Berlin (KNA) Menschen randalieren, haben Selbstmordgedanken, oder sie hungern sich zu Tode. Eine Anlaufstation finden solche verzweifelten Seelen in der Psychiatrischen Akutstation des Zentrums für seelische Gesundheit der Kreisklinik Groß-Umstadt im südhessischen Landkreis Darmstadt-Dieburg. Mit einer kleinen Kamera und ohne Drehteam beobachtete Katrin Wegner über drei Monate hinweg den Alltag in dieser Psychiatrie. Dabei kommt die Autorin Menschen sehr nahe, deren Leben aus unterschiedlichen Gründen in Scherben liegt. "Sie sind nicht mehr in einem Ufo. Sie fliegen nicht mehr um die Welt, Sie sind gelandet, Sie sind in Groß-Umstadt!" Mit diesen Worten spricht die leitende Oberärztin Barbara Jost zu einem ehemaligen Flugbegleiter. Der Mann hatte zunächst Autoscheiben zertrümmert und wurde daraufhin in einem völlig apathischen Zustand eingeliefert. Halluzinierte Stimmen befehlen ihm, nicht mehr zu essen. Damit könne er die Welt retten: "Ich habe keine Maschine, mit der ich gebrochene Seelen röntgen könnte", erklärt die Psychiaterin. Wie man solche Menschen trotzdem auf den Boden der Realität zurückholen kann, davon handelt die Dokuserie "Akutstation Psychiatrie". Fünf halbstündige Folgen, gestaffelt in unterschiedliche Themen wie "Suizidgedanken" oder "gewalttätige Patienten", erzählen von hilflosen oder überaus aggressiven Menschen, deren Leben aus dem einen oder anderen Grund außer Kontrolle geraten ist. Einer von ihnen ist Sebastian, ein Maschinenanlagenführer, der mit dünner Stimme erklärt: "Ich denke schon, es wäre besser nicht mehr zu leben". Todessehnsüchte hat auch die etwa 30-jährige Angestellte L., eine schöne, sympathisch wirkende Frau, die unter lebensbedrohlichen Essstörungen leidet und aus diesem Grund zwangsernährt werden muss. Nachts steht sie heimlich auf, um die wenigen Kalorien, die sie tagsüber zu sich nehmen musste, durch exzessiven Sport wieder abzutrainieren. Vignettenartig werden solche Krankengeschichten von Episode zu Episode verfolgt. Dabei erweitert sich der Blick auch auf den Alltag in der Klinik, in der überraschenderweise keiner der behandelnden Psychiater einen weißen Kittel trägt. Halbgötter in Weiß? Gibt es hier nicht. Auf dem Flur erzählt eine der Psychologinnen, sie habe diese Nacht geträumt, ihr seien alle Zähne ausgefallen. Was das wohl bedeutet? Zu den liebenswürdigsten Protagonisten zählt Erkan, der seit vielen Jahren in der Klinik als Pfleger arbeitet. Beiläufig erläutert der bodenständige Pragmatiker die Frage, warum Türklinken auf der Innenseite der Patientenzimmer nicht wie üblich waagerecht angebracht sind. Ganz einfach - weil Kranke sich daran nicht mehr so leicht erhängen können: einer der vielen Aha-Momente, der die Alltäglichkeit und die Ausweglosigkeit seelischer Abgründe erschütternd direkt vermittelt. In schwierigen Situationen werden die Gesichter der Patienten verpixelt. Elendsvoyeurismus gibt es in dieser Serie nicht. Viele porträtierte Kranke bleiben jedoch erkennbar. Nennen Ärzte oder Pfleger sie beim Familiennamen, so werden diese mit einem Piepston unkenntlich gemacht. Inwiefern diese Protagonisten ihre Einwilligung zur Mitarbeit an der Serie gaben, bleibt unklar. Mit Ausnahme einiger Fachbegriffe, die mit Inserts erläutert werden, wird auf erklärende Off-Kommentare zugunsten des erzählenden Formats bewusst verzichtet. Unangenehm bemerkbar macht sich dieser Formatgedanke jeweils dann, wenn sich leitmotivisch wiederkehrende Musikstücke penetrant in den Vordergrund drängen. Da singt etwa die Popmusikerin Lea mit zartem Stimmchen "Ich bekämpf"/Alle Monster/Unterm Bett/Und im Schrank". Diese doch etwas kitschig anmutende musikalische Untermalung, die zwischen den Bildern als akustischer Klebstoff wirkt, erscheint nicht so ganz passend angesichts der Schicksale von suchtkranken Menschen, die um ihre Rückkehr in den geregelten Alltag kämpfen oder unter Polizeipräsenz fixiert werden müssen. Trotz dieser Einschränkungen gelingt Katrin Wegner, bekannt für publikumsnahe Vermittlung dokumentarischer Inhalte, eine durchaus sehenswerte Serie. Das sperrige Thema psychischen Leidens - das ja eigentlich unsichtbar ist - wird im Stil einer Dokusoap kurzweilig und zugleich sensibel vermittelt. Dabei lässt der erzählerische Bogen über mehrere Folgen hinweg Entwicklungen erahnen. So kehrt der suizidgefährdete Patient Sebastian, der während der ersten Episode Hilfe in der Akutstation suchte, in der letzten Folge nach Hause zurück. Sein Auftreten zeigt, dass er nicht geheilt, aber doch etwas gefestigt wirkt. Dank einer gelungenen Balance aus Nähe und Distanz zu den Protagonisten lässt die "Akutstation Psychiatrie" zumindest erahnen, wie es Menschen in solchen Extremsituationen ergeht. Wenn Sie Suizidgedanken haben oder bei einer anderen Person wahrnehmen: Kostenfreie Hilfe bieten in Deutschland der Notruf 112, die Telefonseelsorge 0800 111 0 111 und das Info-Telefon Depression 0800 33 44 5 33. Weitere Infos und Adressen unter www.deutsche-depressionshilfe.de.