Berlin (KNA) "Wenn sie im Fernsehen ist, fragen manche Leute: Habt ihr nur schwarz-weiß oder ist das etwa die Merkel? Als grau und farblos wurde sie karikiert, bis der Kanzler zu ihr sprach: Bitte folgen Sie mir unauffällig. Und das hat sie getan". Was Friedrich Küppersbusch seinerzeit im WDR-Politmagazin "Zak" Anfang der 1990er über Angela Merkel ironisch über "Kohls Mädchen" formulierte, hat sie beiden später gezeigt. Fast so lange wie Kohl war sie Kanzlerin. Doch wer war oder ist Angela Merkel? Tim Evers hat sich für die ARD auf den Weg gemacht. Herausgekommen ist dabei "Angela Merkel - Schicksalsjahre einer für Kanzlerin". Die etwas arg pathetisch klingende Spurensuche von RBB, MDR und SWR gibt es gleich zweimal - als Fünfteiler in der ARD-Mediathek und als 90-minütige Doku am 15.7. von 22.30 bis 0.00 Uhr im Ersten. "Sie kennen mich", hat Merkel oft gesagt und sagt es in den unterschiedlichsten Varianten auch oft in den "Schicksalsjahren". Bloß dass kaum jemand, da sind sich alle von Evers bemühten "Einschätzer" und Kommentatorinnen einig, sie kannte. Sie sei halt die "unideologische Kanzlerin" gewesen, nennt das die Kolumnistin Samira El Ouassil, in die jede und jeder eine ganz eigene, persönliche Merkel hinein projizieren konnte. Zu Wort kommen neben El Ouassil auch Tilo Jung, Marina Weisband und Le Floyd: Die "Schicksalsjahre" wollen sich vor allem ein an junges Publikum wenden, das unter Merkel aufgewachsen ist. Oder es zumindest nicht gleich vergraulen. Und so unterscheidet sich vor allem die Mediatheks-Version in ihrem Look & Feel schon vorbildlich vom klassischen Polit-TV. Als "Beobachter" neben diesen jüngeren Talking Heads gibt es noch den ehemaligen Innenminister Thomas de Maiziere, die irische Journalistin Judy Demsey von der "International Harald Tribune" sowie die langjährige Hauptstadt-Chefin der "Süddeutschen" Evelyn Roll und der "Zeit"-Journalist Christoph Diekmann. Ihr Fazit - vor allem der jüngeren Generation: Merkel hat eher verwaltet als gestaltet, El Ouassil nennt es einmal ganz ausdrücklich "Verwaltungskanzlerin". Wie bei Barack Obama sei das Bild von ihr im Ausland besser als im Inland gewesen. Zahlreiche Krisen habe Merkel "draußengehalten", um in Deutschland Ruhe und Ordnung zu simulieren. Oder war es anders herum? Thomas de Maiziere sagt jedenfalls, zur Modernisierung, beispielsweise beim Klimaschutz, habe wegen der ganzen Krisen die Kraft nicht gereicht. Für den Westen war Merkel zu sehr Ossi, für den Osten sei sie zu sehr Wessi-haft geworden, lautet eine weitere schicksalsschwere These der "Schicksalsjahre". Natürlich war sie eine angelernte Bundesdeutsche und Europäerin. Aber eine, die Anpassung nicht unbedingt als negativ sieht. Sondern als pragmatische Reaktion auf Veränderung. Hat die Physikerin mit Machtinstinkt also durch ihre "alternativlose Politik" der Mitte die politischen Randzonen gestärkt und die AfD erst zum Leben erweckt, wie eine andere These lautet? Interessante Frage. Ihre Rede zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2021, als sie eindringlichen vor den Gefahren für die Demokratie warnte, kam möglicherweise zu spät. Die "Schicksalsjahre" bringen hier auch kein besonders helles Licht ins Merkel'sche Dunkel. Ja, sie war die "Außenseiterin" - früher in der DDR als Pastorentochter, die aber trotzdem in der FDJ war und in der Partei - dann als vom Normalbetrieb etwas abgekoppelte Physikerin - und dann als Quoten-Ossifrau im ersten wiedervereinigte Kabinett Kohl. Doch wer Merkel darauf beschränkt, springt zu kurz. Wie aus der eher unangepassten und nach heutigen Vorstellungen auch manchmal unpassend gekleideten Neu-Politikerin Merkel ab 1990 dann die Frau mit der Raute wurde, können auch die "Schicksalsjahre" nur nachzeichnen, aber nicht ergründen. Merkel ist das vermutlich ganz recht und das soll auch so. Aus den West-und Ostanstalten also nichts Neues? Natürlich, es gibt die altbekannten Bilder: Elefantenrunde mit Schröder, Merkel als Klimakanzlerin (viel angekündigt, nix gemacht), Flüchtlings-Selfie und die Ansage "Wir schaffen das". Es geht um das Aufkommen der AfD, ihr Verhältnis zu Putin, das Zittern am Ende der Kanzlerschaft. Merkel selbst kommt auf der Metaebene gar nicht zu Wort. Und die stille Botschaft bleibt: Am Anfang wurde sie von (fast) allen unterschätzt. War es am Ende etwa umgekehrt? Unauffällig war sie da nicht mehr, ist es aber inhaltlich geblieben. Auch wenn das einen vielleicht mit einem unbefriedigenden Gefühl zurücklässt, sind die "Schicksalsjahre" vor allem in der manchmal rasant-spielerisch geschnittenen Mediatheks-Version lohnend anzuschauen. Der Soundtrack von manchmal arg politisch gemeinten Titel wie Kate Bush's "Running up that Hill" ist zwar mit Blick auf die jungen Wortführer schon beinahe wieder antiquiert. Aber das Gesamtpaket steht für modernes, öffentlich-rechtlichen Programm. Wobei man am Eingangs zitierten "Zak"-Schnipsel sehen kann, dass wir auch früher schon mal weiter waren.