Interview mit Thüringens Medienminister Benjamin-Immanuel Hoff - "Es gibt es kein Gesetz der Unbesiegbarkeit der AfD"

Von Steffen Grimberg (KNA)

Wahlen - Vor den Landtagswahlen in Thüringen warnt Kultur- und Medienminister Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) vor Beitragspopulismus. Ein Gespräch über die Kündigung von Staatsverträgen, Presseförderung, Medien als Schulfach und die Unlust des Ostens auf Europa.

| KNA Mediendienst

alt

Benjamin-Immanuel Hoff

Foto: Paul-Philipp Braun/Imago/KNA

Erfurt (KNA) Benjamin-Immanuel Hoff empfängt in der Erfurter Staatskanzlei in einem Altbau aus Kurmainzer Zeit, ist aber gerade noch schwer digital beschäftigt: Sein jüngstes TikTok-Video wird nirgends geliked. Ob es daran liegt, dass es von TikTok blockiert wurde, weil Hoff im Zusammenhang mit dem Rechtsruck der AfD ein Hitlerbild gepostet hat? Der Sozialwissenschaftler ist seit zehn Jahren Chef der Thüringer Staatskanzlei und intellektueller wie streitbarer Geist auf dem Feld der Kultur- und Medienpolitik. KNA-Mediendienst: Herr Hoff, in der Debatte über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk entsteht oft der Eindruck, alles werde auf die Frage des Beitrags verengt. Ärgert Sie das? Benjamin-Immanuel Hoff: Marx sagte einmal, eine Idee wird materielle Gewalt, wenn sie die Massen ergreift. Ich würde hinzufügen, das gilt auch, wenn sie die Kassen ergreift. Insofern ist die Debatte durchaus adäquat. Was mich aber seit Jahren stört, ist der Rundfunkbeitrag-Populismus. Es ist ähnlich wie die Haltung der Tea Party in den USA, die fordert, dass Kandidaten sich verpflichten, niemals Steuern zu erhöhen. Es ist unrealistisch zu glauben, man könne ewig dieselbe Leistung für das immer gleiche Geld bekommen. Wir müssen vielmehr diskutieren: Was ist im Rundfunkbeitrag enthalten? Diese Diskussion fehlt völlig und ich würde sie gerne führen. MD: Bei den Medientagen Mitteldeutschland Anfang Mai haben Sie gesagt, wir als Politik haben diesen Beitragspopulismus mit befeuert. Würden Sie heute anders agieren? Hoff: Es ist problematisch, dass FDP, CDU und AfD diese Debatte aufmachen, während aus dem progressiven Spektrum dieses Thema in dieser Form nicht kam. Es war ein strategischer Fehler der CDU in Sachsen-Anhalt, zu glauben, man könnte auf dem Feld des Rundfunkbeitrags ungefährlich der AfD Wählerinnen und Wähler abspenstig machen. Nach zehn Jahren dieser Haltung glaubt plötzlich auch die eigene Partei, es sei ein Grundprinzip der eigenen politischen konservativen Haltung, gegen den Rundfunkbeitrag und dessen Erhöhung zu sein. Die Folgen haben wir 2020 gesehen. MD: Als Sachsen-Anhalt die von der KEF empfohlene Beitragsanpassung nicht in Kraft setze und das schlussendlich durch das Bundesverfassungsgericht geschah. Das hat ja auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an sich massiv beschädigt, oder sehen Sie das anders? Hoff: Nein, ich stimme dieser in Frageform gekleideten Feststellung uneingeschränkt zu. In dieser Diskussion hier kann sich ohnehin niemand ausnehmen und sagen, er hat sich immer absolut richtig verhalten - auch die KEF und die Sender nicht. Aber ich bleibe dabei: Wir müssen dringend darüber diskutieren, was durch den Rundfunkbeitrag eigentlich ermöglicht werden soll - und was nicht zwingend enthalten sein muss, heute aber trotzdem aus dem Beitrag finanziert wird. MD: Sie haben ja zum Beispiel ein Fragezeichen an die Finanzierung der für den privaten Rundfunk zuständigen Landesmedienanstalten aus dem Beitrag gemacht... Hoff: Die Landesmedienanstalten waren nur ein Teil dessen, was ich vorgeschlagen habe. Die materiell wirklich relevante Frage ist doch, ob alle Rundfunkbeitragszahlenden die Kosten für diejenigen übernehmen müssen, die vom