"Kein besseres Land als Deutschland" - Dutzende Medienschaffende in Afghanistan warten auf Rettung

Von Jana Ballweber (KNA)

AFGHANISTAN - Nach der Machtübernahme der Taliban versprach Deutschland gefährdeten Personen die Aufnahme. Drei Jahre später warten immer noch Tausende auf die Bearbeitung ihrer Fälle, während das Programm wegen des Sparkurses wackelt. Auch Journalisten sind betroffen.

| KNA Mediendienst

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Evakuierung des Flughafens in Kabul

Foto: 1lt. Mark Andries/U.S. Marine/Imago/KNA

Kabul/Berlin (KNA) Wäre er in seinem Land sicher, hätte er keine Sekunde darüber nachgedacht, es zu verlassen, sagt Jawad. Er heißt eigentlich anders, doch als Journalist in Afghanistan trachten die Taliban ihm ohnehin tagtäglich nach dem Leben. Deshalb will er lieber anonym bleiben, als er dem KNA-Mediendienst seine Geschichte erzählt. Jawad hat vor der Machtübernahme der Taliban für die afghanische Regierung gearbeitet. Als die Republik 2021 zusammenbrach, war er deswegen ohnehin schon in Gefahr, konnte aber das Land nicht unmittelbar verlassen, weil er sich um seine Eltern kümmern musste. Um seine Familie zu ernähren, heuerte Jawad als Reporter an. Für wen und von wo aus er arbeitet, soll ebenfalls nicht im Text erscheinen, bittet er. Die Informationen liegen dem KNA-Mediendienst aber vor. Er liebe den Reporter-Job und hänge an ihm, sagt Jawad. Auch wenn sich die Bedingungen unter der Herrschaft der Taliban für Medienschaffende drastisch verschlechtert haben: "Hunderte Medienhäuser sind kollabiert, Tausende haben ihre Jobs verloren und haben das Land verlassen. Die Zahl weiblicher Journalistinnen ist stark zurückgegangen", berichtet er. Als Journalist sei man Opfer von willkürlichen Festnahmen, Drohungen und Misshandlungen - bis hin zu Schlägen, Schikanen und Zensur: "Ich bilde da keine Ausnahme." Unabhängig überprüfen lässt sich nicht alles an Jawads Geschichte, ohne ihn in Gefahr zu bringen. Doch es gibt starke Indizien dafür, dass stimmt, was er erzählt. Ende März bekam er über das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan (BAP), mit dem Innenministerium und Auswärtiges Amt bedrohten Afghaninnen und Afghanen die Reise nach Deutschland ermöglichen, die Aufnahmezusage. Er war von der Journalisten-Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) im Oktober 2023 für das Programm vorgeschlagen worden. Die hatte daraufhin seine persönlichen und beruflichen Angaben überprüft, bestätigt Stephanie Huber-Nagel, die sich bei der deutschen Sektion von RSF um Afghanistan kümmert: "Es konnte verifiziert werden, dass er journalistisch gearbeitet hat und wegen seiner journalistischen Tätigkeit gefährdet ist. Also konnten wir seinen Fall bearbeiten und einreichen." Auch die deutschen Behörden haben Jawad zufolge seine Angaben nochmal gecheckt, bevor er im Frühjahr die Zusage erhalten habe. Doch damit ist die Gefahr für Jawad und seine Familie noch nicht gebannt. Denn trotz der Aufnahmezusage befindet er sich weiterhin in Afghanistan. Um nach Deutschland ausreisen zu können, muss er es nämlich zunächst in die pakistanische Hauptstadt Islamabad schaffen. Denn nur dort wickelt ein Dienstleister der Bundesregierung die letzten Formalitäten des BAP ab, darunter das obligatorische Sicherheitsinterview. Dieses soll verhindern, das sich islamistische Gefährder unter die Aufgenommenen mischen. Bestehe man das Interview nicht, habe man umsonst