Frankfurt am Main (KNA) Am Ende haben sie es dann doch geschafft. Die finale Staffel von "Babylon Berlin" findet statt, auch ohne den Bezahlsender Sky, der das Serienhighlight in den ersten vier Durchgängen mitfinanziert hatte. Der Wille in der ARD und vor allem bei Degeto-Geschäftsführer Thomas Schreiber war von Anfang an da, nur das Geldeinsammeln hat etwas länger gedauert. Seit Ende Juni ist klar: Acht neue Folgen wird es geben, die das Geschehen um Gereon Rath, Charlotte Ritter und einen Staat namens Deutschland bis ins Jahr 1933 fortsetzen. Beim Besuch in Frankfurt ein paar Tage zuvor kann der Degeto-Chef allerdings noch nicht offiziell darüber reden. Finale Zusagen und Gremienbeschlüsse stehen noch aus. Doch ein nicht eben unauffällig drapiertes "Babylon-Berlin-Plakat" in Schreibers Büro zeigt schon an, wo es langgeht. Gegründet wurde die Degeto - Langname Deutsche Gesellschaft für Ton und Filme - schon lange vor der ARD. Das war 1928, ein Jahr später setzt in Volker Kutschers polithistorischen Berlin-Romanen die fiktive Handlung um den aus Köln in die Reichshauptstadt gewechselten Kriminalkommissar Gereon Rath ein. Der erste Band, der Grundlage für die erste Staffel von "Babylon Berlin" war, heißt "Nasser Fisch", was in der Polizeisprache für einen ungeklärten Fall steht, im englischen Slang aber auch einen schwachen, uneffektiven Menschen meinen kann. Heute heißt die Degeto offiziell ARD Degeto Film und gehört zu den finanziell stärksten Gemeinschaftseinrichtungen des Senderverbunds. Pro Jahr steht ihr ein Jahresbudget von rund 400 Millionen Euro für Lizenzeinkäufe, Auftrags- und Gemeinschaftsproduktionen, Kofinanzierungen, Materialbeschaffung und Synchronisation zur Verfügung. Schreiber schwärmt denn auch von der großartigen Solidarität innerhalb der ARD: "Denn unseren Etat haben wir nur, weil wir von jedem Sender aus dem Verbund finanziert werden. Und das ist in Zeiten von Kürzungen keine Selbstverständlichkeit. Umso wichtiger ist die Kommunikation über das, was wir machen - die Verabredung von Zielen und idealerweise auch das Einhalten von Zielen." Doch genau das wird im aktuellen Spagat zwischen dem weiter starken linearen TV-Angebot für älter werdende Zielgruppen und der digitalen Jagd nach jungem Publikum nicht eben leichter. "Die Bandbreite des Degeto-Angebotes ist ja sehr viel größer als das, was zum Beispiel am Freitagabend im Ersten läuft", sagt Schreiber. Die Zeiten, in denen der ARD-Freitagabend vor seichten Schmonzetten triefte und das Feuilleton über "Süßstoffoffensiven" lästerte, sind natürlich längst vorbei. Wirklich? "Wir stehen selbstbewusst auch für populären Mainstream, also eine große Zugänglichkeit für breite Zuschauergruppen", sagt Schreiber: "Und die Produktionen laufen sehr gut. Wir wissen, dass über die Jahre immer weniger Menschen das lineare Programm einschalten, aber der Donnerstagskrimi hatte im ersten Quartal 2024 so viel Zuspruch wie noch nie". Im Klartext bedeutet das 24 Prozent Marktanteil und über 6 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer. "Wir haben also immerhin so viel richtig gemacht, dass uns das Publikum weiterhin sehr stark vertraut." Trotzdem nimmt die Zahl der Menschen, die zur Hauptsendezeit das Fernsehprogramm einschalten, langsam, aber beständig ab. Auftritt Christoph Pellander, der bei der ARD Degeto Film für das Programmmanagement verantwortlich zeichnet. Und das bedeutet heute vor allem die Frage: Pantoffelkino oder Mediathek? Zwischen selbstbestimmtem Stream und linearem Fernsehen lauern höchst unterschiedliche Kriterien für die Programmstrategen. "Wir werden gelegentlich gefragt: Warum sendet ihr das nicht auch um 20.15 Uhr im Ersten?", erzählen die beiden. Neben dem Rückgang der linearen Zahlen gibt es einen so banalen wie entscheidenden Grund. "Wenn wir die Programme, die wir für ein jüngeres Publikum herstellen, nicht zuerst in der ARD-Mediathek zeigen, warum sollen Menschen dann in die ARD Mediathek gehen?" Zumal, sagt Pellander, "es bei den Serien für die Mediathek um andere Zuschauergruppen geht, die die Primetime um 20.15 Uhr im linearen Fernsehen gar nicht mehr verinnerlicht haben." Dass die Fixierung auf Sendeplätze überholt ist und die ARD-Mediathek und ihre "Stage", also die Startseite, die neue Primetime sind, geht mittlerweile