Bonn (KNA) Bescheiden sind sie nicht in diesem weitläufigen Bürokomplex am Bonner Rheinufer, der früher mal das Bundespräsidialamt beherbergt hat und der heute noch aus allen Ritzen und Ecken nach der Bonner Republik zu schreien scheint. Ein Vorreiter sei das Bundeskartellamt in Sachen Digitalwirtschaft gewesen, betont dessen Präsident Andreas Mundt im Interview mit dem KNA-Mediendienst. Für Bescheidenheit sind aber auch die Gegner zu schillernd, mit denen Mundt und sein Haus es tagtäglich zu tun bekommen. Digitalkonzerne wie Google, Amazon oder Meta, die in einer zunehmend durchdigitalisierten Wirtschaft die vielversprechendsten Claims abstecken und kaum Konkurrenz neben sich dulden. Viel zu tun für die Hüter des freien Wettbewerbs. Mundt hat Zeit mitgebracht an diesem Sommertag, Zeit und Lust, über seine Arbeit zu sprechen. Das merkt man nicht zuletzt daran, dass er sein Gegenüber vor Beginn des Interviews minutenlang über das Wesen und Wirken der Katholischen Nachrichten-Agentur ausfragt. Erst als seine Neugier gestillt ist, rückt sich die Rollenverteilung wieder zurecht und Mundt wird zum Interviewten. KNA-Mediendienst: Herr Mundt, die großen Digitalkonzerne, mehrheitlich aus den USA, haben unheimlich viel Macht und unheimlich viel Geld. Warum ist das ein Problem? Andreas Mundt: Sie sprechen da zwei ganz wichtige Faktoren an: Macht und Geld. Diese Unternehmen wie Google, Meta, Amazon, Apple oder Microsoft verfügen neben ihren mächtigen Marktpositionen über schier unglaubliche finanzielle Mittel. In Deutschland galt stets die ordnungspolitische Devise, dass aus wirtschaftlicher Macht keine politische Macht werden darf. Was in einer Demokratie die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ist, ist in der Wirtschaft der freie Wettbewerb. Und der ist in Gefahr, wenn Unternehmen einen zu großen Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten haben. MD: Was tun die Digitalkonzerne denn mit dieser Macht, die sie angesammelt haben? Mundt: Sie können sie zu Lasten von Wettbewerbern und zum Nachteil von Kundinnen und Kunden ausspielen. Es besteht die Gefahr, dass die großen Digitalkonzerne die Marktbedingungen diktieren. Meta besitzt zum Beispiel neben Facebook auch noch Instagram und WhatsApp. Bevor das Bundeskartellamt kam, hat Meta Daten der Nutzerinnen und Nutzer zwischen den unterschiedlichen Diensten, zusammen mit Daten über sonstige Internetaktivitäten der Nutzerinnen und Nutzer, kombiniert und konnte so noch genauere Rückschlüsse auf private Informationen über die Menschen ziehen. Andere Unternehmen haben diese Datenmenge und Datenqualität nicht und deshalb einen enormen Wettbewerbsnachteil. Diese Macht kann sich dann auch auf Verbraucherinnen und Verbraucher auswirken, die irgendwann vielleicht einen hohen Preis für die Dienste zahlen müssen, die jetzt noch kostenlos sind, wenn man sie auch mit seinen Daten bezahlt. MD: Hat diese Macht auch Folgen abseits der Daten? Zu große wirtschaftliche Macht ist auch ein Problem für die Innovation. Wenn ein Unternehmen alle möglichen Konkurrenten ausschaltet oder kleinhält, wird man nie erfahren, ob diese oder der Platzhirsch selbst im Wettbewerb nicht vielleicht viel innovativer gewesen wären und bessere Dienstleistungen und Produkte entwickelt hätten. Und was passiert, wenn ein solcher Konzern mal anfängt, feindlich zu werden, sich gegen die Demokratie zu wenden und sie absichtlich zu schädigen, will man sich gar nicht ausmalen. MD: Sie sagten eben "bis das Bundeskartellamt kam". Was tut Ihre Behörde denn, um die Macht einzugrenzen, hier in Deutschland, aber auch in Zusammenarbeit mit den Wettbewerbsbehörden anderer Länder? Mundt: Wenn wir beim Beispiel Meta bleiben: Hier haben wir untersagt, dass Meta die Daten aus den