Leider mau - ARD-Serie über die Untiefen der Lobbyarbeit im politischen Berlin

Von Christian Bartels (KNA)

SERIE - Die fiktionale ARD-Serie "Wo wir sind, ist oben" will vom Lobbyismus in der Berliner Republik erzählen, entfaltet aber auch jede Menge Degeto-Emotionalität.

| KNA Mediendienst

alt

"Wo wir sind, ist oben"

Foto: Nik Konietzny/ARD Degeto/Isarstraßen Film/KNA

Bonn (KNA) In der Talkshow muss man die Hoheit über die Betroffenheit erlangen. Keinesfalls darf man sich beim Reden von Gesten mit erhobenen Zeigefingern stoppen lassen. Wer gute Berater hat, bekommt die Fragen vorab zugesteckt. Doof nur, wenn man das vorzeitig durchblicken lässt. Denn dann bekommt man plötzlich andere Fragen gestellt und gerät ins Schwimmen... Geht es so zu in der Berliner Medienrepublik? Durchaus vielversprechend beginnt die achtteilige, vor allem für die Mediathek produzierte ARD-Serie "Wo wir sind, ist oben", indem sie solche Motive anhand einer Talkshow namens "Nina Well" durchspielt. Eine Moderatorin recht ähnlichen Namens sendete schließlich bis Ende vorigen Jahres prominent im ARD-Programm. Die Serie (Headautor: Christian Jeltsch, Regie: Wolfgang Groos, Matthias Koßmehl, Produktion: Isarstraßen Film, ARD-Degeto) erzählt von zwei konkurrierenden Berliner Lobby-Agenturen und deren jungen, ebenfalls rivalisierenden Spitzenkräften Max Lentor (Helgi Schmid) und Valerie Hazard (Nilam Farooq). Im Auftrag von Interessenverbänden, Politikern und anderen setzen sie sich für oder gegen Braunkohleabbau in der Lausitz, die Zulassung von Altenpflege-Robotern oder sonst was ein - meist gegeneinander, denn Lobbyisten werden Fürsprechern und Gegnern einer Sache beauftragt. Das geschieht im echten, ausgiebig gefilmten Berlin und oft vor entscheidenden Bundestags- oder Bundestagsausschuss-Sitzungen. Die politischen Parteien sind die echten, allerdings sind die Politiker fiktiv, ähnlich wie das Onlinemedium "Mach Online", der Sender "Mach TV" oder eben die Talkerin Well (Annabelle Mandeng). Solche Mediensatire vor real existierenden Hintergründen ist schwieriges Terrain, keine Frage. Anspielungen müssen erkennbar sein, dürfen nicht zu plump wirken und erst recht weder Markenrechte verletzen noch Medienmarken (oder politische Parteien!) gegenüber anderen bevorzugen. Und das echtzeit-schnelle Zusammenspiel klassischer mit Online-Medien fiktional nachzubilden, ist zweifellos enorm schwer. Auf diesem Feld agiert die Serie leider schwachbrüstig-halbherzig und verheddert sich bald. Das zeigt sich schon beim "hodenlosen Holger", der der ersten Episode den Titel gibt. Da geht es um Lobbyarbeit für Chemikalien-Grenzwerte im Trinkwasser, über die der Bundestag abstimmen wird. Dass zu hohe Werte schon vor Jahren dazu geführt hätten, dass Jungen ohne Hoden geboren wurden, hat sich eine der Lobbyagenturen ausgedacht, um Einfluss zu nehmen. Das stimmt zwar nicht, aber wirkt. Schließlich soll dieser Holger, den es ebenfalls nicht gibt (auch wenn er in einer anderen Szene mit Papiertüte überm Kopf auftritt) einen Brief an einen Abgeordneten geschrieben haben, mit dem Lobbyist Max Lentor winkt. Holger habe "über eine halbe Million Follower, mehr als drei Viertel davon Erstwähler!", ruft er aus. Hm, ein Influencer, der politische Forderungen nicht mit eigenem Gesicht auf Social-Media-Kanälen vertritt, um seine vielen Follower zu aktivieren, sondern sich indirekt papierschriftlich an einen Politiker wendet? Überdies hat der Lobbyist Glück, dass der Politiker ihm vertraut und den Brief (den es ebenfalls gar nicht gibt) nicht mal lesen möchte. An solche Grenzen der Glaubwürdigkeit, die