Rückkehr zum Wesentlichen - Can Dündar auf der Spur von Julian Assanges Enthüllungen

Von Jana Ballweber (KNA)

DOKU - Mit der Spionage-Anklage gegen Julian Assange ist es den Vereinigten Staaten gelungen, die Aufmerksamkeit vom Wesentlichen abzulenken - den Kriegsverbrechen von US-Soldaten, die Wikileaks enthüllte. Der türkische Journalist Can Dündar lässt sie damit nicht durchkommen.

| KNA Mediendienst

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"Julian Assange und die dunklen Geheimnisse des Krieges"

Foto: Mauersberger/Imago/KNA

Bonn (KNA) Es waren Bilder, die um die Welt gingen. Julian Assange blickt nachdenklich aus dem Fenster eines Flugzeugs, das ihn aus Großbritannien ausfliegt. Julian Assange steigt aus einem Flugzeug aus, das ihn nach Jahren der Haft und der Strafverfolgung zurück in heimatliche, australische Gefilde führt. Julian Assange begrüßt seine Frau am australischen Flughafen und hebt sie in die Luft, der erste Kuss in Freiheit. Assanges Geschichte wurde - zurecht - viel erzählt und spätestens seit seiner Freilassung wieder intensiv begleitet und kommentiert. Die Bedeutung seines Falls für die Pressefreiheit ist mehr als deutlich. In den Hintergrund rückte angesichts der skandalösen Strafverfolgung eines Journalisten, welche geheimen Informationen es waren, deren Veröffentlichung die USA so erzürnten, dass sie Assange viele Jahre lang jagten. Das lässt ein anderer Journalist, der Erfahrung mit staatlicher Verfolgung hat, nicht durchgehen. Can Dündar, der wegen der Veröffentlichung von Informationen über türkische Waffenlieferungen an Islamisten im Gefängnis saß und derzeit aus dem deutschen Exil arbeiten muss, geht der Geschichte nach, die Assange berühmt machte - und ihn die Freiheit kostete. "Collateral Murder", so nannte Wikileaks das aufsehenerregende Video, in dem US-Soldaten 2007 in der irakischen Hauptstadt Bagdad ganz offenbar Zivilisten erschossen, angelehnt an den Begriff Kollateralschaden. Es zeigt Aufnahmen, die offenbar aus einem Hubschrauber aufgenommen wurden und zeichnete die Funkkommunikation der Soldaten im Hubschrauber mit ihrem Kommandanten und den Kollegen am Boden auf. Die Doku "Julian Assange und die dunklen Geheimnisse des Krieges", hat Can Dündar für die Deutsche Welle gemacht. Ende Juli läuft sie in den Kanälen des Auslandssenders und im RBB, vergangene Woche, kurz nach Assanges Freilassung, wurde sie bereits auf YouTube veröffentlicht. In ihr wird das Video gezeigt. Die Bilder sind schwer zu verdauen und werden immer unerträglicher, je mehr Kontext die Dokumentation liefert. Denn Dündar hat für die Doku zwei spektakuläre Protagonisten aufgetan. Neben Assanges Ehefrau Stella besuchen Dündar und seine Kollegen Ethan McCord und Sajad Salah Mutashar. McCord ist ehemaliger US-Soldat und war einer der ersten, der nach dem Luftangriff die Toten erreichte. Dort hörte er Kinder weinen, die den Angriff als einzige überlebt hatten. Er zog zunächst ein dreijähriges Mädchen aus dem beschossenen Auto und versorgte das schwer verletzte Kind. Dann kehrte er zurück und holte noch den zehnjährigen Bruder des Mädchens, ebenfalls schwer verletzt. Dieser Junge war Sajad Salah Mutashar. Als die Soldaten am Boden ihren Kollegen im Hubschrauber mitteilten, dass auch zwei Kinder unter den Angegriffenen seien, kommentierten diese das mit der Bemerkung, die Toten seien selbst schuld, wenn sie ihre Kinder mit aufs Schlachtfeld nehmen würden. Dass die Toten unbewaffnete Zivilisten waren, die ganz bestimmt nicht damit gerechnet haben, sich auf einem Schlachtfeld wiederzufinden, erwähnen