sein Leben in Afghanistan aufgegeben und riskiere eine Abschiebung in das Land der Taliban, so Huber-Nagel. Jawad und seine Familie warten bis heute auf die erforderlichen Visa, um von Afghanistan nach Pakistan reisen zu können: "Pakistanische Visa werden nur ausgestellt, wenn man bis zu 1.500 Dollar Schmiergeld zahlt", berichtet der Journalist: "Unglücklicherweise haben wir nicht so viel Geld." Er habe sich Geld von Freunden geliehen, um eine billigere Option für die Visavergabe in Anspruch zu nehmen, die aber bislang nicht von Erfolg gekrönt gewesen sei. Das Geld für die Visa und auch für die Reisekosten von Afghanistan nach Pakistan müssen die Kandidaten für das BAP selbst aufbringen, berichtet Stephanie Huber-Nagel: "Das ist ein großer Mangel an diesem Programm." Ob Jawad es noch rechtzeitig nach Pakistan schafft, ist offen. Einerseits angesichts der allgegenwärtigen Gefahr, in der er und seine Familie wegen seiner journalistischen Arbeit schweben. Andererseits ist auch die Zukunft des Bundesaufnahmeprogramms nach den aktuellen Haushaltsverhandlungen offen. Denn der Haushaltsplan für 2025 sieht keine Mittel spezifisch für das Programm vor, wie ein Sprecher des Bundesinnenministeriums dem KNA-Mediendienst bestätigte. Das sei das Ergebnis der "mit Blick auf die Haushaltskonsolidierung notwendigen Prioritätensetzung". Regierungsintern berate man gerade über die Zukunft des Programms, so der Sprecher weiter. Die Auswahlrunden seien fürs Erste schon gestoppt worden, berichtet Stephanie Huber-Nagel von Reporter ohne Grenzen. Die Organisation war eine der zivilgesellschaftlichen Gruppen, die im Rahmen des BAP Fälle einreichen konnte, und kümmerte sich um bedrohte Medienschaffende. Das könne man derzeit nicht mehr tun, so Huber-Nagel weiter: "Wir wurden von einem Tag auf den anderen informiert, dass es mit Blick auf den Haushalt erstmal keine Auswahlrunden geben wird." Dabei werde auch beraten, wie es mit den Fällen weitergehen soll, die wie Jawad schon eine Aufnahmezusage haben, deren Ausreise aber noch aussteht, und mit den Personen, die schon von den deutschen Behörden kontaktiert wurden, die aber noch keine Zusage erhalten haben, berichtet Huber-Nagel. Unterdessen warten in Afghanistan noch Tausende auf die Bearbeitung ihrer Fälle im Rahmen des BAP, darunter auch viele Medienschaffende. Drei Jahre nach der Machtübernahme der Taliban und knapp zwei Jahre nach dem Start des Programms zieht RSF eine ernüchterte Bilanz. Das Programm sei für viele eine letzte Hoffnung auf Rettung durch legale Ausreise nach Deutschland gewesen, so die Organisation in ihrem am Montag veröffentlichten Bericht "Nach uns die Sintflut Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan vor dem Kollaps". Nun drohe das BAP ungeordnet zu enden. 1.000 Personen sollten im Rahmen des Programms monatlich nach Deutschland gelangen, so der ursprüngliche Plan der Bundesregierung. Bis Ende Juli wären das etwa 21.000 Menschen gewesen, rechnet Reporter ohne Grenzen vor. Tatsächlich aufgenommen wurden nach Angaben des Innenministeriums bisher 600 Personen, darunter 223 selbst gefährdete Menschen und 377 Familienangehörige. Zwar beläuft sich die Gesamtzahl der aufgenommenen Afghaninnen und Afghanen auf über 34.300 Menschen; die Mehrzahl kam allerdings über andere Verfahren ins Land. 3.093 Personen wurde nach Angaben des Ministeriums bislang die Aufnahme zugesagt. Reporter ohne Grenzen fürchtet nun angesichts des Haushaltsplans