"Hitlers Influencerin" - Dokumentarfilm begibt sich auf die Spur von Leni Riefenstahl

Von Thomas Schuler (KNA)

DOKUMENTARFILM - Warum fallen Menschen immer wieder auf gut gemachte Lügen herein? Und wo beginnt Propaganda? Regisseur Andres Veiel und Produzentin Sandra Maischberger sprachen bei der Dokville 2024 in Stuttgart über ihr Riefenstahl-Projekt.

| KNA Mediendienst

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Dokville zu Riefenstahl

Foto: Günther Ahner/Haus des Dokumentarfilms/KNA

Stuttgart (KNA) Eigentlich sei alles "top secret", wie Moderatorin Adrienne Braun eingangs sagte. Der in Stuttgart geborene Regisseur Andres Veiel arbeitet seit mehr als drei Jahren an diesem Film. Und Produzentin Sandra Maischberger beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit der Figur, um die es geht. Es ist ein Dokumentarfilm-Projekt, über das in Branchenkreisen seit Monaten gesprochen wird. Spätestens seitdem bekannt wurde, dass der Film eigentlich auf der Berlinale hätte laufen sollen. Aber offenbar war er noch nicht fertig, und so lobte bei der Dokville 2024 in Stuttgart der Regisseur seine Produzentin für ihre Geduld. Vielleicht liegt es aber auch an der Hauptperson des Ganzen. Denn die heißt Leni Riefenstahl. Zu ihr ist schon viel gesagt, geschrieben und gefilmt worden. Auch vom und für den WDR, der nun auch hinter dem Projekt von Veiel/Maischberger steht. 1982 hatte Nina Gladitz für den Sender "Zeit des Schweigens und der Dunkelheit" gefertigt. Darin geht es um die Entstehungsgeschichte von Riefenstahls letztem Spielfilm "Tiefland" und die Vorwürfe, der Film sei mit Hilfe von Sinti, die in einem KZ nahe Salzburg einsaßen, als Komparsen realisiert worden und diese Sinti seien später teilweise in Auschwitz ermordet worden. Die Überlebenden warfen Riefenstahl im Film von Gladitz vor, sie hätte ihnen versprochen, sie vor der Deportation zu bewahren. In ihrem Buch "Leni Riefenstahl - Karriere einer Täterin" vertiefte Gladitz knapp 40 Jahre später - auch im Stile einer Abrechnung - ihre Recherchen und Vorwürfe. Riefenstahl war 1984 bereits gegen den Film vorgegangen, den der WDR fast 40 Jahre wegsperrte, obwohl Gladitz in drei von vier Punkten vor Gericht gesiegt hatte. Gladitz lehnte einen Umschnitt zunächst ab. Als sie die umstrittene Stelle doch ändern wollte, verweigerte der WDR das Material. Inzwischen kann der Film vor einem Fachpublikum gezeigt werden; ausstrahlen will ihn der WDR weiterhin nicht. Moderatorin Braun stellte in Stuttgart die naheliegende Frage: Ist dieser neue Film von Veiel und Maischberger nun eine späte Wiedergutmachung des WDR? Immerhin ist der WDR neben anderen ARD-Anstalten an der Finanzierung von Veiels Projekt beteiligt. Geplant war, dass auch Christiane Hinz, Leiterin der Programmgruppe Dokumentation, Kultur und Geschichte des WDR, in Stuttgart auf dem Podium sitzen sollte, was einen besonderen Reiz gehabt hätte. Sie wurde allerdings vertreten von Rolf Bergmann vom RBB, der sagte: Der Film von Gladitz sei nicht der erste über Riefenstahl und nicht der letzte. Mit Gladitz habe dieser Film nichts zu tun. Wie hat Andres Veiel sich der Figur genähert? Ausgangspunkt sei der Nachlass, immerhin 700 Kisten, sagte Veiel. "Die Reise begann mit einzelnen Fundstücken, die sehr deutlich gemacht haben: Es wird ein Tanz auf dem Drahtseil, von Anfang an. Was erzählt dieser Nachlass? Gibt es Leerstellen? Ist er arrangiert, vielleicht sogar manipuliert?" Riefenstahl habe Entwürfe zu ihren Memoiren geschrieben, die sich von der dann erfolgten veröffentlichten Fassung unterschieden. Diese Bruchstellen und Widersprüche haben Veiel offenbar fasziniert. Es habe "sehr viele Momente" gegeben, wo er - ohne Riefenstahl neu zu erfinden oder zu entdecken - erstmals Räume betreten habe "die ich so zuvor noch nicht kannte". Was das genau bedeutet, sagte Veiel leider nicht. Dafür aber, dass die Menge des Materials eine Herausforderung gewesen sei, und er und sein Team sich stets gefragt hätten: Wie verdichten wir das auf 110 oder 120 Minuten? "Ausgangspunkt ist die Frage: Wer ist diese Figur? Und was bedeutet sie heute?" Ist