"Razzia im Pfarrhaus" - Podcast-Serie berichtet von Grenzüberschreitungen des Staates

Von Jana Ballweber (KNA)

PODCAST - Was bedeutet es für Menschen, wenn aus dem Nichts Polizei und Staatsanwaltschaft mit einem Durchsuchungsbeschluss vor der Tür stehen? Die Redaktion von netzpolitik.org ist für den Podcast "Systemeinstellungen" auf der Suche nach einer Antwort und hat für die zweite Folge eine Pfarrerin im Hunsrück besucht.

| KNA Mediendienst

alt

"Systemeinstellungen"

Foto: Lea Binsfeld/netzpolitik.org/KNA

Bonn (KNA) Die Wahrscheinlichkeit, morgens von einer Hausdurchsuchung der Polizei geweckt zu werden, schätzen vermutlich die meisten Menschen für sich persönlich als relativ gering ein. Der Schutz der Wohnung ist ein Grundrecht, um ihn zu verletzen, braucht der Staat gute Gründe. Auch Sandra Menzel, seit über 17 Jahre Pfarrerin in einer kleinen Gemeinde im Hunsrück, fällt aus allen Wolken, als im Januar 2019 morgens mehrere Streifenwagen vor ihrem Pfarrhaus stehen und die Staatsanwältin ihr einen Durchsuchungsbeschluss unter die Nase hält. Sie habe zunächst befürchtet, ihre Kinder seien mit dem Schulbus verunglückt oder man brauche sie als Notfallseelsorgerin, berichtet Menzel in der Podcast-Folge "Systemeinstellungen: Razzia im Pfarrhaus", die das Online-Medium netzpolitik.org am Freitag veröffentlicht hat. Die Podcast-Reihe war in der vergangenen Woche gestartet und beschäftigt sich mit Menschen, die plötzlich ins Visier des Staates geraten. Allen Protagonisten der Podcast-Reihe - Journalisten, Wissenschaftler, Klimaaktivisten, Migranten - gemein ist die fragwürdige Härte, mit der der Staat gegen sie vorgegangen ist oder immer noch vorgeht. Hausdurchsuchungen bringt man vor allem mit schweren Verbrechen in Verbindung, in denen Beweismittel gesichert werden oder geheime Verstecke ausfindig gemacht werden sollen. Was hat Pfarrerin Sandra Menzel also angestellt? Seit in den Jahren 2014 und 2015 die Zahlen der Menschen, die vor allem vor dem syrischen Bürgerkrieg nach Deutschland und in andere EU-Staaten geflohen sind, stark angestiegen waren, hat Menzel sich in ihrer Gemeinde in der Flüchtlingshilfe engagiert. 2016 gewährte sie zum ersten Mal einem Syrer in ihrer Kirche Kirchenasyl, um seine Abschiebung zu verhindern. An dieser Stelle schiebt der Podcast eine Erklärsequenz ein: Was ist Kirchenasyl? Auf welcher rechtlichen Grundlage steht es? Warum begann der deutsche Staat in den vergangenen Jahren, deutlich härter gegen Kirchenasyl vorzugehen, bis hin zu einem Vergleich des ehemaligen Bundesinnenministers Thomas de Maiziere, der die humanitäre Hilfe gegen die Anordnung des Staates mit der Scharia verglich? Die Informationen liefert Podcast-Host Serafin Dinges, der die verschiedenen Ebenen der Geschichte - von Migration, Flüchtlingskrise und Rechtsruck über die Debatte rund um das Kirchenasyl bis hin zu staatlichen Eingriffen in die Privatsphäre von Menschen - nach und nach abschält und so zum eigentlichen Kern vordringt. Denn 2018 klopfen wieder geflüchtete Menschen bei Menzel an. Sieben Männer aus der sudanesischen Region Darfur, in der seit Jahren Bürgerkrieg herrscht, sind von Abschiebung bedroht. Zwei von ihnen gewährt Menzel Kirchenasyl, die anderen kommen in Nachbargemeinden unter. Sie informiert sogar das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dass die Geflüchteten vorübergehend bei ihr unterkommen, alles streng nach Vorschrift. Als das Kirchenasyl endet, ist die Sache für Menzel erledigt - bis sie kurz darauf Post von der Staatsanwaltschaft bekommt. Der damalige Landrat Marlon Bröhr, der heute für die CDU im Bundestag sitzt, hatte Menzel angezeigt - wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt. Im Januar 2019 steht dann die Polizei vor der Tür, und verlangt Dokumente und Zugriff auf Menzels technische Geräte. Auch bei den anderen Geistlichen, die Geflüchteten in den Nachbargemeinden Kirchenasyl gewährten, finden zeitgleich Durchsuchungen statt. Hier wird klar, warum das Thema Kirchenasyl auch eines für netzpolitik.org ist. Das Medium beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Digitalthemen - und die Staatsanwältin lässt die elektronischen Geräte der Pfarrer beschlagnahmen oder durchsuchen, scheinbar willkürlich und ohne Rücksicht auf die sensiblen seelsorgerischen Daten, die