verschiedenen Angeboten ohne Einwilligung der Nutzerinnen und Nutzer miteinander kombinieren darf. Die WhatsApp-Daten müssen bei WhatsApp bleiben, die Instagram-Daten bei Instagram, Facebook bei Facebook. Das gilt übrigens auch für deren neuestes Angebot, die VR-Brillen. Hier haben wir für Deutschland vorgegeben, dass die Daten nicht mit anderen Daten des Konzerns verbunden werden dürfen. Das hat Meta dann auch international ausgerollt. Die Entscheidung, die hier in Bonn getroffen wurde, hatte also auch Auswirkungen auf andere Länder. Neben unseren eigenen Verfahren tauschen wir uns mit den Wettbewerbsbehörden weltweit sehr intensiv aus und die Kooperation mit der EU-Kommission ist dabei besonders eng. Die Macht der großen Digitalkonzerne ist für all diese Behörden derzeit das Thema Nummer eins. In den USA laufen gerade ebenfalls viele Verfahren. Da geht es dann sogar um eine mögliche Zerschlagung von Konzernen. Das würden wir von Deutschland aus nicht entscheiden, wenn ein Konzern in den USA sitzt, das würde wohl für politische Verstimmung sorgen. MD: China ist mit Baidu, TikTok und Alibaba auch eine aufstrebende Macht in Sachen Digitalwirtschaft. Gibt es da eine Zusammenarbeit? Mundt: Kaum. Ich kann mich noch an eine Zeit – vor etwa 15 bis 20 Jahren – erinnern, da hatten wir einen regen Austausch mit den chinesischen Kolleginnen und Kollegen. Mittlerweile arbeiten wir leider wenig zusammen. Wir hätten aber keine Hemmungen, auch gegen chinesische Digitalriesen vorzugehen, sobald sie in Deutschland entsprechende Wettbewerbsanteile erlangen. Das sehe ich aber derzeit noch nicht, weder bei Bytedance und der Plattform TikTok noch bei Unternehmen wie WeChat oder Alibaba. MD: Nun haben die Digitalkonzerne ja immer noch sehr viel Macht und sehr viel Geld, trotz Ihrer Bemühungen. Sind Sie wirklich erfolgreich? Mundt: Wir sind im Moment in einer sehr entscheidenden Zeit. Wir haben zwei relativ neue Gesetze an die Hand bekommen, mit denen wir im Digitalbereich arbeiten. In Deutschland ist das die GWB-Novelle von 2021, in Europa der Digital Markets Act, der erst in diesem Jahr in Kraft getreten ist. Mit Hilfe dieser beiden Gesetze gehen wir gerade viele große Verfahren an, teilweise laufen die auch schon. Ob das dann den gewünschten Effekt hat, wird sich erst mit der Zeit zeigen. MD: Wie zufrieden sind Sie denn mit dem Arsenal an Gesetzen, das Sie derzeit haben? Braucht es da aus Ihrer Sicht noch Nachbesserungen? Mundt: Im Moment können wir mit dem was wir haben, sehr gut arbeiten. Die Verfahren laufen. Wichtig wird natürlich auch, wie beispielsweise der Bundesgerichtshof zu bestimmten Fragen entscheidet, die im Gesetz offen formuliert wurden. Da liegt uns gerade erst eine Entscheidung zu Amazon vor. Das dauert alles seine Zeit, wobei es schon sehr beschleunigt wurde, indem wir in diesen Fällen direkt zum Bundesgerichtshof gehen können und nicht den gesamten Weg durch die Instanzen nehmen müssen. Dazu kommt: Diese Fälle wollen Sie vor Gericht auf keinen Fall verlieren, sonst kostet das sehr viel mehr Zeit, weil Sie komplett neu ermitteln müssen. Da müssen wir also besonders sorgfältig vorgehen, was auch zusätzliche Zeit in Anspruch nimmt. Für den Moment sind wir mit den vorhandenen gesetzlichen Instrumenten gut ausgestattet. MD: Wenn wir auf den Digitalbereich schauen, bilden hier viele nicht-kommerzielle Angebote eine Alternative zu den großen Konzernen, zum Beispiel Signal als Alternative zu WhatsApp. Was den Marktanteil angeht, können die aber kaum mithalten. Inwiefern berücksichtigen Sie die Belange von Unternehmen ohne Gewinnerzielungsabsicht, die aber trotzdem im wirtschaftlichen Wettbewerb zu kommerziellen Anbietern stehen? Mundt: Im Grunde behandeln wir diese Anbieter genau gleich, sofern sie