um die über 2.000 Menschen, die trotz Zusage bisher nicht ausreisen konnten - so wie Jawad und seine Familie. Und um die, denen die Aufnahme noch nicht zugesichert wurde, darunter auch Medienschaffende: "Die Organisation hat bis Ende Juli 62 Fälle von Journalistinnen und Journalisten und 222 Familienmitgliedern eingereicht. RSF hat sich über Monate intensiv mit ihrer Gefährdung beschäftigt, Dokumente zusammengetragen und die journalistische Arbeit verifiziert." Doch nur in 29 Fällen seien die Hauptpersonen von den deutschen Behörden kontaktiert worden oder hätten bereits eine Aufnahmezusage erhalten. "Ob sie noch nach Deutschland kommen, ist derzeit ungewiss", so die Organisation weiter. Sicher in Deutschland angekommen seien bislang nur sechs Journalistinnen und Journalisten. Man habe auch Fälle in Vorbereitung, die man morgen hätte einreichen können - wenn noch Auswahlrunden stattfinden würden. Dass die Aufnahmezahlen im Rahmen des BAP so deutlich hinter den 1.000 Personen pro Monat zurückblieben, begründet das Innenministerium mit der "Anzahl der zur Auswahl stehenden Vorschläge und inwieweit diese Personen auch die Kriterien für eine Aufnahme über das Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Personen aus Afghanistan erfüllen". Man habe keinen Einfluss darauf, ob die aufzunehmenden Personen die Voraussetzungen für eine Ein- und Ausreise nach und von Pakistan erfüllen. Derzeit erfolge aber eine Evaluierung des Programms durch die Bundesregierung, so der Ministeriumssprecher weiter. Von den Ergebnissen der Verhandlungen über die Zukunft des Programms und der Evaluierung hängt einiges ab. Auch Jawad ist beunruhigt. Er könne es sich nicht leisten, mit seiner journalistischen Tätigkeit aufzuhören, weil er seine Familie ernähren müsse: "Ich kann arbeiten, aber der Preis dafür ist, dass ich mein Leben und das meiner Familie in Gefahr bringe." Der Zensur der Taliban will er sich aber auch nicht beugen: "Wir haben Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Wir nutzen andere Begriffe, um die Taliban zu beschreiben, haben die Zahl der 'heiklen Geschichten' reduziert und fahren nicht mehr alleine zu Terminen", so Jawad. Außerdem ändere man permanent die Arbeitszeiten und -wege der Reporter und verzichte schweren Herzens auf die Autorenzeile bei den Veröffentlichungen, die riskant sein könnten. Die Situation sei sehr belastend, besonders für seine Familie: "Kurz nachdem ich Morddrohungen bekam, bat mich meine Frau, meinen Job zu kündigen und irgendetwas anderes zu machen, um ihr Erleichterung zu verschaffen. Sie leidet psychisch sehr stark unter der Situation." Besonders zu schaffen mache die Tatsache, dass niemand mehr für die Familie sorgen könnte, falls Jawad etwas zustößt, weil Frauen unter der Herrschaft der Taliban kaum Chancen auf Arbeit haben. Der Grund, warum er sein Land verlasse, sei, dass er nicht die Wahl habe zu bleiben. Er könne sich entweder den Taliban unterwerfen oder ermordet werden. Keine der beiden Optionen sei denkbar. "Wir entkommen dem Tod, um ein Leben zu haben, wir flüchten vor Unterdrückung und Tyrannei, um in Freiheit zu leben. Ich könnte mir dafür kein besseres Land als Deutschland vorstellen", sagt Jawad. Zumal es nicht viele Staaten gebe, die afghanischen Journalistinnen und Journalisten vergleichbare Unterstützung anbieten. Zumindest, sofern sich im Haushalt noch Mittel auftreiben lassen.

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