sich darauf befinden könnten. Der Podcast schildert eindrücklich, was das mit den Protagonisten macht, wie verängstigt und verunsichert sie von den Durchsuchungen und dem aggressiven Auftreten der Staatsanwaltschaft sind, wie Familienmitglieder und Angestellte in die Sache mit hineingezogen werden. Hier liegt eine der großen Stärken des Formats. Der Podcast macht die Ohnmacht der Betroffenen deutlich, wenn es der Staat ist, der gegen sie vorgeht. Menzel führt ein normales, bürgerliches Leben und hat sich nicht mit Absicht in die Schusslinie begeben. Sie hat getan, was sie als Pfarrerin und Christin für richtig hielt. Völlig unvermittelt trifft es sie, dass sie wegen ihres humanitären Engagements, das im Übrigen nicht einmal illegal war, mit einem derart harten Vorgehen der Ermittlungsbehörden konfrontiert ist. Dem Hörer wird so erlebbar, was ein solcher Eingriff bedeutet. Selbst wenn Ermittlungsbehörden sich in den meisten Fällen korrekt verhalten würden, sind es die Einzelfälle, die besondere Beachtung verdienen. Für Menzel ist völlig klar, dass sie Teil einer Profilierungskampagne eines Politikers wurde, der sich durch besonders hartes Vorgehen gegen Geflüchtete einen Namen machen wollte. Der die Justiz für seine Zwecke nutzte, und dass das Ziel war, Kirchengemeinden und Pfarrer davon abzuhalten, in Zukunft Kirchenasyl zu gewähren. Marlon Bröhr, der die Geschichte als Landrat losgetreten hatte, wollte sich auf Anfrage der netzpolitik.org-Redaktion nicht äußern. Man muss mit Menzel und den Protagonisten der anderen Folgen der Podcast-Serie nicht einer Meinung sein. Man kann ihr Verhalten ablehnen, man kann das Konzept Kirchenasyl kritisch sehen. Doch die Grundrechte, das machen die einzelnen Geschichten klar, müssen für alle Menschen gelten, weil man sich darauf verlassen können muss, dass auch der Staat sie einhält. Nur so kann man sich ohne Angst vor Repressionen an der demokratischen Meinungsbildung beteiligen und sich für seine persönlichen und politischen Belange einsetzen. Auch wenn so manche Hausdurchsuchung - auch die bei Sandra Menzel - im Nachhinein von Gerichten für illegal erklärt wird und die gesammelten Daten nicht ausgewertet werden, bleibt der Vertrauensverlust und damit die Abschreckung, sich erneut zu Wort zu melden oder zur Tat zu schreiten. An dieser Stelle sollte der Podcast eigentlich enden, berichtet Ingo Dachwitz, Redakteur bei netzpolitik.org und Autor der Podcast-Folge, im Gespräch mit dem KNA-Mediendienst. Doch als man kurz vor Veröffentlichung der Folge noch einmal mit Sandra Menzel Kontakt aufgenommen habe, zeigte sich, dass die Geschichte hier noch nicht zu Ende ist: "Sandra Menzel hatte vor einigen Wochen wieder die Polizei im Haus. Diesmal haben sie aber keine Daten, sondern den Asylbewerber mitgenommen." Menzel hatte erneut einem Syrer, der von Abschiebung bedroht war, Kirchenasyl gewährt. Dass der Staat es gebrochen hat, zeugt Dachwitz zufolge von einem sich verändernden Klima in Deutschland: "Das Kirchenasyl steht unter Druck." Trotz allem sei für die Recherche an diesem Fall für ihn ein Traum in Erfüllung gegangen, berichtet der Redakteur: "Ich werbe schon seit Jahren dafür, dass Überwachung, digitale Bürgerrechte und Datenschutz auch ein Thema für die Kirchen sein sollten." Das betreffe ethische, aber auch ganz praktische Fragen: "Die Zeiten haben sich geändert, Seelsorge wird auch auf WhatsApp oder per E-Mail betrieben." Die Kirchen liefern Dachwitz zufolge kaum Leitlinien oder Handreichungen, wie sich seelsorgerisch tätige Personen in der digitalen Welt verhalten sollten. Viel Stoff für nur eine Podcast-Folge. Dass das Format sich nicht in dieser Komplexität verliert, ist vor allem den Protagonisten und den klugen Zwischenmoderationen zu verdanken, die durch die Geschichte leiten. Die starke Beschränkung auf den Einzelfall lässt die Folgen sehr subjektiv erscheinen. Die Tatsache, dass beinahe alle Beteiligten der Gegenseite es abgelehnt haben, sich zu äußern, hilft bei diesem Eindruck nicht wirklich. Das ist aber schwerlich der Redaktion anzulasten. Doch gerade über die Empathie mit dem einzelnen Menschen, den die Hörer intensiv kennenlernen, erreicht das Format sein Ziel: sensibilisieren, was es bedeutet, wenn der Staat ins Leben von Menschen einbricht.

Lesen Sie weiter auf www.KNA-News.de