Quito (KNA) Die Nachricht kam per E-Mail am 24. Juni: Alondra Santiago habe Ecuador zu verlassen, innerhalb von fünf Tagen. Die kubanische Bloggerin und Journalistin hatte zuvor einen regierungskritischen Beitrag veröffentlicht. Über 100.000 Menschen folgen ihr allein auf dem Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter) unter dem Nutzernamen @cubalondra. Der Fall sorgt inzwischen weit über die Grenzen des südamerikanischen Landes hinaus für Schlagzeilen. Santiago arbeitete für einige ecuadorianische Medien, interviewte in ihren eigenen Kanälen immer wieder Politiker oder Persönlichkeiten aus Gesellschaft oder Kultur. Ihr Visum besaß Alondra Santiago seit 19 Jahren, dass die Kubanerin nie die ecuadorianische Staatsbürgerschaft beantragte, begründete sie mit persönlichen Gründen, die sie nun überdenken wolle. Die Interamerikanische Pressevereinigung SIP teilte auf Anfrage des KNA-Mediendienstes mit: "Wir sind besorgt über die Entscheidung des ecuadorianischen Außenministeriums, das Visum der kubanischen Journalistin Alondra Santiago aufzuheben." Vorausgegangen war die Veröffentlichung eines Videos, in dem Santiago auf Basis der Nationalhymne die Regierung von Präsident Daniel Noboa kritisiert. Zuletzt hatte sich Santiago auch kritisch über die "Primera Dama" Lavinia Valbonesi geäußert und die Zustände in den ecuadorianischen Gefängnissen angeprangert. Für die Regierung offenbar zu viel der Kritik. Alondra Santiago steht politisch links, gilt als Anhängerin des ehemaligen linkspopulistischen Präsidenten Rafael Correa. Kurioserweise drohen für ein ähnliches "Vergehen" in ihrer Heimat Kuba lange Haftstrafen. Unter anderem sitzt der Aktionskünstler Luis Manuel Otero Alcantara wegen der Verwendung der kubanischen Flagge derzeit im Gefängnis. Im Fall Santiagos sorgte laut Medienberichten eine Anzeige eines Universitätsdozenten, der die Nationalhymne verunglimpft sah, für die gravierende Entscheidung. Die Aktion habe sich nicht gegen die Hymne gerichtet, ihre fehle auch nicht der Respekt, sagte Santiago laut lokalen Medienberichten. Der Präsidenten habe eine sehr willkürliche und gewalttätige Entscheidung gegen sie getroffen, sagte Santiago. Zudem fehle es an offiziellen Begründungen: "Ich werde einfach abgeschoben und man sagt mir nicht wirklich, warum", sagte Santiago. Dass nun die rechtsgerichtete Regierung von Noboa zu ähnlichen Mitteln greift wie die sozialistischen Machthaber in Havanna, überrascht viele Beobachter. Presseverbände wie der SIP, aber auch Kollegen zeigen sich solidarisch. Santiago suchte sich inzwischen rechtlichen Beistand. Ihr Anwalt Carlos Soria sagte dem ecuadorianischen Medium "Primicias": "Wir versuchen den Prozess der Abschiebung aufzuhalten". Ob das gelingt, ist offen. Die Behörden verweigern offenbar Auskünfte über den Stand der Dinge und die Ursachen der Entscheidung. SIP-Präsident Roberto Rock forderte die ecuadorianische Regierung daraufhin auf, "angesichts der Ungenauigkeit der Gründe für die Entscheidung", eine eindeutige Erklärung darüber abzugeben, "ob die Aufhebung des Visums mit den kritischen Äußerungen der Journalistin zusammenhängt oder nicht." Calos Jornet, Vorsitzender des SIP-Ausschusses für Presse- und Informationsfreiheit und Herausgeber der argentinischen Tageszeitung "La Voz del Interior", forderte, dass "die Regierung in den Monaten vor dem Wahlkampf garantieren muss, dass Journalisten ihre Arbeit als Journalisten und ihr Recht auf Meinungsäußerung und Kritik ausüben können, ohne Einmischung wegen ihrer Kommentare befürchten zu müssen, und so die Möglichkeit einer offenen und informierten öffentlichen Debatte stärken." Noch im März hatte sich der ecuadorianische Präsident Daniel Noboa verpflichtet, die Presse- und Meinungsfreiheit in seinem Land zu gewährleisten, als er nach einem Treffen mit einer internationalen SIP-Delegation im Präsidentenpalast Carondelet in Quito die entsprechenden Erklärungen von Chapultepec und Salta unterzeichnete. Daran erinnern ihn nun die Presseverbände. Noboa ist Sohn eines der reichsten Unternehmer des Landes. Er setzt im Kampf gegen die organisierte Kriminalität auf einen Ausnahmezustand, der bei Menschenrechtsorganisationen umstritten ist. Der Fall Santiago dürfte die Besorgnis über den Umgang mit demokratischen Grundrechten unter der Präsidentschaft Noboas weiter anheizen. Trotzdem gilt er laut Umfragen als einer der populärsten Präsidenten in Südamerika. In Ecuador wird im kommenden Jahr gewählt. Es ist davon auszugehen, dass sich Noboa erneut zur Wahl stellen wird.