fast allen ARD-Hierarchen locker über die Lippen. Das war nicht immer so. Als 2016 Funk ausschließlich online startete, musste sich der damalige Funk-Chef und heutige HR-Intendant Florian Hager bei einer Intendantensitzung allen Ernstes fragen lassen, wann denn nun endlich die Plakatkampagne für das junge Angebot von ARD und ZDF starten würde. Doch nochmal kurz zurück auf Anfang: Warum gibt es die Degeto eigentlich heute noch? "Die ARD Degeto Film gibt es, weil die Landesrundfunkanstalten 1959 die Degeto in ihrer damaligen Form akquiriert und neu aufgebaut haben, um darüber den Lizenzerwerb für die ARD zentral abwickeln zu können", sagt Schreiber. Motor war damals der Hessische Rundfunk, weshalb die Degeto auch heute noch in Frankfurt am Main in Rufweite des HR sitzt. Die Aufgabenstellung hat sich allerdings deutlich gewandelt: "Wir kaufen zwar immer noch Lizenzen, aber das ist nur noch ein kleiner Kern unseres Geschäfts". Der Rest heißt Produktion, so mancher "Tatort" - vor allem bei den kleineren Anstalten - würde ohne die Mitwirkung aus Frankfurt am Main nicht stattfinden. Rund 210 von ihren 400 Etat-Millionen investiert die Degeto als "Dienstleister" für anderer ARD-Anstalten. Mit den anderen 190 Millionen Euro bespielt sie ihre eigenen Sendeplätze im Ersten wie den Donnerstagskrimi, die Familienfilme am Freitag, gibt Mini-)Serien für die Mediathek in Auftrag oder beschafft Lizenzen für das alljährliche "ARD-Sommerkino". Schreiber, der 2021 vom NDR nach Frankfurt wechselte und im Norden für Unterhaltung, den "Eurovision Song Contest" und zwischenzeitlich auch für einen freien NDR-Mitarbeiter und Filmautor namens Mathias Döpfner zuständig war, sagt denn auch selbstbewusst: "Wir sind ein Stück weit ein Motor für die Branche, wir sind ein Stück weit Motor für die ARD, und wenn unsere Produktionen fehlen würden, gäbe es weniger Produktionsfirmen in Deutschland und mehr Wiederholungen im Programm." Dass ihm die Kritik vorhält, auch die ARD verzeichne eine von der Degeto durchaus mitverantwortete Krimiflut, lässt er gelassen von sich abperlen. Schließlich biete man ja immer noch rund 15 bis 20 thematisch eigenständige Filme pro Jahr an. "Wir sprechen vom klassischen 90-Minüter, vom Weihnachtsfilm, der im Advent läuft, bis hin zum Thriller am Samstag, der womöglich in Venedig gedreht wird. Das ist zwar in Summe weniger geworden, analog zu den anderen Kürzungen. Aber dankenswerterweise haben wir immer noch die Möglichkeit, sowohl lang-, mittel- wie auch kurzfristig 90-Minüter auf den Weg zu bringen", sagt Schreiber zur Frage, wie es sich mit der früheren Königsdisziplin des Fernsehfilms angesichts der längst angebrochenen Ära der Reihen und Serien verhält. Und dann sind da ja noch die "Eventproduktionen" oder "Premium-Formate", wie Schreiber und Pellander sie nennen. Damit gemeint sind Filme oder Serien wie "Babylon Berlin", die um 20.15 Uhr im linearen TV und auch in der Mediathek erfolgreich sind. Manche davon haben zuvor auch noch ein Leben im Kino, wie beispielsweise die "Eberhofer"-Filme. Böse Zungen könnten nun lästern, dass nun also süßer Senf für Eberhofers Leberkässemmeln den früheren Süßstoff abgelöst habe. Doch dagegen spricht, dass die Degeto den Weg Richtung Mediathek und digitale Stoffe konsequent weitergeht. Und das, wie Pellander und Schreiber natürlich betonen, aus dem Bestand. "Es ist kein zusätzliches Geld. Das ist Geld, das wir umgewidmet haben", sagt Pellander. Weshalb man auch von den Produzenten Transparenz erwartet. "Kalkulationsrealismus heißt ja nicht nur, dass wir das bezahlen, was es kostet", ergänzt Schreiber: "Sondern wir erwarten, dass das, was uns angeboten wird, zu diesem Preis auch herzustellen ist." Diese Umwidmung schlägt sich auch in den Zahlen nieder. "Am Donnerstag und Freitag machen wir inzwischen 6 bis 8 Filme weniger als noch im Spitzenjahr 2019, wo wir 36 Filme gedreht haben. Dieses Jahr werden es 27 und am Samstag nur noch 8 statt 10", sagt Schreiber. Zumal Produktionen immer teurer werden, vor allem, wenn man sich der aktuell viel beschworenen Lebenswirklichkeit der Menschen auch fiktional nähern will. "In dem Moment, in dem wir mit kleinen Kindern oder nicht in Metropolen drehen, wird ein Film sofort teurer. Besonders gilt dies für ländliche Regionen, aber wir wollen