Plauen (KNA) Ein Mann steht am Strand und pinkelt konzentriert ein Zeichen in den Sand, das noch nicht vollendet ist, bei dem es sich aber eindeutig um ein Hakenkreuz handelt. Diese Karikatur aus dem Jahr 1931 ist deutlich, und ihr Zeichner wurde noch deutlicher. In der Karikatur "Das Schoßkind" sitzt ein überdimensioniert fetter Hitler, zur Sicherheit mit Hakenkreuz-Abzeichen, auf dem Schoß eines schmächtigen Franz von Papen. Von Papen, das war die unglückselige Gestalt, die im Januar 1933 als Vizekanzler eine neue Regierung mit dem Reichskanzler Hitler bildete und vor allem mit der ihm zugeschriebenen Aussage "In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrückt, dass er quietscht!" noch bekannt ist. Schon mit Bildung der Regierung war es von Papen, der quietschte, zeigt die Karikatur. Freilich, rund sechseinhalb Jahre später, 1939, zeichnete derselbe Karikaturist anders. Winston Churchill, damals britscher Marineminister, ist für Nachgeborene vielleicht nicht sofort zu erkennen, die Situation erschließt sich erst recht nicht. "Jetzt habe ich den Amerikanern bereits sechs verschiedene Schilderungen über die Versenkung der 'Athenia' gegeben - keine gefällt ...", sagt der gezeichnete Churchill. Der Zweite Weltkrieg hatte just begonnen, das britische Schiff war von einem deutschen U-Boot versenkt worden. Darum tobte eine Deutungsschlacht insbesondere gegenüber den USA, die noch lange keine Kriegspartei waren. Darum geht es auf der wenig witzigen "Witzseite", auf der auch noch nackte, singenden Sirenen auftauchen. Der Zeichner hatte sich also gewandelt, vom eindeutigen Nazi-Gegner zum tagesaktuellen Propagandisten derer, die den Krieg begonnen hatten. Was dazwischen lag, ist das, was den Zeichner noch immer international bekannt macht: Genau 194 textlose Bildergeschichten oder, wenn man so will: Comic Strips mit "Vater und Sohn", dem rundlichen, kahlköpfig-schnurrbärtigen Vater und dem pfiffigen Söhnchen, hat Erich Ohser zwischen 1934 und 1937 gezeichnet. Bekannt sind sie unter dem Namen E.O. Plauen - eben weil Ohser sich eindeutig als Nazi-Gegner positioniert hatte und sein Name auf Berufsverbots-Listen oben stand. Nach der Machtübernahme der Nazis suchte er, der Ende 1931 Vater eines Sohns geworden war, Möglichkeiten, seinen Beruf auszuüben. "Vater und Sohn" durfte er nur unter Pseudonym veröffentliche. Dafür wählte Erich Ohser zu seinen Initialen den Namen seiner Heimatstadt. In Plauen im sächsischen Vogtland, stehen nicht nur in der seltsam urban anmutenden Fußgängerzone - zu Beginn des vorigen Jahrhunderts, als Ohser dort aufwuchs, war der damalige Textilindustrie-Standort zwischenzeitlich zur Großstadt mit mehr als 100.000 Einwohnern gewachsen - allerhand "Vater und Sohn"-Plastik-Figuren, so wie in Berlin Bären und in Hamburg Hans-Hummels stehen. Dort befindet sich neben dem Stadtmuseum auch die Galerie E.O. Plauen, die Ohsers Lebenswerk mit zwei Sonderausstellungen pro Jahr widerspiegelt. Gerade läuft, noch bis zum 22. September, die Ausstellung "Unter Druck - e.o.plauen, der Ullstein Verlag und das Presseviertel in Berlin". Auch da geht es um eine komplexe Gemengelage: Aus dem Ullstein-Verlag, zeitweise dem größten Europas und als Buch-Verlag ja noch immer bekannt, waren früh in der Nazizeit die jüdischen Eigentümer herausgedrängt worden. Seinen Namen trug er dennoch bis 1937 (als er zum "Deutschen Verlag" umbenannt wurde), seine Zeitungen und Zeitschriften erschienen weiter. Schließlich sollte es, auch im Medienbereich, scheinen, als würde sich wenig ändern. Die reichweitenstarke "Berliner Illustrirte Zeitung" brachte von 1934 bis 1937 die "Vater und Sohn"-Bildgeschichten. Damals