viel guten Willen erfordern, um sich weiter auf derlei Konstrukte einzulassen, gelangt die Serie schnell und oft. Es wäre ja schön, wenn ein Startup menschenähnliche Pflegeroboter sogar in Deutschland produzieren könnte (zumal sich mit Fabrik-Standort-Versprechen stets Abgeordnete ködern lassen). Um die Zulassung solcher Robos durch einen Bundestagsausschuss geht es dann auch. Und erst im letzten Moment fällt pfiffigen Lobbyisten das Thema Datenschutz ein. Dass Daten das wichtigste Kapital sind, wissen Geldgeber und Startups in aller Welt wie hierzulande. Dass Datenschutz in Deutschland eine große Rolle spielt, die auch vieles verhindert, ebenfalls. Solche wenig durchdachten Episoden-Handlungen dienen zu oft als preiswerter Treibstoff. Für ein längeres, horizontales Handlungsgerüst sorgen Familiengeschichten. Der skrupellose Max hat eine Schwester, die ganz anders drauf ist als er und gerade schwanger. Und rund um das Familien-Geheimnis aus seiner Jugend in der Lausitz, das ihn mit dazu veranlasste, sich für weiteren Braunkohle-Abbau ebendort anheuern zu lassen, winken schnell ziemlich viele Zaunpfähle. Natürlich begegnen sich die beinharten Rivalen Max und Valerie immer mal wieder und fühlen sich bald voneinander angezogen. Überhaupt begegnen sich alle immerzu, ohne dass Nebenfiguren viel Profil gewinnen. Jan-Gregor Kremp als Max' Agenturchef, der gerne entspannt in einem aufklappbaren goldenen Büro-Planschpool schwimmt, und Ulrike Kriener als Herta Zickler, die "Grande Dame" des Lobbyismus aus Bonner Zeiten, die manchmal echten Pelz trägt und einst schon Willy Brandts Kniefall ersonnen haben soll, dürften mehr schauspielerisches Potenzial besitzen als sie hier ausspielen können. Sicher, einige Widerhaken, die zum Weiterdenken anregen mögen, enthält die Serie. Etwa, wenn das Werbevideo für die Pflege-Robos die Bilder erfreuter Senioren in süßlicher Musik ertränkt. Allerdings würde der Widerhaken besser funktionieren, wenn die Serie in ihren auch nicht wenigen gefühligen Szenen, etwa zwischen Bruder und Schwester, nicht auch noch selber ähnliche Musik strapazierte. Einige Schmunzler und auch bösere Gags ("Hinguckermäßig null Wagenknecht", "Dass Sie so sanft reden, ist das Masche oder Long Covid?") setzt das Ganze immerhin. Doch sowohl in den zahlreichen Fernseh-Humorformaten zwischen Böhmermann und Nuhr als erst recht auf allen Plattformen zwischen X/Twitter und TikTok ist der Humor böser und oft auch treffsicherer. Hier wirken die Dialoge dagegen möchtegern-hardboiled ("Ein Trauma in Energie verwandeln, das können nur die besten"). Und mehr noch als Schärfe mangelt es an Tempo, was auch an der für eine Mediatheken-Serie seltsamen Entscheidung liegt, alle Folgen auf gut 50 Minuten Länge zu strecken. Um die Parteien macht die Serie lieber gleich einen weiten Bogen, was bei einer öffentlich-rechtlichen Produktion kaum verwundert. Doch auch die hier geschilderte Welt der Lobbyisten ergibt kein stimmiges Bild. Ziehen Lobbyisten denn nun hinter den Kulissen die Strippen, um ihre Kunden im Talkshowstudio ins beste Licht zu setzen, oder sitzen sie selber in Talkshows, und Berlin ist eigentlich ihre Bühne? Mal so, mal so, wie es gerade in den Kram der Degeto-Emotionalität passt, lautet die Antwort. So sehr das ARD-Großproduktionshaus - durchaus zurecht - betont, dass es inzwischen vielfältige Genres und Formen produziert: Je weiter "Wo wir sind, ist oben" auf seine besonders Pathos-getränkte Schlussfolge zusteuert, desto mehr schmeckt der Süßstoff-Tonfall, der der ARD-Tochter lange vorgehalten wurde, nochmals durch.

Lesen Sie weiter auf www.KNA-News.de