ja auch in die Provinz gehen, wenngleich es dort teilweise deutlich weniger Infrastruktur gibt", sagt Pellader. "Wir drehen von Husum bis tief nach Bayern, wir drehen von Görlitz bis Aachen und es gilt die Faustregel: Verlassen wir die Großstadt, wird es schnell um zehn Prozent teurer." Und wie sieht es - Görlitz hin oder her - mit dem Osten Deutschlands aus, der vor den anstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg hier und da im öffentlich-rechtlichen Rundfunk beinahe wie eine terra incognita "entdeckt" wird? "Wir müssen uns die Landkarte Deutschlands vorurteilsfrei anschauen: Wo drehen wir eigentlich, welche Landschaften zeigen wir, welche Verortung präsentieren wir?", sagt Schreiber. Da komme gern der Vorwurf, "ihr macht zu wenig im Osten". Schreiber verweist im Büro auf eine Karte mit Produktionsstandorten. "Wenn ich mir allein diese Karte ansehe: Da sehe ich Erfurt, Leipzig, Cottbus, wir sind in Magdeburg und der Altmark, waren oben in Usedom und drehen in Görlitz. Wir drehen mehr denn je in den östlichen Bundesländern." Bloß wirklich hin wollten sie nicht. Vor einigen Jahren wurde innerhalb der ARD die kecke Frage gestellt, warum damals keine ARD-Gemeinschaftseinrichtung in den östlichen Bundesländern - mit Ausnahme der Berlin-Potsdamer Hauptstadtregion - zu finden sei. Dabei schwang auch die Überlegung mit, ob nicht beispielsweise die ARD Degeto Film am Sitz der sogenannten ARD-Filmintendanz beim Mitteldeutschen Rundfunk in Leipzig ganz gut aufgehoben wäre. Der Widerstand war enorm, doch das war vor Schreibers Zeit. Heute ist die Frage vom Tisch - zumal mit ARD-Kultur mittlerweile eine solche Gemeinschaftseinrichtung ihren Sitz in Weimar hat. Und Schreiber führt ein bisschen stolz durch das Degeto-Gebäude in Frankfurt, in dessen Hof ein alter Wasserturm steht. Sogar ein kleines Kino für Filmabnahmen gibt es hier. Doch auch wenn die Degeto im öffentlich-rechtlichen Beritt keine natürlichen Feinde hat, sah das in letzter Zeit mit Blick auf die bis heute gern als "neue Player" bezeichnete Konkurrenz von Netflix, Amazon & Co. anders aus. Das kreative "Talent", wie es neudenglisch mit Betonung auf der ersten Silbe heißt, zeigte für eine gewisse Zeit nicht nur den Öffentlich-Rechtlichen die kalte Schulter und lobte die neue Freiheit und die Offenheit der Streamer. Doch wenn Schreiber recht hat, ist auch das schon wieder vorbei: "Es gab eine Zeit, da war es sehr "in", mit unseren neuen Wettbewerbern zu arbeiten. Ich kann nur wiedergeben, was ich höre: Ich glaube, man arbeitet wieder sehr, sehr gerne mit uns." Und wie sieht es mit den klassischen Privatsendern aus? "Zunächst einmal freue ich mich für jeden fiktionalen Erfolg. Auch bei privaten Sendern", entgegnet Christoph Pellander mit ausgesuchter Höflichkeit. "Ich kann mich noch gut an meine Zeit als Autor erinnern, als Fiction-Redaktionen quasi geschlossen wurden und die Auftragslage ungewiss war." Wie fließend die Übergänge heute sind, kann man beim bereits erwähnten MDR sehen. Hier läuft Ende September die von Disney+ produzierte und mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Serie "Sam ein Sachse" über den afrodeutschen Polizisten Samuel Meffire, der in den letzten Monaten der DDR zur Volkspolizei ging, nach der Wiedervereinigung Aushängeschild der sächsischen Polizei wurde, dann selbst auf die schiefe Bahn geriet und heute Geflüchtete und Menschen in Gefahrenlagen unterstützt. Gibt es Berührungsängste zum privaten Sektor? Nein, sagt Schreiber, "wir führen da immer Gespräche. Es gibt sicherlich Projekte, die in der DNA auch im Öffentlich-Rechtlichen ihr Zuhause hätten finden können. Und andersherum, wenn bestimmte Stoffe vielleicht bei den Privaten nicht gesehen werden und funktionieren, spricht ja nichts dagegen, dass sie bei uns im Schaufenster stehen." Und weil Neid so gar keine Rolle spielt, schiebt der Degeto-Chef noch hinterher: "Ich habe wirklich hohen Respekt vor dem RTL-Team, das in schwierigen Zeiten entschieden hat, wir investieren ins Programm." Denn dabei entstünden teilweise Produktionen, die auch gut im Öffentlich-Rechtlichen laufen könnten, sagt der Degeto-Chef. "Ich denke da etwa an Zeichentrickfiguren aus dem Bayerischen Wald." Aber Neid auf den RTL-"Pumuckl"? Iwo! "Jeder Auftrag stärkt die Produktionslandschaft."