"Tempo ist nie genug" - Privatsender wollen konsequentere Reform von ARD und ZDF

Von Steffen Grimberg (KNA)

PRIVATSENDER - Die wirtschaftliche Lage der privaten Rundfunker bleibt kompliziert. Trotzdem blicken sie optimistisch in die Zukunft, sagt ihr Verbandschef Claus Grewenig. Darauf, dass es in zehn Jahren noch das duale System gibt, mag er sich aber nicht festlegen.

| KNA Mediendienst

alt

Claus Grewenig

Foto: Ronny Hartmann/Ronny Hartmann/photothek.de/Vaunet/KNA

Berlin (KNA) Im doppelten Jubiläumsjahr - 75 Jahre Grundgesetz und 40 privater Rundfunk - verlangen die Privatsender mehr Anerkennung für ihre Rolle in der Gesellschaft, mit der sie ebenfalls die Demokratie gesichert und TV wie Radio entscheidende innovative Impulse gegeben haben. Die Konflikte mit dem öffentlich-rechtlichen System bleiben, auch wenn sich angesichts neuer Konkurrenz mehr Raum für Kooperationen öffnet, sagt Claus Grewenig. Er ist seit zwei Jahren Vorstandsvorsitzender des Branchenverbands Vaunet - Verband Privater Medien. Hauptberuflich verantwortet der Jurist seit 2017 als Chief Corporate Affairs Officer die Medienpolitik und Lobbyarbeit bei RTL. Beim Vaunet-Vorgänger VPRT war Grewenig seit 2001 tätig, zuletzt von 2011 bis 2016 als Geschäftsführer. KNA-Mediendienst: Herr Grewenig, der Werbemarkt ist nach wie vor die Hauptrefinanzierungsquelle für private Sender.Nach großen Verlusten im vergangenen Jahr prognostiziert Ihr Verband jetzt deutlich bessere Zahlen für 2024. Woher kommt dieser Optimismus? Claus Grewenig: Wir sind mit den Zahlen aus dem Mai mit einer verhalten optimistischen Prognose von plus 6,1 Prozent für dieses Jahr unterwegs, die man aber natürlich im Gesamtkontext einordnen muss. Zum einen haben wir seit Beginn der Multi-Krisen 2019 immer noch eine sehr hohe Volatilität im Werbemarkt. Um es klar zu sagen: Wir lagen Ende 2023 zum Beispiel beim Fernsehen immer noch deutlich - etwa 20 Prozent - unter den Zahlen vor Beginn der Pandemie vor fünf Jahren. Zum anderen sehen wir aber, dass weiter rund 90 Prozent der Mediennutzung auf Audio- und audiovisuelle Medien entfallen. Wir sind nach wie vor eine gesunde Branche. Weil die Visibilität gerade im Werbemarkt sehr beschränkt ist, müssen wir Schritt für Schritt, von Monat zu Monat schauen, ob es sich wirklich so entwickelt. Und hier kommt natürlich auch die Politik ins Spiel. MD: Wieso die Politik? Grewenig: Im Jahr, in dem wir 40 Jahre privaten Rundfunk in Deutschland feiern, stehen viele politische Weichenstellungen an, die entscheiden werdend, ob unsere Branche zum fünfzigjährigen Jubiläum noch mit ihrer heutigen publizistischen und wirtschaftlichen Relevanz existiert - beziehungsweise wie sie dann dastehen wird. Hier müssen wir leider an viele Themen ein Fragezeichen machen. MD: Damit meinen Sie vermutlich in erster Linie die Pläne, TV-Werbung für ungesunde Lebensmittel einzuschränken. Grewenig: Die Androhung von Werbeverboten im Lebensmittelbereich ist sicherlich das größte Thema, was uns derzeit auf Bundesebene beschäftigt. Es geht für uns um einen Markt mit ungefähr drei Milliarden Euro Bruttowerbeumsatz. Nach den inoffiziellen Gesetzentwürfen, die wir aus dem Gesundheitsministerium kennen, würden davon 70 Prozent erfasst sein. Die Debatte ist außerdem unehrlich. Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass alles, was legal erworben werden kann, auch ganz normal beworben werden darf. Wenn es Diskussionen um die Schädlichkeit von Produkten oder Dienstleistungen gibt, müsste sich die Politik dem stellen und Konsequenzen ziehen. Das über weitere Werbeverbote in den Griff bekommen zu wollen, ist absurd. Zumal jede weitere Einschränkung die ohnehin kritische wirtschaftliche Lage der Branche nochmal erschweren würde. MD: Und dann wäre da noch die vom Bund geplante Reform der Filmförderung. Gegen die vorgesehenen Steueranreize fürs Produzieren in Deutschland haben Sie vermutlich nichts. Aber wie sieht es mit der geplanten Investitionsverpflichtung für Sender, Streamer und Plattformen aus? Grewenig: In Sachen Anreize ist Deutschland derzeit nicht wettbewerbsfähig, da brauchen wir tatsächlich neue Regeln, da sind sich alle einig. Gegen die sogenannte Investitionsverpflichtung wenden wir uns vehement, weil das eine Einschränkung sowohl der Programm- oder besser Angebotsfreiheit im Video-on-Demand- beziehungsweise Streaming-Bereich ist. Wir halten auch mit Blick auf die internationalen Erfahrungen eine solche Investitionsverpflichtung für nicht geeignet, den Produktionsstandort Deutschland in Schwung zu bringen, zumal sie keine Produktion in Deutschland absichern kann. Das Thema ist auch innerhalb der Koalition umstritten, wie schon der "Prüfauftrag" im Koalitionsvertrag zeigt - einen von der Regierung gemeinsam getragenen Entwurf gibt es noch nicht, sondern nur die entsprechenden Papiere aus dem Haus von Kultur- und Medienstaatsministerin Claudia Roth. Im Herbst soll es nun konkreter werden. MD: Sie rechnen sich also noch Chancen aus? Grewenig: Die Verwerterseite ist sehr geschlossen. Auch die Länder haben zum Teil sehr konkrete inhaltliche Vorstellungen platziert, die in vielen Teilen nicht mit der Linie des Bundes übereinstimmen. Insofern gehen wir davon aus, dass bei der konkreten inhaltlichen Ausgestaltung der Filmförderung noch Spielraum ist. MD: Die öffentlich-rechtlichen Anstalten sehen das ähnlich. Sind aus den früheren Gegnern im Jubiläumsjahr des dualen Systems endgültig Verbündete geworden? Grewenig: Hier geht es ja um mehr als Filmförderung. Ende Juni wurden die aktuellen Zahlen des Beitragsservice für 2023 öffentlich. Danach sind die Einnahmen aus dem Rundfunkbeitrag nochmal gestiegen und liegen erstmals bei über 9 Milliarden Euro im Jahr. Das ist mit Blick auf die schwierigen Zeiten im privaten Rundfunk ganz klar ein Wettbewerbsvorteil. Deshalb ist die Debatte über die nochmalige Beitragserhöhung ab 2025 für uns private Wettbewerber schwer nachzuvollziehen. Es gibt keine Beschlüsse im dualen System, die sich nicht gleichzeitig auch immer direkt auf die andere Seite, nämlich auf die private Seite, auswirken. Deswegen plädieren wir unverändert an die Länder, beim Auftrag von ARD, ZDF und Deutschlandradio anzusetzen und die vorgesehenen Beschränkungen auch umzusetzen. MD: Der Zukunftsrat hat ja durchaus weitreichendere Veränderungen empfohlen, als jetzt von der Politik umgesetzt werden. Wie steht Vaunet dazu und gehen die Veränderungen schnell genug? Grewenig: Tempo ist nie genug! Die angeschobenen Reformen sind natürlich aller Ehren wert. Aber sie gehen nicht weit genug, solange sie nicht auch mit relevanten Einschnitten beim Auftrag verbunden sind. Unser duales System muss wieder auf ein Maß zurückgeführt werden, was ein Gleichgewicht im Wettbewerb schafft. Bei den Vorschlägen des Zukunftsrats