auch unternehmerisch tätig werden, was sie im Normalfall tun. Es gibt meines Wissens aber keine, die an die Marktmacht der kommerziellen Anbieter heranreichen, aber wäre das so, würden wir sie genauso behandeln. In den meisten Fällen sehen wir diese Angebote eher wohlwollend, weil sie den Wettbewerb beleben können. MD: Anbieter wie Signal mit höheren Datenschutz-Standards haben ja in Bezug auf den Digital Markets Act (DMA) Kritik geäußert, weil dort mehr Interoperabilität zwischen den Plattformen vorgesehen ist, das gemeinnützige, datensparsame Signal also mit dem kommerziellen WhatsApp zusammenarbeiten und Daten austauschen soll. Wie sehen Sie diese Debatte? Mundt: Die Interoperabilität könnte für Signal oder andere kleinere Anbieter von Vorteil sein, weil sie sich damit große, neue Nutzergruppen erschließen könnten. Auf der anderen Seite besteht das Risiko, Alleinstellungsmerkmale, wie höhere Datenschutzstandards zu verlieren. Aber dafür könnte es Lösungen geben, beispielsweise die Zwischenschaltung von Intermediären, die die Daten dann zwischen den Plattformen verschieben und sie auf die jeweiligen Standards bringen. MD: Dann ist die Interoperabilität aber nicht ein so scharfes Schwert für das Wettbewerbsrecht, wie sich das einige erhofft haben. Mundt: Ich möchte nicht ausschließen, dass der Interoperabilität in Zukunft nicht noch eine größere Rolle zukommen wird. Zum Start des DMA liegt der Fokus zunächst auf anderen Fragen, zum Beispiel auf der Selbstbevorzugung. MD: ...also auf Fällen, in denen Konzerne eigene Angebote auf eigenen Plattformen gegenüber externen Angeboten bevorzugen. Über vielen digitalpolitischen und -wirtschaftlichen Fragen schwebt im Moment das Thema Künstliche Intelligenz. Wie wirkt sich das auf den Wettbewerb in der Digitalbranche aus? Mundt: KI verschärft bei der Wettbewerbsaufsicht im Grunde alles, worüber wir bisher gesprochen haben. Das Thema kam ja erst so richtig auf, als der DMA schon fertig war. Die technische Entwicklung ist hier so rasant, da müssen wir erstmal Schritt halten. Wir sehen bei den großen Digitalkonzernen, dass sie auf allen Ebenen, die im Zusammenhang mit der Künstlichen Intelligenz stehen, Vorteile haben. Sie haben die meisten Daten, weil die bei der Nutzung ihrer Dienste anfallen. Sie haben die nötige Infrastruktur. KI kann man nicht mit dem Server im Keller betreiben, hier braucht man Cloud Computing, das zu einem großen Teil in den Händen von Amazon und Microsoft, teilweise auch noch von Google und Meta liegt. Sie haben die Macht über die App-Stores, in denen die KI-Anwendungen den Verbraucherinnen und Verbrauchern zur Verfügung gestellt werden. Es gibt eigentlich kaum eine KI-Anwendung, die nicht an irgendeinem Punkt mit Google oder Microsoft in Berührung gekommen ist. Aber man muss auch sehen: Viele der führenden Köpfe beim Thema KI, auch im Silicon Valley, haben an deutschen Universitäten studiert. Wir haben in Deutschland und in Europa eine Kompetenz, die man nicht vernachlässigen darf, vor allem, weil wir Zugang zu anderen Arten von Daten haben. In Deutschland gibt es zum Beispiel einen großen Schatz an industriellen Daten, die Sie in kaum einem anderen Land finden. Das könnte uns hierzulande bei der Entwicklung von spezieller KI im industriellen Bereich eine gute Ausgangsposition verschaffen. MD: Die zunehmende Marktmacht der Digitalriesen, gerade auch beim Thema Künstliche Intelligenz, macht insbesondere auch Medienhäusern zu schaffen. Lässt sich an diesem Problem noch etwas ändern, kann man die Zeit zurückdrehen und die Machtverhältnisse zugunsten der Medienhäuser verschieben? Mundt: Hier sehe ich neben dem Wettbewerbsrecht auch das Urheberrecht sehr stark am Zug. Auch das Patent- und Markenamt ist hier mit einzelnen