Meine Heimat Auschwitz - Arte-Dokumentation über Holocaust-Überlebenden Dany Dattel

Von Manfred Riepe (KNA)

DOKU - In seiner berührenden Dokumentation erzählt Christian Twente von den sieben Leben des Schoa-Zeitzeugen Dany Dattel. Der Film ist ein würdiges Vermächtnis des Mannes, der als einziges von 8000 Kindern das Vernichtungslager Auschwitz überlebte.

| KNA Mediendienst

alt

"Verfolgt - Das Maskottchen von Auschwitz"

Foto: Christel Fomm/WDR/KNA

Bonn (KNA) Als jüdisches Kleinkind trotzte er der Hölle von Auschwitz. Später avancierte er zum erfolgreichen Devisenhändler, um schließlich als Hauptschuldiger der größten Bankenpleite der deutschen Nachkriegsgeschichte erneut diskriminiert zu werden. Ein Arte-Dokumentarfilm erzählt in "Verfolgt - Das Maskottchen von Auschwitz" die unglaubliche Geschichte des Holocaust-Überlebenden Dany Dattel. Eigentlich sollte er ja Peter heißen. Doch die Nazis verboten den Eltern, ihrem Jungen einen nichtjüdischen Namen zu geben. Also hieß er Dany. Gerade mal drei Jahre war er alt, als seine Eltern mit ihm deportiert wurden. Bei der Ankunft in Auschwitz fragt das hungrige Kind einen Aufseher nach einem Stück Brot. Daraufhin bewahrt der verdutzte SS-Mann ihn und seine Mutter vor der Vergasung. Warum? Weil der kleine Jude ausnahmsweise blond war. "Blond war Trumpf", erklärt Dany Dattel, als er 77 Jahre später erstmals zurückkehrt an jenen Ort, an dem er "568 Tage" verbrachte - und den er aufgrund einer erzwungenen Vertrautheit tatsächlich als "meine Heimat" bezeichnet. Allein schon die detailreichen Erinnerungen dieses Mannes, der das Kamerateam durch die heutige Gedenkstätte Auschwitz führt, sind überaus beeindruckend. Gewiss, der Alltag in dieser industrialisierten Todesmaschinerie wurde bereits von einigen Zeitzeugen geschildert. Doch jeder dieser Überlebenden hat eine eigene Geschichte. Und die mit Auschwitz untrennbar verwobene Geschichte von Dany Dattel hat noch eine Reihe weiterer und interessanter Kapitel. Christian Twente, Spezialist für historische Themen, blättert sie in seinem Dokumentarfilm der Reihe nach auf. So überlebte der Junge den berüchtigten Todesmarsch, dem zahlreiche KZ-Insassen noch kurz vor der Befreiung zum Opfer fallen sollten. Allerdings wurde der Junge so von seiner Mutter getrennt. Aus der Obhut seiner tschechischen Adoptiveltern wurde er schon bald darauf wieder entrissen. Seine Mutter - die den Todesmarsch ebenso überlebt hatte - fand ihren Jungen zwei Jahre später mit Hilfe des Roten Kreuzes. Archivfilme dokumentieren, wie Dany Dattel nach dem Krieg prominent wurde, weil er als einziges von 8000 deportierten Kindern das Vernichtungslager überlebt hatte. Auf diese Epoche, in welcher der Junge mit der wieder gefundenen Mutter fremdelte, folgen weitere Einschnitte. Eindrucksvoll zeichnet der Film nach, wie Dany Dattel kurzzeitig in Israel lebte. Von dort aus kehrte er jedoch schon bald wieder nach Deutschland zurück. Im jüdischen Staat konnte seine Mutter nicht Fuß fassen, sie wurde depressiv. Das kann doch alles nicht wahr sein, denkt man sich beim Zusehen - doch die nun folgende Wendung ist noch unglaublicher. Statt eine Laufbahn als Schauspieler einzuschlagen, zwang die Mutter den Jungen zu einer Lehre bei einer Kölner Bank. Die steile Karriere als Devisenhändler, die er hier machte, endete jäh mit der Insolvenz der Herstatt-Bank, einem der größten Finanz-Skandale der Nachkriegsgeschichte. Diese Pleite schob man maßgeblich dem Juden Dany Dattel in die Schuhe: "Sie waren doch in Auschwitz - was soll Ihnen denn noch passieren", sagte man ihm. Begann der Film zunächst ausgesprochen gemächlich, so verfolgt Twente die immer abenteuerlicher werdenden Wendungen im Schicksal des Holocaust-Überlebenden zusehends im Stil eines Formel-1-Piloten. Gewiss, die Herstatt-Pleite ist ein komplexes Thema, über das 2021 ein eigener Film gedreht wurde. Auf wenige Minuten lassen sich diese Insolvenz und ihre einschneidenden Folgen für das Bankwesen nicht eindampfen. Man vermisst jedoch einen etwas präziseren Hinweis auf den Jom-Kippur-Krieg. Für die Niederlage in dieser militärischen Aggression gegenüber Israel rächten sich die arabischen Staaten - und zwar indem sie 1973 die sogenannte Ölkrise verursachten: also jene Krise, die die Schieflage der Herstatt-Bank indirekt mit verursacht hatte. Dattel spekulierte auf steigende Dollarkurse und lag damit falsch. Es entstand ein Schuldenberg, der die Bank mitriss. Dieser Zusammenhang ist eigentlich bekannt, der Kontext hätte hier genauer erläutert werden müssen. Auch, weil der Film damit nch besser verdeutlichen würde, wie eng das Schicksal Dany Dattels mit seiner jüdischen Tradition verflochten ist. Trotz dieses Defizits ist "Verfolgt - Das Maskottchen von Auschwitz" ein Erlebnis. Der Film schlägt einen extrem weiten Bogen von den düstersten Momenten des Naziterrors über die Nachkriegszeit, die Staatsgründung Israels und eine der ersten Dellen im Wirtschaftswunder bis in die Gegenwart hinein. Sieben verschiedene Leben, so der Zusatztitel, beleuchtet Twentes eindringliche Dokumentation. Nachinszenierte Spielszenen mit einem blonden Jungen, der in Auschwitz den kleinen Dany Dattel verkörpert, hätte es allerdings nicht gebraucht, und glücklicherweise bleibt dieses Reenactment insgesamt vergleichsweise zurückhaltend. So wird man nicht zu sehr abgelenkt von diesem beeindruckenden Zeitzeugen, der sich als tief religiösen Menschen bezeichnet: "Ich bin überzeugt, dass Gott neben mir war, als ich in Auschwitz war". Vier Monate nach den Dreharbeiten ist Dany Dattel verstorben. Dieser Film ist ein würdiges Vermächtnis.

Lesen Sie weiter auf www.KNA-News.de