sie nicht. Die Doku begleitet erst das Treffen mit McCord, der berichtet, wie er traumatisiert aus dem Krieg zurückkehrte und seinen Glauben an das US-Militär verlor. Er berichtet von Suizidgedanken und davon, dass er seinen Kindern gesagt habe, er werde ihnen die Knie brechen, wenn sie eine Militärlaufbahn in Erwägung zögen. Die Perspektive wechselt immer wieder hin und her zwischen dem ehemaligen US-Soldaten und dem Mann, der als Kind bei dem Angriff verletzt wurde. Das schafft eine eindrückliche und manchmal unheimliche Nähe zu den Ereignissen, von denen die beiden abwechselnd berichten. McCord liefert empörende Hintergrundinformationen zu den Abläufen des Tages. Erklärt, wie es überhaupt zum Angriff auf Zivilisten kommen konnte und positioniert sich zur Frage, ab welchem Zeitpunkt im Video er von einem Kriegsverbrechen sprechen würde. Mutashar berichtet, wie er den Angriff erlebte, bei dem er seinen Vater verlor und bei dem seine Schwester schwer verletzt wurde. Er können den Amerikanern nicht verzeihen, was damals geschehen sei, sagt Mutashar. Und tut es dann doch, zumindest McCord. Die Kamera begleitet beide bei einem Wiedersehen via Videotelefonat. Die Szene ist fast schon zu kitschig, um glaubwürdig zu sein. Auf der einen Seite der Soldat, der kollektive Schuld auf sich geladen hat, weil er Teil eines Krieges war, in dem Verbrechen begangen wurden. Der, ganz individuell, am fraglichen Tag aber zwei Kindern das Leben gerettet hat. Und der dennoch seitdem von der Schuld nach und nach zerstört wurde. Auf der anderen Seite ein Mann, der als Kind Traumatisches erlebt hat und einen kaum fassbaren Großmut zeigt. Zwei Protagonisten, die den Skandal rund um Julian Assange in den Hintergrund treten lassen. Die aber genau dadurch zeigen, warum dessen Verhaftung ein Skandal war. Die Doku erzählt die Geschichte zu Ende, die Assange mit seinen Veröffentlichungen angefangen hat. Sie zeigt, dass bei aller womöglich gerechtfertigten Kritik an seiner publizistischen Vorgehensweise ein Dienst dahintersteht, in dem sich das Wesen des Journalismus konzentriert: Missetaten aufzudecken, Machtlosen eine Stimme zu geben, Mächtige zu kontrollieren. Darin liegt die Wirkmacht des Films. Sie begründet sich aber auch darin, dass ihr prominenter Macher nicht hinter der Kamera verschwindet, sondern Teil der Geschichte wird. Can Dündar spricht offen über die Parallelen zwischen seiner eigenen und Assanges Geschichte. Und was zu Beginn, als sich Dündar in einen Nachbau von Assanges winziger Zelle im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh setzt, noch arg pathetisch erscheint, wird im Verlauf immer plausibler. Denn genau hier lauert eine weitere Ebene des komplizierten Skandals. Mit ihrem Vorgehen gegen Assange lieferten die demokratischen Vereinigten Staaten all jenen Machthabern ein unrühmliches Beispiel, die in weniger demokratischen Staaten gegen unliebsame Journalisten vorgehen. Auch Dündar hat Material veröffentlicht, das die türkische Regierung in einem militärischen Kontext bloßgestellt hat. Auch Dündar wurde dafür verfolgt und angeklagt. Der Unterschied: Dündar hat in Deutschland ein Land gefunden, das ihn mit Solidarität und offenen Armen empfangen hat. Freigelassen wurde er auf Betreiben von US-Präsident Joe Biden. Derselbe Präsident, der Assange jahrelang juristisch verfolgt hat. Und der erst von diesem unbequemen Journalisten abließ, als dieser einwilligte, sich schuldig zu bekennen. Schuldig, seine Arbeit gemacht zu haben - die Can Dündar nun vollendet hat.

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