Oh, wie ist das schön - ARD und ZDF übertrumpfen sich zur Fußball-EM gegenseitig mit Eigenwerbung

Von Christian Bartels (KNA)

SPORT - Bei der aufgeblasenen Berichterstattung zur Fußball-EM liefern sich ARD und ZDF tatsächlich das, was sie sonst eher rhetorisch beschwören: publizistischen Wettbewerb.

| KNA Mediendienst

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"ZDF-Sportstudio live - UEFA EURO 2024"

Foto: Svea Pietschmann/ZDF/KNA

Berlin (KNA) Oh, wie ist das schön, wenn das enthusiasmierte Studiopublikum im ZDF-"Sportstudio", das ohnehin keinem musikuntermalten Einspielfilm und keiner Experten-Aussage Applaus verweigert, schon vorweg alles mit "Oh, wie ist das schön"-Gesängen feiert. So geschah es am vorigen Samstag, nachdem die deutsche Männer-Fußballnationalmannschaft erstmals seit vielen Jahren ein Ausscheidungsspiel gewonnen hatte, zwar mit kräftiger Hilfe des Video-Schiedsrichters, aber auch Dank eigener ganz guter Leistung. Wie gewohnt bereiten ARD und ZDF ihre Berichterstattung rund um die 34 von 51 Spielen der Fußball-EM, die sie live übertragen, mit jeweils leicht variierten Mustern (und oft den leicht verwechselbaren Moderatoren Alexander Bommes und Jochen Breyer) lange vor- und nach. Wer das erwähnte deutsche Spiel gegen Dänemark in der ZDF-Mediathek rekapitulieren möchte, stößt auf ein Video von 294 Minuten Länge. Jenseits des eigentlichen Spiels sind vor allem immer etwas anders gestaffelte Expertenrunden zu sehen. Mal stehen zwei oder drei Expertinnen und Experten im Stadion oder am Spielfeldrand, mal sitzen etwas größere Runden (deren männliche Mitglieder dann gerne breitbeinig Rauten formen) im Studio. Dabei kommt es immer wieder auch zu analytischen Momenten, doch die Hauptrolle spielt viel, ähm: Empowerment. Die Besonderheit jedes Spiels, das Quäntchen Glück, das längst nicht nur für die oft erwähnten "Lucky Punchs" benötigt wird, die Magie magischer Nächte werden beschworen. Das "Wird alles gut"-Gefühlsmanagement funktioniert. Wer wollte das den Öffentlich-Rechtlichen vorwerfen? Und im ZDF gibt es sozusagen echt was zu feiern. Wenn die beiden Hauptsender alternierend von einem wochenlangen Ereignis berichten und zwischendurch ihre öffentlich-rechtlichen Pflichten wie zum Beispiel Nachrichtensendungen erfüllen, liefern sie sich den publizistischen Wettbewerb, der sonst gerne rhetorisch beschworen wird, tatsächlich. Und da hat der Mainzer Sender die Nase vorn. Beim erwähnten Deutschland-Spiel ging es auf dem regelgemäß retardierten Spannungshöhepunkt, in der Halbzeitpause, nach den obligatorischen zwei Sponsoren-Hinweisen ohne Schnickschnack schnurstracks ins Nachrichtenstudio. Rund 21,8 Millionen Zuschauer ermittelte die Reichweiten-Forschung. Genau so was ist ja ein wesentliches Argument dafür, trotz aller Kritik regelmäßig weiterhin steigende Unsummen für einmalige Übertragungsrechte von Fußballspielen auszugeben: Genau dann, wenn die halbe ... okay, ein Viertel der - Nation linear Livefernsehen anschaut, wird Nachrichtenjournalismus gesendet und kann so Menschen, die sonst kein lineares (oder kein öffentlich-rechtliches) Fernsehen schauen, von öffentlich-rechtlichen Vorzügen zu überzeugen. Das ist am Samstag ganz ordentlich gelungen, auch wenn das "heute-journal" auf gut die Hälfte der viertelstündigen Halbzeitpause zusammengedrängt war. Der Bericht vom AfD-Parteitag und den Protesten dagegen zeigte, wofür die Partei steht - nun auch für die während Europameisterschaften umso abstrusere Ansicht, dass die Ukraine weder Teil der EU noch Europas sei - ohne die Grenzen zwischen Bericht und Kommentar zu verwischen. Der zweite Bericht war weniger tages- als