Das bisschen Cancel Culture - RBB knickt vor rechtem Shitstorm ein

Von Jana Ballweber (KNA)

Der RBB kündigt dem Satiriker Sebastian Hotz, nachdem der Trumps Überleben bedauert hat. Der Fall zeigt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk vollkommen unvorbereitet für den Kulturkampf von Rechts ist, meint KNA-Mediendienstredakteurin Jana Ballweber.

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Sebastian Hotz

Foto: serienlicht/Imago/KNA

Bonn (KNA) Es ist der 6. Juni 2024. Kabarettist Dieter Nuhr befasst sich in seiner Sendung "Nuhr im Ersten" mit der neuesten Kriminalitätsstatistik des BKA. Demnach sei die Zahl der Messerangriffe in Deutschland gestiegen. "Was sind das für Menschen, die mit einem Messer aus dem Haus gehen? Sollte man solche Leute nicht besser einschläfern lassen?", fragt Nuhr mit unschuldigem Blick in die Kamera. Menschen einschläfern lassen? Wir haben richtig gehört. Nach Ausstrahlung der Sendung, die der RBB für die ARD produziert, entwickelte sich in den sozialen Medien ein kleiner Shitstorm wegen Nuhrs, sagen wir mal, origineller Vorschläge zur Verbrechensbekämpfung. Nicht der erste Shitstorm, der Dieter Nuhr ereilt, immerhin hat er sich in den letzten Jahren als Stimme der als Rechte missverstandenen Cancel-Culture-Bekämpfern einen Namen gemacht und fiel mit Einladungen von umstrittenen Künstlern wie Lisa Eckhart auf. Eckhart wird immer wieder mit Antisemitismusvorwürfen konfrontiert, was Nuhr und den RBB freilich nicht davon abhielt, sie auch an diesem 6. Juni wieder auftreten zu lassen. Nuhr überstand den Shitstorm, vermutlich weitestgehend unbeschadet. Die nächsten Sendungen des Formats "Nuhr im Ersten" kündigt die ARD auf ihrer Webseite für Mitte September an. Es ist offenbar also möglich, den herbeigeführten Tod von Menschen vorzuschlagen und weiterhin beim RBB beschäftigt zu sein. Eine Entscheidung, die durchaus zu begrüßen ist, immerhin handelt es sich bei Nuhr um einen Kabarettisten, der im Rahmen einer Satiresendung politisches Tagesgeschehen satirisch kommentiert. Das mag man unappetitlich, schockierend und - in allererster Linie - unlustig finden. Doch ein Fall für die Personalabteilung oder gar für die Staatsanwaltschaft ist die Aussage offenbar nicht. Es wäre ja auch ein dickes Ding gewesen, den ohnehin im Kreuzfeuer stehenden, berühmten Kabarettisten einfach so sang- und klanglos vor die Tür zu setzen, weil die Öffentlichkeit irgendwie nur noch aus empfindsamen Snowflakes zu bestehen scheint, die keinen Humor mehr abkönnen und jeden Witz sofort canceln wollen, sobald der Ton etwas handfester wird. Schnitt. Es ist der 13. Juli 2024. Donald Trump hat gerade einen Attentatsversuch überlebt, die Kugel streifte den ehemaligen US-Präsidenten nur und fügte ihm eine leichte Verletzung am Ohr zu. Hätte der Attentäter nur etwas anders gezielt, wäre der Schuss für Trump wohl tödlich gewesen. Ein Satire-Kollege von Dieter Nuhr, der Komiker Sebastian Hotz, im Netz besser bekannt als "El Hotzo", widmet sich über X humoristisch diesem zeitgeschichtlichen Ereignis. Er beantwortet die Frage, was "der letzte Bus" und Donald Trump gemeinsam hätten, mit "knapp verpasst". In einem weiteren Post fügt er hinzu: "ich finde es absolut fantastisch wenn Faschisten sterben". Sebastian Hotz, der für den RBB-Sender Radio Fritz eine regelmäßige Radiosendung moderiert, hätte also den herbeigeführten Tod eines Menschen begrüßt - satirisch. Ein paar empfindsame Snowflakes, äääh, ein paar Journalisten, von "FAZ" über "Bild" bis "Nius", und der FDP-Medienexperte Wolfgang Kubicki wollten Hotz dafür gecancelt sehen. Der RBB zog angesichts dieser Kampagne gegen einen Künstler den einzig denkbaren Schluss. Er beendete die Zusammenarbeit mit Hotz sofort und ließ per Pressemitteilung verlauten, die Äußerungen seien mit den Werten, für die der RBB einsteht, nicht vereinbar. Moment, was? Ein Witz, der nicht einmal in der RBB-Sendung selbst und nur im Namen einer Kunstfigur geäußert wurde und der nicht mit den Werten des RBB vereinbar ist, führt zur Kündigung? Ist es etwa mit den Werten des RBB vereinbar, Menschen einschläfern zu lassen, weil sie kriminell geworden sind? Nein? Die Kündigung von Sebastian Hotz ist Symptom eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR), der angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Verwerfungen, angesichts des "Neulands" der Online-Kommunikation und angesichts der veränderten Anforderungen, die Politik und Gesellschaft an ihn stellen, wieder einmal komplett überfordert ist. Seit einigen Jahren ist es unter Intendanten und anderen Führungskräften des ÖRR Volkssport geworden, ihre Anstalten aufzufordern, sich wieder näher zu den Menschen zu begeben und Perspektiven abzubilden, die sonst zu kurz kommen. Damit meinen sie aber in aller Regel nicht die Gruppen, die sie seit ihrer Gründung vollkommen ignoriert haben, Migranten, Minderheiten, junge Menschen. Sondern die strukturkonservativen Gruppen, denen die bunter gewordene Gesellschaft sehr langsam, aber doch stetig, das Zuviel an Macht wegnimmt, dass das patriarchale, kapitalistische System ihnen über Jahrzehnte und Jahrhunderte zugestanden hat. Der Kabarettist, der sich um die Anliegen dieser Gruppen verdient machen will, behält seinen Job, nachdem er Kriminelle einschläfern lassen will (und im Anschluss breit tritt, warum die Eingeschläferten vor allem Migranten seien). Der Satiriker, der sich an ein junges Publikum richtet und sich bislang immer progressiv und antifaschistisch gab, wird gefeuert, nachdem er bedauert hat, dass ein Mann einen Anschlag überlebt hat, der, glaubt man Aktivisten und Fachleuten, die Vereinigten Staaten nach der Wahl zu einer Autokratie umbauen will. Beide Äußerungen werden vermutlich an vielen Stammtischen, Online-Foren und Chatgruppen in Deutschland auf breite Zustimmung treffen. Dass es einen Unterschied macht, ob man sich im Familienkreis so äußert oder massenmedial an ein breites Publikum richtet - über das Fernsehen oder eine Online-Plattform - ist unbestritten. Ob die Äußerungen noch als Satire durchgehen, ob sie als gute Satire durchgehen - hier können die Meinungen zurecht auseinander gehen. Doch dass der RBB mit seiner Doppelmoral den Eindruck erweckt, es mache einen Unterschied, von wem ein Shitstorm ausgeht, ist fatal. Um mit der Schnelllebigkeit, der Kampagnenform und der Polarisierung von Online-Kommunikation gesellschaftlich fertig zu werden, wäre der ÖRR ein wichtiger Partner. Stattdessen kuscht man vor der vermuteten Meinungsmacht konservativer und rechter Akteure, die die eigentliche Cancel Culture im Netz betreiben. Der rechte Kulturkampf geht nicht mehr weg. Alle Player der Öffentlichkeit werden wieder und wieder damit konfrontiert werden, in Zukunft wohl noch deutlich mehr als heute. Ach ja: Und in Brandenburg wird im September gewählt. Beim RBB und den angeschlossenen Funkhäusern sollte sich besser gestern als heute mal jemand Gedanken machen, wie man in Zukunft damit umgehen will.

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