Rundfunkbeitrag befreit sind. Beim Wohngeld wird das auch nicht auf die anderen Mieterinnen und Mieter umgelegt. Ebenso sollte die Altersvorsorge von den Ländern getragen und aus dem Beitrag herausgenommen werden, da es sich um sozialpolitische Leistungen handelt. Und danach ist auch zu diskutieren, dass private Anbieter an der Finanzierung der Medienanstalten beteiligt werden und zwar insbesondere große Player wie RTL und Netflix. Diese könnten problemlos mehr zahlen, damit die Medienanstalten ihre Aufgaben besser erfüllen können. MD: Im Herbst wird in Thüringen gewählt. Die AfD will den MDR-Staatsvertrag aufkündigen. Sind Sie für den Fall der Fälle vorbereitet? Hoff: Staatsverträge müssen grundsätzlich vom Parlament als Gesetz beschlossen werden und sind in unserer Verfassung geregelt. Es spricht viel dafür, dass dies auch für die Änderung und Kündigung von Staatsverträgen gilt. Die Landesregierung hat dem Landtag angeboten, dies als gemeinsamen Grundsatz zu behandeln. Im Übrigen tun wir alles, damit rechte Extremisten nicht auch nur in die Nähe eines entsprechenden Einflusses geraten, mit der Axt durch den MDR zu holzen. MD: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist das eine, wie sieht es denn bei der Presse aus? Was tut die Landesregierung, um Vielfalt im Lokalen zu stärken? Die klassischen Lokalzeitungen werden ja immer dünner. Hoff: Absolut richtig. Ich schaue interessiert auf jedes Modell, das hier neue Ideen bringt. Denn wir wissen empirisch, dass dort, wo die lokalen Medien zurückgehen, Frustration oder Korruption zunehmen, gesellschaftliches Engagement aber weniger wird. Deshalb haben wir in Thüringen einen Aktionsplan für Lokal-TV erstellt. Wo lokale Informationen abnehmen, müssen die öffentlich-rechtlichen Sender stärker einspringen. Wir brauchen mehr lokale Redaktionen mit crossmedialen Angeboten, um die Kontrolle von lokaler Politik zu unterstützen. Hier wäre Rundfunkbeitragsgeld gut eingesetzt. Nach der Landtagswahl werden wir auch mehr Mittel bereitstellen müssen, um diese lokale Vielfalt zu fördern. MD: Die in Thüringen starke Funke-Gruppe hat über Jahrzehnte ordentlich Geld von Ost nach West transferiert und baut jetzt weiter ab. Im Landkreis Greiz erscheint die "Ostthüringer Zeitung" nur noch digital... Hoff: Kann ich mich darüber beschweren? Als Funke die Entscheidung treffen wollte, thüringenweit die gedruckte Ausgabe der Zeitungen einzustellen, bin ich nach Essen zur Konzernzentrale gefahren und habe gesagt, Leute, habt ihr überhaupt eine Ahnung was im Osten passiert? Wart ihr überhaupt schon mal da? Das, was jetzt im Landkreis Greiz gemacht wird, ist ganz anders gelaufen. Es hat eine Vorfeldkommunikation gegeben und genaue Überlegungen, wie man das macht. Ich finde, da hätte man auch noch mehr machen können. Wenn allen Abonnenten ein Tablet zur Verfügung gestellt wird, hätte man nicht nur die Funke-App dort drauf machen sollen, sondern gleich noch die Anton-App, mit der Oma und Opa mit den Enkeln zusammen lernen können und das E-Government Angebot von Thüringen noch dazu. Außerdem hätte ich mir gewünscht, dass der Bund mit einer Druckkosten- und Vertriebsförderungen ernst macht. Stattdessen ist das vertagt und verschoben worden. MD: Bundesfinanzminister Christians Lindner von der FDP hat vergangene Woche beim Lokalzeitungskongress erklärt, er wolle das nochmal prüfen, wenn das Wirtschaftsministerium und die Medienstaatsministerin ein Konzept vorlegen. Hegen Sie hier jetzt wieder Hoffnung? Hoff: Nein, ich sehe im Bundeshaushalt keine Hoffnung für Maßnahmen, die ich richtig finde. Dass der Finanzminister hier auf zwei grüne Ressorts verweist, um sich aus der Affäre zu ziehen, zeigt ja, dass er eigentlich kein Interesse daran hat. Bei Marx