Skopje/Berlin (KNA) Xhabir Deralla ist Preisträger des diesjährigen "Solidarity Awards" der deutschen Südosteuropa-Gesellschaft (SOG). Im Bundestag wurde der Investigativjournalist und Menschenrechtler für mehr als drei Jahrzehnte ausgezeichnet, die er in seiner Heimat Nordmazedonien für "Gerechtigkeit, Freiheit und Wahrheit" kämpft. Laut der Organisation Freedom House seien Medienmacher in dem Westbalkan-Land oft "Druck und Einschüchterung" ausgesetzt: eine Erfahrung, die Deralla als Chefredakteur mehrerer Nachrichtenportale teilt. Er wurde angeklagt und in erster Instanz schuldig gesprochen, weil er einen kritischen Artikel über den kürzlich gewählten Ministerpräsidenten Hristijan Mickoski veröffentlicht hatte. Auch Hassbotschaften gehören für den Demokratieaktivisten inzwischen zum Arbeitsalltag. KNA-Mediendienst: Herr Deralla, was bedeutet Ihnen die Auszeichnung aus Deutschland? XhabirDeralla: Sie kommt unerwartet und als Ermutigung für mich und meine Kollegen. Denn sie ist nicht bloß Anerkennung für die harte Arbeit, die wir investieren, sondern auch für die Risiken, denen wir uns täglich gegenübersehen: Risiken für unser Ansehen und zu einem gewissen Grad auch für unser Leben. MD: Die Nachrichtenportale Ihrer Organisation CIVIL sind keine typischen News-Websites. Wie würden Sie sie beschreiben? Deralla: Wir die haben Medienplattform 2009 gestartet, sie besteht aus mehreren Portalen in mazedonischer, albanischer und englischer Sprache. Damit wollten wir die Dunkelheit durchbrechen, in der die Medien unseres Landes lagen. Wir produzieren tagesaktuelle Nachrichten über Politik und Zeitgeschehen, berichten über Wirtschaft, Umwelt, Klimawandel. Allerdings sind wir nicht kommerziell. Unsere Medienplattform verzichtet auf Clickbait-Artikel genauso wie auf spaßige oder Sportbeiträge. Stattdessen sind wir Experten bei der Aufdeckung von Desinformation, Propaganda und Hassrede. Wir bringen Enthüllungsgeschichten über Wahlen und Korruption in der Politik. Außerdem fördern wir europäische Werte, Multikulturalität und den Umweltgedanken. In der Region sind wir eine der bekanntesten Institutionen, die über Russlands Aggression und seine hybride Kriegsführung gegen Europa berichtet. MD: Wo ziehen Sie die Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus? Deralla: Ich bin seit Ende der 1980er Jahre Journalist und seit den frühen 90ern durchgehend Mitglied der Nordmazedonischen Journalistenvereinigung. Aber als Mensch, Intellektueller und jemand, der sich über die Probleme der Gesellschaft sorgt, greife ich auch zu Aktivismus. Als Bürger habe ich etwa nach der Ermordung von Alexei Nawalny an einem Protest vor der russischen Botschaft teilgenommen und hielt dort eine Rede. Danach kehrte ich ins Büro zurück und setzte mich als Journalist an meinen Schreibtisch - wo ich jedoch keinen Artikel darüber verfasst habe. MD: Würden Sie Aktivismus und Journalismus je vermischen? Deralla: Niemals. Es gibt eine klare Unterscheidung. Okay, wenn ich etwa an einem Tierschutzprotest teilnehme, könnte ich ein Meinungsstück dazu schreiben. Aber ich würde nicht darüber berichten. Wenn einer von uns oder die ganze Redaktion involviert ist, greifen wir für die Berichterstattung auf Agenturmaterial zurück. MD: Wer sind Ihre Leser? Deralla: Für unsere Inhalte, die seriös und fern von reißerisch und kurzweilig sind, haben wir eine erstaunlich hohe Zahl an Lesern. Es sind Entscheidungsträger aus Regierung oder Wirtschaft, Experten aus verschiedensten Sektoren wie auch politisch engagierte Bürger. Es ist eine überwiegend progressive Leserschaft und das über ethnische Grenzen hinaus, was uns stolz macht. MD: Wie viele Journalisten arbeiten für Sie? Deralla: Acht Journalisten und Redakteure sind fest angestellt. Daneben haben wir mindestens 20 externe Mitwirkende: Meinungsschreiber, Analysten, Lokaljournalisten und so weiter. MD: Wer sind Ihre Unterstützer? Deralla: Ausschließlich westliche Spender. Einer der wichtigsten ist das deutsche Auswärtige Amt, daneben auch private Geldgeber aus Schweden, den USA und so weiter. MD: Sie bekommen Hass- und Drohbriefe für Ihre Berichterstattung. Etwa wegen Ihrer Nähe zum Westen? Deralla: Fast durch meine ganze professionelle Karriere hindurch wurde ich als westlicher Agent oder Spion verunglimpft. Dabei ist es lustig: Ich werde von jenen als westlicher Spion bezeichnet, die als Regierungspolitiker Hilfsmittel aus denselben Quellen erhalten. Mit dem Unterschied: Sie bekommen Millionen Euro oder Dollar, wir nur ein paar Tausend. Zudem decken wir damit die Falschinformationen auf, die sie verbreiten, statt das Geld auszugeben, wie es uns gefällt. MD: Sind Sie stolz auf Nordmazedoniens Medienlandschaft? Deralla: Leider ist das schwer möglich. Die meisten Medien, vor allem die Mainstream-Kanäle, die die höchste Reichweite haben, sind in den Händen mazedonischer Oligarchen. Sie haben ihr Geld in den 90ern gemacht, als öffentliche Güter auf unfaire Weise in Privathand gelangten. Dabei arbeiteten sie mit russischen und postkommunistischen Oligarchen aus anderen Teilen Osteuropas zusammen. Es liegt in ihrem Interesse, das Land zu kontrollieren. MD: Freedom House führt Ihr Heimatland nur als "teilweise frei". Was bedeutet das für Nordmazedonien als EU-Beitrittskandidat? Deralla: Es wird extrem schwer werden, tief verwurzelte Praktiken zu überwinden. Nicht nur in der Regierung, auch in der Gesellschaft. MD: Welche Praktiken? Deralla: Das eine zu sagen und etwas komplett anderes zu tun. Ein Gesetz zu erlassen, ohne es umzusetzen. Und dann wäre da noch die tief verwurzelte Korruption; es herrscht regelrecht eine Kultur von Korruption. Mit dieser Regierung sehe ich Nordmazedonien nicht vor 2030 in der EU. MD: Apropos, vor einem Monat übernahm in Skopje die bisherige Opposition die Regierung. Sie gilt als konservativ und rechts. Befürchten Sie, dass der Raum für Medien und Bürgerrechte schrumpft? Deralla: Die Regierung war erst wenige Tage jung, als die ersten Anzeichen einer ernsten Gefahr für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auftauchten. Den Ankündigungen zufolge stehen uns, wie es aussieht, Gesetzesänderungen bevor, mit denen die Regierung in die Justiz eingreifen könnte. Das ist nur ein Beispiel. Zivilgesellschaft, Demokratie und Medienfreiheit werden in der nächsten Zeit sicher nicht zulegen. Daher ist es wichtig zu verteidigen, was wir in diesem Moment noch haben.