sehe ich viele gute Ansätze, die zum Teil leider kaum öffentlich diskutiert werden. Zum Beispiel das nachträgliche Überprüfungsverfahren der KEF, ob die Anstalten ihren Auftrag wirklich erfüllt haben - und das Abschläge beim Rundfunkbeitrag vorsieht, wenn der Auftrag nicht erfüllt ist. Auch die Forderung des Zukunftsrats, die Unterscheidbarkeit zwischen dem öffentlich-rechtlichen und privaten System stärker herauszuarbeiten und saubere Schnittstellen zwischen dem Programm und den kommerziellen Aktivitäten der Anstalten zu schaffen, teilen wir. Beim Thema Sportrechte muss angesichts der Summen, die ARD und ZDF hier munter weiter bieten, dringend eine staatsvertragliche Deckelung her. Dort steckt auch ganz erhebliches Potenzial für Einsparungen, wenn man sich als Beispiel das Jahr 2022 mit 861 Millionen Euro Kosten für Sportrechte bei ARD, ZDF und den Dritten anschaut. MD: Das hört sich jetzt doch nicht durchgehend nach Verbündeten an. Müssten aber die Herausforderungen durch neue Player wie die Streamingdienste mit Hollywood-Studios oder Milliardenkonzernen wie Amazon, Apple oder Google im Hintergrund nicht schwerer wiegen als die gut eingespielte Schlacht Private gegen Öffentlich-Rechtliche? Grewenig: Das ist ein ganz klares Sowohl-als-Auch: Die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit von mehr Kooperationen auch zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Anbietern sind größer geworden. Wir arbeiten schon lange bei vielen Themen zusammen, sei es bei der Auffindbarkeit vor allem auf Big-Tech-Plattformen, bei den Frequenzen und bei der Infrastruktur. Dazu kommt das Urheberrecht - da ist der Schulterschluss sicherlich sehr viel größer geworden zwischen allen Medien. Zumal wir ja auch noch gemeinschaftlich die Herausforderung der Desinformation zu bewältigen haben. Da sehen wir uns Private klar auf Augenhöhe, aber eben auch denselben Herausforderungen ausgesetzt. Aber das bedeutet doch nicht, dass weiterhin bestehende Konfliktfelder im sensiblen Wettbewerb der Systeme plötzlich keine Rolle mehr spielen dürfen. MD: Ihr Mitglied ProSiebenSat.1 lädt die öffentlich-rechtlichen Angebote sogar dazu ein, Teil seiner Streaming Plattform Joyn zu werden. Macht das Sinn? Grewenig: Ich werde hier nicht die Kooperationsbemühungen von einzelnen Vaunet-Mitgliedern bewerten. Aber wir sehen, dass das Bedürfnis und der Wunsch nach Kooperationen in unserer eigenen privaten Branche, aber auch systemübergreifend mit den Öffentlich-Rechtlichen sehr viel größer geworden ist. Deswegen müssen hier auch die Hürden, die aktuell noch im Wettbewerbsrecht bestehen, ausgeräumt werden und Kooperationen übergreifend ermöglicht sowie Marktbetrachtungen aktualisiert werden. Um es vereinfacht zu sagen: TV konkurriert nicht mehr nur mit TV oder Radio mit Radio. MD: Hat Vaunet eigentlich eine Meinung zum Versuch der Familie Berlusconi, die ProSiebenSat.1 Media SE zu übernehmen? Grewenig: Diese Bewertung haben Sie vorgenommen. Auch hier äußert sich der Verband nicht zu Unternehmensspezifika seiner Mitglieder. Generell ist es wichtig, dass es eine Vielfalt an starken Anbietern und Angeboten gibt, wie wir Privaten das in nunmehr vierzig Jahren aufgebaut haben. MD: Der private Rundfunk argumentiert seit einiger Zeit jetzt auch verstärkt mit seiner gesellschaftlichen Bedeutung. Das war früher eher die Domäne der Öffentlich-Rechtlichen. Warum kommt