sie, wie Dokville-Kuratorin Julia Schumacher meint, "Hitlers Influencerin", bei der man fragen müsse, "in welchem Maße die aktuellen Propagandastrategien der Populisten und Neurechten eine Neuauflage ihrer Ästhetik sind"? Veiel meinte dazu, es sei immer klar gewesen, dass es darüber hinaus gehen müsse, eine despotische Figur zu betrachten. Daher sei es auch ein sehr aktueller Film, der Riefenstahls Ästhetik in heutigen Bildern und Filmen nachspüre. Warum also Riefenstahl? Veiel sagte, er habe sich viel mit deutscher Geschichte beschäftigt, Fragen über das Verdrängen hätten ihn immer wieder beschäftigt, schon weil sein Großvater General im Russlandfeldzug gewesen sei, und der Vater Offizier. Das führe zu Grundfragen: "Welche Geschichten werden weitergegeben? Welche Legenden?" Die Fragen setzten sich in die Gegenwart fort, so Veiel: "Welchen Bildern können wir noch vertrauen? Wofür steht Propaganda? Wo fängt sie an? Wie dechiffrieren wir das? Leni Riefenstahl ist für mich ein Prototyp." Aufgrund der Fülle des Materials könne man durch eine Nahaufnahme Dinge sehen, die bei einer Totalen verborgen blieben. "Wenn man glaubt, dass man aus Geschichte lernt, dann macht die Beschäftigung mit Leni Riefenstahl gerade heute unglaublich viel Sinn", sagte auch Sandra Maischberger. Sie hatte Riefenstahl 2002 zu deren 100. Geburtstag interviewt. Zu einem Zeitpunkt, als diese die öffentliche Auseinandersetzung um ihre Person gewonnen hatte, so Maischberger. Die greise Regisseurin sei damals von Quentin Tarantino, Sharon Stone und vielen anderen bewundert worden. Wie Maischberger bei der Dokville auch erzählt, habe sie das Interview nie mehr angesehen und in ihren persönlichen Giftschrank gesperrt. Sie empfand es offenbar als gescheitert, weil sie Riefenstahl nicht überführen konnte. Riefenstahl habe so sehr an ihre Lügen geglaubt und sie so lange wieder erzählt, dass sie zu ihrer eigenen Wahrheit wurden. 2002 war Riefenstahl international bewundert. Allerdings war es auch das Jahr, in dem die Staatsanwaltschaft wegen ihrer Lüge, allen Sinti-Komparsen gehe es gut, gegen Riefenstahl ermittelte und die Filmemacherin eine Unterlassungserklärung unterzeichnen musste - ein Umstand, der ein Jahr später in ihre Nachrufe Eingang fand. Maischberger sagte, der Blick auf die NS-Ideologie allein bringe keine Erkenntnis, aber die Frage sei, welche Mechanismen dazu führten, dass Menschen immer wieder auf gut gemachte Lügen hereinfielen, so sehr, dass sie von Wahrheit und Fakten nicht mehr zu überzeugen seien. "Das ist das Gegenwärtige von einer Figur, die vor 100 Jahren angefangen hat, zu wirken." Veiel sagte, der Film soll kein Verständnis entwickeln im Sinne einer Entschuldigung. "Aber ich will die Figur verstehen." Daher werde der Film keine Verurteilung, kein Tribunal, keine Anklage. Riefenstahls Lügen seien bekannt. Das Material war über Horst Kettner, den Mitarbeiter und Ehemann von Riefenstahl, an die Sekretärin Gisela Jahn übergegangen, die es wiederum der Stiftung Preußischer Kulturbesitz schenkte. Diese vermeldete 2018, der Nachlass bestehe aus Film- und Fotografiebeständen, Manuskripten, Briefen, Akten, Dokumenten, Ethnografika, Textilien und filmtechnischen Materialien. Die Bestände sollen nun über Datenbanken erschlossen und digitalisiert werden, um sie über ein gemeinsames Portal für Forschung und Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Veiel sagte, gefangen genommen hätten ihn zunächst einzelne Archivalien, etwa ein Tagebuch von 1948. Riefenstahl habe zeitweise eine "Dokumentationswut" entfaltet, die eine noch nie dagewesene "Nah-Einsicht" erlaube. Sie habe beispielsweise auch viele Telefonate aufgezeichnet, etwa mit Albert Speer. Die Arbeit am Film sei eine drei Jahre lange Suche gewesen, auch ein Scheitern. "Irgendwann konnte ich sie nicht mehr ertragen", sagte Veiel. Das Projekt sei "sehr sehr fordernd. Das Brett war sehr dick. Ein paar Bohrer sind abgebrochen." In Stuttgart wurden erste Ausschnitte aus dem Film präsentiert. Das Gesamtwerk wird voraussichtlich im Oktober im Kino zu sehen sein.

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