TikTok und die Rechten - Wie erfolgreich ist die AfD im Internet?

Von Jana Ballweber (KNA)

SOCIAL MEDIA - Mit Abrufzahlen in Millionenhöhe sorgte die AfD auf der Videoplattform TikTok in den vergangenen Wochen für Aufsehen. Auch andere rechte Akteure nutzen die Plattform für ihre Zwecke. Doch wie erfolgreich sind sie wirklich damit? Teil 1 unserer fünfteiligen Serie zu TikTok.

| KNA Mediendienst

alt

TikTok

Foto: Hasan Mrad/Imago/KNA

Bonn (KNA) Ein Blick auf den TikTok-Kanal der AfD-Fraktion im Bundestag ist ein Blick in die Vergangenheit, ins Web 2.0 der 2010er Jahre, in denen Facebook das Maß aller Dinge unter den Social-Media-Plattformen war. Der AfD-TikTok-Kanal besteht fast ausschließlich aus Clips aus dem Parlament, wo sich die Abgeordneten der rechten Partei regelmäßig in Rage reden und sich wahlweise an der Ampel, an den "Altparteien", an "GEZ-Journalisten" oder am Bürgergeld abarbeiten. Ganz TikTok-unüblich dauern diese Videos auch gerne mal mehrere Minuten - eine Aufmerksamkeitsdauer, die jungen Menschen im Netz nur allzu häufig abgesprochen wird. Und dennoch ist die AfD-Fraktion mit dieser Strategie verhältnismäßig erfolgreich auf der Video-Plattform. Über 400.000 Menschen folgen dem TikTok-Kanal der Bundestagsfraktion. Das sind mehr Follower als alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien zusammen haben. Angeschaut werden die Video regelmäßig von vielen zehntausend Menschen, manchmal gar Hunderttausenden. Der erfolgreichste Beitrag, ein Ausschnitt aus einer Bundestagsrede von Martin Sichert, in der er sich unter anderem gegen staatliche Unterstützung für ukrainische Geflüchtete ausspricht, rangiert bei 6,6 Millionen Abrufen. In den vergangenen Wochen machte vor allem der AfD-Politiker Maximilian Krah mit seinem vermeintlichen Erfolg auf TikTok von sich reden. Krah ist Spitzenkandidat der AfD bei den Wahlen zum EU-Parlament im Juni und wirbt auf der Videoplattform um Wählerstimmen - insbesondere um die Stimmen junger Menschen. Dafür spricht Krah die jungen TikTok-Nutzer immer wieder direkt an, in plattformtypisch meist kurzen Videos, in denen der Politiker frontal in die Kamera spricht. Sie sollen sich nicht von linken Lehrern "den Mund verbieten lassen", herausfinden, warum sie auf ihre Urgroßeltern stolz sein sollten, und die derzeit Regierenden abwählen, um nicht Gefahr zu laufen, in einem eskalierenden Ukraine-Krieg an die Ostfront geschickt zu werden, "wo schon dein Großvater seine Brüder und seine Cousins verloren hat". Krahs erfolgreichstes Video mit 1,4 Millionen Abrufen wendet sich an junge Männer. Jeder dritte von ihnen habe noch nie eine Freundin gehabt, so Krah. Die Lösung? "Schau' keine Pornos, wähl' nicht die Grünen, geh' raus an die frische Luft, steh' zu dir, sei selbstbewusst, guck geradeaus, und vor allem, lass dir nicht einreden, dass du lieb, soft, schwach und links zu sein hast. Echte Männer sind rechts, echte Männer haben Ideale, echte Männer sind Patrioten. Dann klappt's auch mit der Freundin." Viele fürchten angesichts derartiger Aussagen, dass das Männlichkeitsbild der AfD bei den meist jungen TikTok-Nutzern anschlussfähig wird. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 80 Prozent der Nutzer weltweit jünger als 39 sind, über 30 Prozent jünger als 19. Die hohen Abrufzahlen scheinen diese Angst zu stützen. Doch nur weil Nutzer ein Video anschauen, bedeutet das noch nicht automatisch, dass sie den Inhalt gut finden und dass sie gar ihre Wahlentscheidung danach ausrichten. "Die Frage, welche Wirkung digitale Kommunikation erzielen kann, ist sehr schwierig zu beantworten", sagt Jan Rau, Internetforscher am Leibniz-Institut für Medienforschung, dem KNA-Mediendienst. "In der Politikwissenschaft gibt es viele Kolleginnen und Kollegen, die Medien kaum Relevanz für die Wahlentscheidung zuweisen, weil sie davon ausgehen, dass diese anhand großer, gesellschaftlicher Megatrends, Konflikte und Krisen wie Individualisierung, soziale Ungerechtigkeit, Ost-West- und Land-Stadt-Konflikte, Migration oder Corona erfolgen." Er schließe sich dieser Aussage in dieser