heißt es, nicht der Gedanke muss zur Wirklichkeit drängen, sondern die Wirklichkeit zum Gedanken - und das sehe ich im Bundesfinanzministerium nicht. MD: Die Ampel-Koalition hat sich ja auch in den Koalitionsvertrag geschrieben, sie wolle Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus schaffen. Und die Verlage fordern, die Mehrwertsteuer bei Presseerzeugnissen auf 0 zu senken. Erwarten Sie hier noch eine Umsetzung? Hoff: Gemeinnütziger Journalismus ist ein wichtiger Punkt, aber ich sehe noch nicht die Finanzierungsbeispiele, die mir zeigen, dass wir hier mehr als Trockenschwimmen in der Theorie machen. Bei der Mehrwertsteuer bin ich generell zurückhaltend gegenüber Forderungen nach weiteren Ausnahmen. Stattdessen sollte die Umsatzsteuergesetzgebung generalüberholt und vereinfacht werden. MD: Wie kommt es eigentlich, dass Medien in Thüringen Schulfach ist und nirgendwo anders sonst? Hoff: Thüringen war in Sachen Pädagogik immer vorn. Die Idee des Kindergartens und Fröbel kamen aus Bad Blankenburg. Also sind wir auch in Sachen Medien und Schule notorische Vorreiter. Wir haben zum Glück mit Helmut Holter einen Bildungsminister, der davon überzeugt ist, dass es heute nicht nur um ein technisches Verständnis der Anwendbarkeit von Medien geht, sondern im klassischen Sinne auch um politische Bildung. Wir leben in einer Mediengesellschaft und müssen verstehen, welche Rahmenbedingungen und Kriterien hier gelten. Wenn meine Kinder heute Stop-Motion-Filme machen, dann ist das eine Auseinandersetzung mit der Welt, die sie wahrnehmen. Allerdings mit Instrumenten, die es in meiner Zeit noch nicht gab. MD: Ist in Sachen Schulfach Medien noch ein weiterer Ausbau geplant? Hoff: Wir müssen jetzt erstmal die Erfahrungen sammeln und auswerten. Ehrlich gesagt, haben wir viele Herausforderungen im Schulbereich. Dazu gehört vor allem, die Fachlehrerinnen und Fachlehrer zu bekommen. Insofern würde ich sagen, wir können über den Ausbau nachdenken, wenn wir die Ressourcen an anderen Stellen, zum Beispiel beim Verwaltungsaufwand und der Bürokratie im Bildungsbereich reduzieren. MD: Aktuell läuft der Europa-Wahlkampf. Die "FAZ" thematisierte unlängst eine Umfrage, nach der die Idee Europa in Ostdeutschland immer noch deutlich skeptischer gesehen wird als im Westen. Haben Sie eine Erklärung dafür? Hoff: Haben Sie Ivan Krastevs "Das Licht, das erlosch" gelesen? Das Buch erzählt von der starken Westorientierung, die es im Kalten Krieg im mittleren Osteuropa, also in Polen und vor allem in Ungarn, der lustigsten Baracke im Sozialismus, gab. Die wollten eigentlich immer in den Westen gehen, kamen dort aber nie an, weil der Westen sie eigentlich nie zugelassen und immer nur als Teil einer verlängerten Werkbank gesehen hat. Und wenn du regelmäßig abgewiesen wirst, dann musst du dich schon aus Selbstachtung irgendwann abgrenzen und sagen, ich will dich gar nicht, ich will gar nicht zu dir, weil du dekadent und am Ende bist. MD: Was meinen Sie konkret? Diese Ablehnung gilt auch für Ostdeutschland? Hoff: Meine These lautet: Hätte es 1990 die Wiedervereinigung nicht als Beitritt, sondern im Rahmen einer Konföderation gegeben, wäre Ostdeutschland wohl auch Teil der Visegrád-Staaten geworden. Auch wenn die jetzt gerade auseinanderfallen. Aber Ostdeutschland war näher bei Budapest und früher Warschau als Bonn und ist mehr als drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung immer noch emotional Teil von Mittel- und Osteuropa. Denn auch die Ostdeutschen haben die Erfahrung gemacht, nach exakt 34 Jahren weiter Bundesdeutsche mit sozialistischem Migrationshintergrund zu sein. Das muss man einfach anerkennen. Aus unserem Thüringen Monitor wissen wir, dass durch alle Altersgruppen und Schichten die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger überzeugt ist, dass man Nachrichten in sozialen Netzwerken nicht vertrauen kann. Aber je älter sie sind, umso skeptischer ist ihnen jegliche Regulation der sozialen Netzwerke - weil das mit der Einschränkung von Meinungsfreiheit assoziiert wird. Wir haben keine Vergleichsstudie, ob das in Niedersachsen auch so gesehen wird. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen: Hier läuft einiges anders - aber nicht, weil die Ostdeutschen doof oder nicht demokratisch genug sind, sondern weil wir Ostdeutschland als Teil von Mittel- und Osteuropa lesen müssen und ihre Erfahrungen mit mehr als 25 Jahren Transformationsprozess ernst nehmen. MD: Gelingt das der AfD besser als den anderen Parteien? Hoff: Die PDS war so lange erfolgreich, wie sie quasi als demokratisch-sozialistischer Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten aufgetreten ist. Aber die PDS und die Linke waren und sind immer Teil des demokratischen Systems und haben sich auch so verstanden. Wir wollen eine demokratisch-sozialistische Gesellschaft, die aber auf der Basis der bürgerlichen Rechte und der bürgerlichen Demokratie fußt und diese weiterentwickelt. Die AfD will dieses System überwinden - mit einer Bedingungslosigkeit und Skrupellosigkeit, die diese Partei erfolgreich macht für diejenigen, die entweder tatsächlich mit dem System gebrochen haben, die alles nur vom Spielfeldrand beobachten und das Spiel negativ kommentieren, oder die der festen Überzeugung sind, je mehr sie die AfD unterstützen, umso mehr tut es den anderen Parteien weh, von denen man von früher enttäuscht ist. MD: Das hört sich ziemlich resigniert an. Hoff: Gar nicht. Wenn ein Drittel der AfD-Wähler im Januar sagt, dass sie es gut finden, wenn gegen rechts demonstriert wird, oder die AfD in Umfragen ein Stück weit abnimmt und jetzt bei den Kommunalwahlen auch nicht wie manchmal prophezeit den Durchmarsch geschafft hat, bedeutet das: Menschen wenden sich von der AfD ab und zurück zu demokratischen Parteien. Insofern gibt es kein Gesetz der Unbesiegbarkeit der AfD, ganz im Gegenteil. MD: Wie beurteilen Sie denn den Umgang der Medien mit der AfD? Hier tun wir uns ja alle schwer. Das MDR-Landesfunkhaus Thüringen verzichtet in diesem Jahr auf die sonst üblichen Sommerinterviews mit den Spitzenpolitikern der Parteien im Landtag. Hoff: Ob man das Sommerinterview macht oder nicht, ist letztlich unerheblich. Wir haben hier ein Dilemma. Normativ wissen wir: Aufklärung ist der Ausweg aus selbstverschuldeter Unmündigkeit. Die Medien machen es richtig, wenn sie über die AfD aufklären und Fakten checken. Wir müssen aber auch feststellen: Es gibt Gruppen, denen das egal ist. Die wollen nicht die Wahrheit über die AfD erfahren, da gibt es den Moment der Aufklärung nicht. Trotzdem würde ich immer - und gerade jetzt im 300. Geburtsjahr von Immanuel Kant, dabeibleiben. Allerdings ist die moralische Überhebung ein Problem in jeder gesellschaftlichen Gruppe, gerade auch bei Journalistinnen und Journalisten. MD: Was können die Medien besser machen? Hoff: Kritische Selbstreflexion ist enorm wichtig: Mache ich eigentlich wirklich Aufklärung? Oder schreibe ich Besinnungsaufsätze? Ich mag keine Zeitungen, die zwischen Berichterstattung und Kommentaren nicht differenzieren. Außerdem stört mich inszenierter Streit, auch dort, wo es eigentlich Konsens gibt. In der Gender-Debatte habe ich mich entschieden: Ich schreibe mit Doppelpunkt. Ich habe aber als Minister hier im Haus keine Anweisung an meine Beschäftigten gegeben, dass sie mit Doppelpunkt schreiben müssen. Ich tue es, und wer sich daran stört, kann sich daran stören. Aber ich zwinge niemanden dazu, es zu machen.

Lesen Sie weiter auf www.KNA-News.de