war E.O. Plauen ein Prominenter. Davon zeugen Homestorys, etwa aus der Ullstein-Zeitschrift "Koralle". Und solche, die sich an Fotos der fotogenen Vater und Sohn Ohser/Plauen erfreuen, die nämlich den bekannten gezeichneten Gestalten gar nicht ähnlich sahen (außer vielleicht, man macht den Schnauzbart des gezeichneten Vaters zu dessen Haupthaar, wie es der Zeichner karikierte). Eindeutig hat Ohser Kompromisse geschlossen, wenn nicht sich den Nazis angedient. Dafür spricht ein "Vater und Sohn"-Strip auf einem "Deine Stimme gehört Adolf Hitler!"-Wahlaufrufs-Faltblatt. Freilich setzte er sich offenkundig Grenzen. Antisemitische Karikaturen, an denen es seinerzeit nicht mangelte, sind von ihm nicht bekannt. "Aber eines tue ich nicht: ich zeichne nie eine antisemitische Karikatur, diese Schweinereien mache ich nicht mit", zitierte ihn der auch noch immer weltbekannte Schriftsteller Hans Fallada in einem nach dem Krieg veröffentlichten Nachruf. Ab Kriegsbeginn fertigte E.O. Plauen, nachdem er im Frühsommer 1939 noch England besucht hatte, tagesaktuelle Karikaturen zum Kriegsgeschehen für die Wochenzeitung "Das Reich" und auch für den "Stern" (über dessen lange Zeit wenig bekannte Vorgeschichte vor 1945 die Mediennische in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ja auch gern diskutierte ...). Er war etabliert im Deutschen Reich - dachte Ohser das selber, vielleicht zu sehr? Markantes Element seiner Vita ist, wie früh sie endete. Im April 1944 nahm er sich mit 41 Jahren im Gefängnis in Berlin-Moabit (dem heutigen Berliner Hauptbahnhof schräg gegenüber) das Leben. Wegen eines "wehrkraftzersetzenden" Gesprächs im Luftschutzbunker in Berlin-Kaulsdorf waren Ohser und Erich Knauf denunziert und verhaftet worden. Knauf, ebenfalls Sachse und Journalist, hatte Ohser vor der Nazizeit als Zeichner entdeck. Vielleicht war es Sorglosigkeit, vielleicht auch Ohsers Schwerhörigkeit, von der Fallada berichtet, die zur Denunziation führten. Eine Kurzschlusshandlung war sein Freitod jedenfalls nicht. Knauf wurde tatsächlich zum Tode verurteilt, vom Volksgerichtshof-Richter Roland Freisler (dessen unmenschliches Geschrei aus abgefilmten Prozessen gegen die Attentäter vom 20. Juli desselben Jahres vielen noch im Ohr sein dürfte) und enthauptet. Kurzum: Das Ohser/Plauen-Museum in Plauen und seine aktuelle Ausstellung zeigen viele Facetten, die sich vielschichtig zusammensetzen, und bietet jede Menge Anlässe zum Weiterdenken. Wie in guten Zeiten vor 1933 die befreundeten "drei Erichs" aus Sachsen, neben Ohser und Knauf noch Erich Kästner, dessen Bücher Ohser illustrierte und der als einziger von den drei die Nachkriegszeit erlebte, die quicklebendige Medienlandschaft vor 1933 aufmischten, und wie diese Quicklebendigkeit ab 1933 schnell verpuffte, ist nur einer davon. Wenn der Vater, nachdem er ins Meer fiel und unter Wasser verschwand, dann stolz mit Seesternen an der Weste herausschreitet, muss das nicht an Judensterne erinnern? Wohl eher nicht, die Zeichnung stammt von 1938, als die Nazis zwar solche Pläne ersannen; doch die Pflicht, Judensterne zu tragen, wurde erst 1941 eingeführt. Aber Ambivalenz gehört natürlich zum Wesen der Karikatur. Nicht nur das tragische Lebensende und das lange Nachleben Ohsers/Plauens grundieren all das, sondern erst recht die bemerkenswerte Heutigkeit vieler seiner weiterhin witzigen Zeichnungen. Am stärksten davon zeugt eine aus den 1920ern, die ebenfalls in Plauen hängt: "Was uns glücklicherweise noch fehlt! Das drahtlose Taschentelefon, das uns jederzeit erreichbar macht" . Bereits in den 1920ern nahm hier einer vorweg, was das Straßenbild der 2020er Jahre wesentlich bestimmt.