Unbedingtheit zwar nicht an an, so Rau, weil Medien seiner Ansicht nach schon eine wichtige Rolle spielen, aber: "In den letzten Jahren haben wir mit Blick auf digitale Medien einen Hype erlebt, bei dem Facebook oder Twitter für den Wahlerfolg von Donald Trump verantwortlich gemacht wurden." Das sei eine sehr verkürzte Darstellung, weil die gesellschaftliche Polarisierung der USA, in der Rau eine der Voraussetzungen für den Wahlerfolg von Donald Trump sieht, seit Jahrzehnten beobachtet werde - lange vor dem Aufkommen großer digitaler Plattformen und sozialer Netzwerke. Durch das Internet werden Rau zufolge aber viele gesellschaftliche Konflikte und Differenzen plötzlich sichtbarer. "Wir sehen ganz viel rechten Hass im Internet und gehen davon aus, dass das Internet diesen rechten Hass erzeugt. Der war aber im Zweifelsfall schon vorher da und wird nur sichtbarer." Das bedeute natürlich nicht, dass das Internet gar keine Rolle spiele, betont Rau. Neben der Tatsache, dass das Internet einen ganz neuen Manövrierraum für politische Außenseiter öffne und die Mobilisierung für politische Bewegungen allgemein erleichtere, beeinflusse das Medium vor allem auch die Aufmerksamkeitsökonomie: "Auf der individuellen Ebene sind emotionale und konfliktorientierte Inhalte besser darin, unsere Aufmerksamkeit zu erlangen. Das wissen die Plattformen und verstärken solche Inhalte teilweise mit ihren Algorithmen." Im Fall TikTok bedeutet das: Wer mit seinen Inhalten Emotionen weckt und gesellschaftliche Konflikte aufgreift, hat größere Chancen, eine hohe Reichweite zu erlangen. Anders als bei anderen Online-Plattformen wie Facebook, Instagram oder YouTube ist beispielsweise die Zahl der Follower auf TikTok weniger aussagekräftig, weil vor allem der Algorithmus entscheidet, welches Video welcher Nutzer zu sehen bekommt. Der richtet sich nach den bisherigen Vorlieben eines Nutzers und nach der Frage, welche Videos bei Nutzern mit ähnlichen Interessen gerade viel angeschaut, mit "Gefällt mir" markiert oder kommentiert werden. Politiker, die Konflikte emotional aufgreifen, haben also Chancen auf große Reichweite. Was die Inhalte dann bei den Nutzern tatsächlich auslösen, könne man aber nie genau sagen, sagt Internetforscher Rau. Ein Blick in die Kommentare zum Männlichkeitsvideo von Maximilian Krah zeigt zum Beispiel: Besonders gut kommt der AfD-Kandidat mit seinen Äußerungen dort nicht an. Die meisten Nutzer machen sich über Krah lustig: "Bruder wenn du ne Umarmung brauchst, sag Bescheid. Gibt keinen Grund so traurig zu sein", heißt es etwa. Oder: "Sei einfach der Mann der du bist und der Rest ergibt sich! Außer du bist Maximilian Krah dann sei am besten jemand anderes." Andere schreiben "Schwach angefangen und sehr stark nachgelassen haha wie kann das 18 Prozent haben" oder "Ich seh auf keinem Video einen Ehering...". Vermutlich nicht wirklich die Art von Reaktion der jungen Nutzer, die Krah und sein Team sich erhofft hatten. Doch die AfD ist nicht der einzige rechte Akteur, der auf TikTok Fuß zu fassen versucht. Die rechtsextreme Partei Freie Sachsen, die 2021 gegründet wurde und seit 2022 vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall für verfassungsfeindliche Bestrebungen beobachtet wird, erreicht mit ihren Videos immer wieder Zehntausende. Viele der Videos scheinen einzig zu dem Zweck da zu sein, sich über politische Gegner lustig zu machen. Lieblingsziele sind der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) oder die Bundesvorsitzende der Grünen, Ricarda Lang. Andere Videos sind ganz klar zur Mobilisierung gedacht. Sie rufen zur Teilnahme an Bauernprotesten oder Demonstrationen gegen Migration auf. Abseits der Parteipolitik sieht Jan Rau im digitalen Raum aber auch noch andere Akteure aus der rechten Szene: "Die Identitäre Bewegung ist sicher das prominenteste Beispiel aus der rechten Szene, die eher im politischen Vorfeld unterwegs sind." Auch rechte Thinktanks, Influencer und Medien seien zu beobachten. "Es gibt aber auch eine große Zahl an Individuen, die kein Teil formeller oder organisierter Strukturen