Verfahren befasst. Wir im Kartellamt haben uns zum Beispiel mit Google News Showcase beschäftigt, wo Medienhäusern ein Mitspracherecht darüber haben, was dort an Nachrichteninhalten ausgespielt wird, und wir sichergestellt haben, dass die Verlage sich auf das Leistungsschutzrecht berufen können. MD: ...also dass sie finanziell beteiligt werden, wenn Ausschnitte ihrer Arbeit auf anderen Plattformen angezeigt werden. Können Sie als Kartellamt denn in Entscheidungen mit einbeziehen, dass so etwas wie unabhängiger, vielfältiger Journalismus in einer Demokratie als wünschenswert gilt? Mundt: Das ist schwierig, denn wir sind in erster Linie eine Wirtschaftsbehörde. Dass sich das Kartellamt um Vielfalt im Medienbereich verdient gemacht hat, war immer eine Art Nebenprodukt. Wenn wir auf Fusionen im Medienbereich schauen, untersuchen wir auf der einen Seite den Leser-, Hörer oder Zuschauermarkt, also welche Auswahl Leserinnen und Leser in bestimmten Kategorien oder Regionen haben, und auf der anderen Seite den Anzeigenmarkt, also die Frage, welche Alternativen Werbekunden nach einer Fusion noch haben. Wenn man bei diesen beiden Märkten auf funktionierenden Wettbewerb achtet, kommt ganz nebenbei auch eine vielfältige Presselandschaft heraus. MD: Würden Sie den Eindruck bestätigen, dass Sie bei Fusionen im Medienbereich, gerade bei der gedruckten Presse, großzügiger geworden sind? Viele kleine Medienhäuser könnten als unabhängige Unternehmen in einem unter Druck geratenen Markt ja gar nicht mehr überleben. Mundt: Großzügiger nicht, aber eben zeitgemäß, den wirtschaftlichen Entwicklungen folgend. Wir berücksichtigen ein verändertes Nutzungsverhalten. Die Grenze zwischen Print oder linearem Fernsehen auf der einen und Online auf der anderen Seite verschwimmt immer mehr. Fernsehsender sagen zum Beispiel, dass sie für ihre Anzeigensparte von einem „Bewegtbildmarkt“ ausgehen, also Fernsehen und Online zusammen betrachten. Manche Anzeigenkunden wollen aber ganz gezielt ins Fernsehen, weil sie dort eine bestimmte Zielgruppe vermuten, die sie erreichen wollen. Oder nehmen Sie das Beispiel Programmzeitschriften. Für viele Anzeigenkunden ist das weiterhin ein enorm wichtiger Markt, weil sie da den Großvater, den Vater und das Enkelkind erreichen – einfach, weil das Heft zwei Wochen lang auf dem Wohnzimmertisch liegt. Bei welcher Zeitung haben Sie das noch so? MD: Wie beurteilen Sie die zunehmenden Überlegungen zu Kooperationen zwischen Medienhäusern, gerade auch im Bereich der Öffentlich-Rechtlichen, die im Zuge der Diskussion um den Rundfunkbeitrag ja auch unter finanziellem Druck stehen? Mundt: Wir haben überhaupt nichts gegen Kooperationen, solange es keine Preisabsprachen oder andere Vereinbarungen gibt, die den Wettbewerb beschränken. Denn dann entsteht ein Kartell. Bei den Öffentlich-Rechtlichen kommt hinzu, dass sie in vielen Bereichen hoheitlich tätig sind, da können wir ohnehin nicht eingreifen. Dort, wo sie unternehmerisch tätig sind, also zum Beispiel bei privaten Produktionsfirmen oder dem Werbegeschäft, werden sie genauso behandelt wie die Privatwirtschaft. Das heißt aber auch: Kooperation ist kein Problem, solange es keine Wettbewerbsbeschränkungen gibt. Vor rund zehn Jahren ist mal eine gemeinsame Streaming-Plattform von ARD und ZDF gescheitert, eben wegen zu weitgehender Vereinbarungen über Preise und andere Konditionen. Uns wird heute noch manchmal vorgehalten, dass wir eine gemeinsame Plattform der Öffentlich-Rechtlichen verhindern wollen. Richtig ist, dass wir überhaupt nichts dagegen haben, wenn Netflix und Co. etwas entgegengesetzt wird, im Gegenteil. Aber es kommt auf die Ausgestaltung an. Die privaten Sender haben das verstanden, die öffentlich-rechtlichen Anstalten vielleicht noch nicht.