hier der kommerzielle Sektor so spät aus dem Knick? Grewenig: Das wäre aber ein falscher Eindruck, dass das nicht schon früher passiert ist. Wir feiern dieses Jahr auch 75 Jahre Grundgesetz und es ist doch heute deutlicher denn je, dass auch den privaten Medien eine demokratiesichernde Rolle zukommt. Mehr als 50 Millionen Menschen nutzen täglich die Angebote der privaten Radio- und Fernsehanbieter. Für die gesamte Fernsehbranche sind wir außerdem im Bereich Innovation und bei sehr vielen neuen Programmformaten Treiber gewesen - und sind es immer noch. Der Polittalk ist mit "Talk im Turm" bei Sat.1 erfunden worden, wir haben "Spiegel TV" und "Stern TV". "Galileo" hat die Art der Wissens- und Wissenschaftsvermittlung neu definiert. Gleiches gilt für Innovationen im Radio, etwa bei den Morgensendungen. Das sind alles Themen, die im privaten Rundfunk entwickelt und dann vielfach von den Öffentlich-Rechtlichen nachempfunden wurden. "Four Blocks" oder "Der Pass" haben auch Maßstäbe gesetzt. Heute finden Sie bei RTL oder ProSieben Investigativformate wie Mischke, Jenke oder Wallraff. Und wir sehen, was Joko und Klaas an gesellschaftlichen Diskussionen anstoßen können. MD: Würden Sie sagen, der private Rundfunk ist hier kreativer als die Öffentlich-Rechtlichen? Grewenig: Schon aus wirtschaftlichen Gründen. Das ist doch ein schönes Signal, dass auch die private Produktionswirtschaft hier funktioniert. Ich glaube, was im privaten Rundfunk schon auch immer besonders gewesen ist, ist das Ziel, die junge Zielgruppe zu erreichen und uns am Alltag, an den Lebensinhalten der Menschen zu orientieren und einen Bezug zu ihrem Umfeld herzustellen. Und das ohne irgendein Label draufzukleben und zu sagen, das ist jetzt Migration und das ist Integration oder das ist Diversität. Das machen Sendungen wie "Let's Dance" oder tägliche Serien wie "GZSZ", aber auch der private Hörfunk mit großer Nähe zum Publikum ganz automatisch mit und sind dabei viel näher an der Lebenswirklichkeit dran. Das ist eine ganz besondere Stärke des privaten Rundfunks. MD: Wir feiern dieses Jahr den Tag, an dem ein gewisser Jürgen Doetz vor 40 Jahren in einem Keller in Ludwigshafen auf den Knopf drückte. Und dann ging das Licht des privaten Rundfunks an. Wie sieht's in zehn Jahren aus? Hat jemand bis dahin das Licht wieder ausgeknipst? Grewenig: Mit Langfrist-Prognosen halte ich mich zurück. Ich glaube wie gesagt, dass bis Anfang 2025 entscheidende Weichen gestellt werden müssen. Es geht zum Beispiel um die Umsetzung und den Vollzug der in Brüssel beschlossenen Plattformregulierung, um die Frage, wie wir auch in Zukunft unsere Inhalte zu den Nutzern bringen und mit unseren Angeboten auffindbar sind. Ich habe gar keine Sorge, was unsere Agilität und Innovationskraft angeht. Das ist etwas, wodurch wir uns immer ausgezeichnet haben. Wir hatten zuerst die Auseinandersetzung mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dann hatten wir sehr viel Wettbewerb in unserem Binnensystem. Jetzt geht es um Konkurrenz von außen, von internationalen Playern wie Big-Tech-Plattformen. Wir kennen unsere lokalen und nationalen Märkte aber am besten, was auch in zehn Jahren noch ein Wettbewerbsvorteil für unsere Mitglieder bei Vaunet sein wird. Dazu müssen aber die Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass sie diesen Vorteil auch nutzen können.

Lesen Sie weiter auf www.KNA-News.de