandete Sequenz umzuschneiden. Das kleine kommunale Kino in Freiburg war fast ausverkauft, als die ehemalige WDR-Redakteurin Sabine Rollberg, die 2018 in Ruhestand ging, über die zeitgeschichtliche Bedeutung des Films und das Versäumnis des WDR sprach. Der WDR hätte unter Beweis stellen können, dass er seiner Verantwortung für Diskriminierte und Verfolgte des Nazi-Regimes gerecht werde und das auch noch bevor es von staatlicher Seite zur Pflicht erhoben wurde. Damit wäre der WDR seiner gesellschaftspolitischen Aufgabe gerecht geworden. Mit einer erneuten Ausstrahlung, die den Prozess und die Sperre in Kontext setzt, hätte er zeigen können, warum er es wert sei, Gebühren zu erhalten. Das sei leider nicht passiert. Sie sprach auch davon, dass der WDR der Karriere der begabten Filmemacherin Nina Gladitz geschadet und sie langfristig in Krankheit und Ruin gebracht habe. Josef Reinhardt, der als 13-Jähriger einer der Komparsen war, ist der Protagonist des Dokumentarfilms, der die Spuren des Lagers sucht und mit der Familie über die Erlebnisse mit "Tante Leni" spricht, wie Riefenstahl von den Sinti genannt wurde. Reinhardt ist inzwischen verstorben. Nach der Vorführung sollte sein Neffe Guiliano über ihn und Nina Gladitz befragt werden. Doch mit ihm waren noch fünf weitere Mitglieder der Familie Reinhardt gekommen und erzählten, wie intensiv und ausdauernd Nina Gladitz sich mit der Lage der Sinti und Roma befasst habe, wie sie regelmäßig zu Hause bei den Reinhardts war, und wie wichtig es für die Familie sei, den Film nun in der Öffentlichkeit sehen zu können. Das sei ein Meilenstein nach Jahren des Übersehenwerdens und des täglich erlebten Rassismus. Es sei für sie "sehr emotional, diesen Film zu sehen", sagte Romano Reinhardt, Bruder von Guliano, "weil wir ja direkte Nachkommen von Holocaust-Opfern sind. Dieser Film hat eine große Bedeutung für uns...wir werden nie vergessen, was damals geschehen ist." Warum lief der Film von Nina Gladitz erneut gerade in Freiburg? Sabine Rollberg, die sich im WDR zeitweise ein Büro mit Nina Gladitz teilte, ist in Freiburg geboren und aufgewachsen, hat dort studiert und ist seit 2019 zurück in ihrer Heimat. Das erklärt die wiederholten Vorführungen in der Stadt, denn Rollberg ist die treibende Kraft. Sie war es auch, die im April 2022 ein Jahr nach dem Tod von Nina Gladitz an der Universität Freiburg eine Konferenz organisierte, bei der der (inzwischen verstorbene) Anwalt von Gladitz, Albrecht Götz von Olenhusen, über den Rechtsstreit sprach. Er hat ebenfalls in Freiburg studiert und später lange als Medienanwalt praktiziert; zudem saß er im Stadtrat. Auch sonst gibt es mehrfache Bezüge zu Baden-Württemberg: Nina Gladitz ist in Schwäbisch-Gmünd geboren und aufgewachsen, bevor sie später im Dreisamtal zwischen Freiburg und Kirchzarten und in Berlin lebte. Vor ihrem Tod zog sie zurück nach Schwäbisch-Gmünd, wo sie begraben ist. Ihr Nachlass wird von einem Anwalt in Stuttgart verwaltet. Das Gericht beanstandete eine Szene, in der die Familie Reinhardt sagt, Tante Leni habe die Rettung von Auschwitz versprochen. Der WDR sperrte den Film daraufhin weg, auch für Forschung und Gedenkstätten. Nina Gladitz habe diese Szene umschneiden wollen, um den Film ins Ausland zu verkaufen, sagt Rollberg. Doch der WDR habe ihr das Originalmaterial verweigert. Sie erhielt kaum mehr Aufträge im WDR.