monatsaktuell. Da ging es um den europäischen Fußballverband UEFA und seine Sponsoren, die sichtlich zu einem wesentlichen Teil aus staatsnahen Firmen aus nicht-demokratisch regierten Staaten wie China und Katar bestehen. Pfiff hatte dieser Bericht schon deshalb, weil die Sender, die Übertragungsrechte erwarben, in den Halbzeitpausen nicht nur Sponsorenhinweise, sondern auch noch den aktuellen UEFA-Imagefilm "#all inklusive" ausstrahlen müssen. Wer öfter EM-Fußball anschaut, sieht ihn sehr oft. Im ZDF an diesem Samstag lief er nun nach dem "heute-journal", dessen Bericht ihn zuvor in ein besonderes Licht gesetzt hatte ... Anders hält's die ARD. Wenn dort die 21.00-Uhr-Spiele übertragen werden, laufen vor den ähnlich verknappten "Tagesthemen" erst derselbe UEFA-Imagefilm und dann noch zwei Eigen-Werbespots. Da wirbt die ARD etwa für ihre zahllosen Krimis ("Ein Motiv hat jeder im Ort", macht die Sprecherin auf die Mördersuche gespannt) oder mit Sprüchen wie "Euer Sommer, euer Spaß", für die sich jede Supermarktkette schämen würde, fürs sogenannte "Sommerkino" in ihrer Mediathek. Erst danach folgt die Nachrichtensendung - sogar dann, wenn, wie am vergangenen Sonntag, frische Wahlergebnisse aus Frankreich vermeldet werden. Also für ganz Europa ziemlich wichtige Nachrichten. Nach den sieben- bis achtminütigen "Tagesthem"-chen (und vor der Höhepunkte-Zusammenfassung) ist stets noch Platz für weiter Eigenwerbung. Diesmal fürs "Kneipen-Quiz", mit dem die ARD ihre Fußballabende nach hinten streckt. Wie brachial die ARD auf Eigenwerbung setzt, zeigt sich auch, wenn die Kommentatoren ihrer Liveberichte zweimal pro Halbzeit die eingeblendeten Texthinweise auf weitere Mediatheken-Angebote oder auf so etwas wie den "EM-Kalender", den man im Internetauftritt sportschau.de findet (und natürlich in so ziemlich jedem anderen Nachrichtenportal auch), plaudernd vorlesen und weitermoderieren müssen, sobald sie eingeblendet werden: "Schauen Sie gerne mal rein!". Dass die ARD an Spieltagen, an denen sie das 21-Uhr-Abendspiel nicht zeigt, ihre "Tagesthemen" zwar nicht kürzt, aber durch eine weitere Krimi-Wiederholung auf den für arbeitende Menschen unzumutbaren Werktags-Sendetermin 23.45 Uhr schiebt, zeugt auch nicht von Gespür für öffentlich-rechtliche Pflichten. Wobei das ZDF oft ähnlich agiert - und sich dann wieder zeigt, dass Wettbewerb zwischen den Rundfunkanstalten allzu oft darin besteht, dass die eine Schmonzetten- und die andere Krimi-Unterhaltung im Übermaß anbietet. Klar, die Fußballrechte sind ungemein teuer. Umso längere Berichterstattung rund um die Spiele und Querverweise auf das später folgende Programm ergeben schon deshalb betriebswirtschaftlich Sinn, weil die hohen Kosten so auf mehr Sendezeit mit womöglich überdurchschnittlich hohen Einschaltquoten verteilt werden können. Andererseits bringt der Verzicht auf Spiele - ausgerechnet das Achtelfinale Österreich-Türkei, das viele türkischstämmige Menschen gerne gesehen hätten, lief weder bei den Öffentlich-Rechtlichen, noch auf RTL, sondern im "Magenta-TV" der Telekom - die beitragspflichtigen Anstalten in ganz andere Bredouillen. Umso wichtiger wäre, immer ein öffentlich-rechtliches Profil hochzuhalten, erst recht, wenn man dank mit Rundfunkbeitragseinnahmen ergatterter Fußballrechte endlich mal wieder ein zweistelliges Millionenpublikum erreicht. Wenn im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Nachrichtensendungen, und seien sie halbzeitbedingt kurz, Priorität sowohl vor Eigenwerbung als auch vor Krimiwiederholungen genössen - das wäre wirklich und über den Spieltag hinaus schön.

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