sind, jedoch mit einzelnen oder mehreren Positionen rechtsextremer Akteure sympathisieren. Diese schalten sich punktuell in digitale Diskurse ein, wodurch rechte Positionen zusätzliche Reichweite erlangen können", so der Forscher. Eine Entwicklung, die auch die Medienwissenschaftler Lara Franke und Daniel Hajok in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung aus dem Jahr 2023 beschreiben. Neben Parteipolitik, Rechtsrock und auch Kanälen von rechten Kampfsportgruppen, die eindeutig politisch Position beziehen, sehen sie auf TikTok noch subtilere Kräfte am Werk: "Sie orientieren sich an aktuellen Trends, tanzen und singen, präsentieren sich bewusst harmlos - und vermitteln nebenbei ihre Ideologie." Dafür werde sich der ganzen Bandbreite jugendaffiner Elemente der Social-Media-Welt bedient: GIFs, Memes, jugendaffine Schlagworte und trendige Hashtags, die dabei auch der Verharmlosung der Inhalte dienten. Als Beispiel nennen Hajok und Franke rechte TikTokerinnen, die sich in ihren Videos schminken und nebenbei von ihren rechtsextremen Weltanschauungen berichten. Relativ neu sei in der Szene auch die Bewegung der "Tradwifes", ein verkürzter Ausdruck für traditionelle Ehefrauen. Auf ihren Kanälen machen diese sich für den Erhalt eines traditionellen Frauenbilds und für heterosexuelle, monogame Beziehungen stark, zeigen ihren Alltag als Hausfrauen und Mütter und sprechen über das Verhältnis zu ihren männlichen Partnern. Inhalte, die für junge Menschen ein barrierearmer Einstieg in die rechte Szene sein können. Denn von Plattformen aus können rechte Akteure die meist jungen Nutzer in andere, radikalere Kanäle umleiten: "Bestimmte Akteure haben auf den großen Social-Media-Plattformen eine Präsenz und kommuniziere dort relativ harmlos, weil sie es müssen. Auf Facebook oder Twitter/X gibt oder, im Fall von X, gab es relativ strenge Moderationsregeln für die Inhalte, die Nutzer über die Plattform verbreiten", beschreibt Internetforscher Rau. Dort werde dann aber auf die Plattform Telegram verlinkt, wo dieselben Akteure in einem Umfeld mit weniger strenger Moderation deutlich radikaler und deutlich offensiver kommunizieren. "Das ist eine sehr gezielte Strategie, um die Aufmerksamkeit der Nutzerinnen und Nutzer auf die radikaleren Kanäle weiterzuschicken", erklärt Rau. Auf Telegram finde auch eher radikalere Kommunikation statt, die sich an Menschen richte, die schon einschlägig politische Einstellungen vertreten. "Auf anderen Plattformen wie Facebook, Twitter/X und Tiktok wird oft eher versucht, so zu kommunizieren, dass die Botschaften auch in angrenzenden politischen Spektren wie beispielsweise dem (Rechts-)Konservatismus oder dem libertären Lager Anklang finden." Haben Rechte und insbesondere die Partei AfD auf TikTok also einen Vorsprung vor demokratischen Kräften? Nicht unbedingt. Eine Analyse des Politikberaters Martin Fuchs, die er Mitte März auf X veröffentlichte, zeigt, dass AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah im Kreise der EU-Abgeordneten keineswegs so uneinholbar vorne liegt, wie es Medienberichte in den vergangenen Wochen suggerierten. Zwar habe Krah die meisten Abrufzahlen pro Video. Bei den summierten Abrufzahlen des gesamten Kanals liegt er aber weit hinter einem seiner ehemaligen Kollegen. Malte Galle, Ex-Abgeordneter der Grünen, der im März wegen Belästigungs- und Mobbingvorwürfen zurückgetreten war, kommt auf fast doppelt so viele Views. Auch Martin Sonneborn, Abgeordneter der Satire-Partei Die Partei, ist nicht weit von Krahs Abrufzahlen entfernt und lässt den AfD-Politiker bei der Anzahl der Follower sogar hinter sich. Und auch die von Jan Rau angesprochene Moderation der Plattformen schmälert Krahs Erfolg: Mitte März drosselte TikTok die Reichweite des Politikers, dessen Inhalte nun nicht mehr auf der sogenannten "For-you-Page" angezeigt werden - dem Hauptverbreitungsort von Inhalten auf TikTok. Plötzlich erreichen Krahs Videos im Regelfall nur noch vierstellige Abrufzahlen. Die Einschränkung soll 90 Tage dauern - bis zur Europawahl im Juni.

Lesen Sie weiter auf www.KNA-News.de