Was Kreuzigungen bedeutet haben - Spannende Doku über einen rätselhaften Fund in Cambridge

Von Christian Bartels (KNA)

DOKU - Die ZDF-Doku "Tod am Kreuz" untersucht archäologisch das Schicksal eines römischen Kreuzigungsopfers. Sie zeigt, wie brutal diese Hinrichtungsform war und warum das Kreuz bis heute symbolische Bedeutung trägt.

| KNA Mediendienst

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"Tod am Kreuz - Räselhafter Fund in Cambridge"

Foto: Impossible Factual/ZDF/KNA

Berlin (KNA) Die ZDF-Doku "Tod am Kreuz" analysiert archäologisch die Gebeine eines Mannes, der einst von den Römern auf eine besonders brutale Weise, die noch immer höchste Bedeutung besitzt, hingerichtet wurde. Das christliche Kreuz bleibt eines der global wichtigsten Symbole, auch wenn die Zahl der Kirchenmitglieder und Gottesdienst-Besucher in Deutschland und Europa sinkt. Über die ursprüngliche Funktion solcher Kreuze mit längerem Längs- als Querbalken informiert - nicht theologisch, sondern archäologisch - die englisch-amerikanische ZDF-Koproduktion "Tod am Kreuz – Rätselhafter Fund in Cambridge" (Regie und Buch: Adam Luria, Ed Baranski, Produktion: Impossible Factual/ WNET Group/ ZDF Studios). Kreuzigungen wurde als besonders grausame und zugleich öffentlichwirksam entehrende Hinrichtungsmethode über fünf Jahrhunderte lang vor und nach Christi Geburt im Römischen Reich praktiziert. Opfer dieser vor allem abschreckend gemeinten Prozedur waren vor allem Sklaven und zu Staatsfeinden erklärte Menschen. Es war "Folter und Hinrichtung in einem", sagt einer der englischen Experten, und die Opfer wurden zugleich weithin sichtbar zur Schau gestellt. Mindestens 100.000 Menschen wurden auf diese Weise hingerichtet, schätzt der Historiker John Granger Cook. Da sei es erstaunlich, wie wenige Spuren davon zeugen. Am detailliertesten beschrieben seien Kreuzigungen in der Bibel, sagt der Wissenschaftler. Dabei ist aus der Römerzeit eigentlich viel mehr Schrifttum überliefert als aus den folgenden frühmittelalterlichen Jahrhunderten. An physischen Spuren, eben Nägeln, mangelt es erst recht. Was allerdings daran liegen könnte, dass die Nägel als wertvoll betrachtet und wiederverwendet wurden. Ausgangspunkt des Films ist ein vor wenigen Jahren nordwestlich von Cambridge, in einem römischen Gräberfeld, entdecktes Skelett eines offenkundigen Kreuzigungsopfers. Erst beim Waschen der Fundstücke wurde der in ein Fersenbein krumm eingeschlagene Eisennagel bemerkt. Nur einmal zuvor, in den 1960er Jahren in Israel, war in einem Beinhaus ein eindeutiger Kreuzigungsnagel entdeckt worden. Nun kann das vollständige englische Skelett als Demonstrationsobjekt für die laufend weiterentwickelten Methoden dienen, aus Genomen, durch Computertomographen und Isotopenanalyse präzise Informationen zu gewinnen. Da kommt eine Menge zusammen. Der britische Gekreuzigte war ein Mann, dürfte ein Alter zwischen 35 und 40 erreicht haben und lebte um 250 nach Christus. Hohe Stickstoffwerte sprechen für fleischreiche, aber auch Fischsoßen enthaltende Ernährung. Wahrscheinlich hatte er die Region, in der er starb, nie verlassen. Abnutzungsspuren an Armknochen deuten auf eine Arbeit als Handwerker hin, womöglich war er Seilmacher. Jedenfalls war der Mann vermutlich römischer Bürger. Anno 212 hatte Kaiser Caracalla den meisten Einwohnern römischer Provinzen auch weit von Rom entfernt das volle Bürgerrecht erteilt, was ihnen viele Vorteile bescherte. Mit derselben Rechtsreform ging allerdings auch einher, dass die Kreuzigung als Strafe nun auch bei römischen Staatsbürgern verhängt werden konnte. Wurde der Mann mit dem Nagel im Fersenbein während der Aufstände in der Provinz Britannia hingerichtet? Darüber gibt das Genom keine Auskunft. Doch was aus Knochen inzwischen alles herausgelesen werden kann, zeigt die 45-minütige Doku sinnfällig und nachvollziehbar. Formal bedient sie sich des gewohnten Mixes: Vorausgreifende Teaser gehören dazu, und ein oftmals dramatisch anschwellender Musikteppich. Animationen eines gekreuzigten Mannes mit im Wind wehendem Haar ergänzen bildliche Darstellungen von Kreuzigungen aus allen Epochen. Dass es sich dabei stets um Vorstellungen aus christlicher Perspektive handelt, muss man sich dazu denken. Dass Kreuzigungen je nach Laune der Henker auf unterschiedlichste Weise exekutiert wurden, gilt allerdings als Stand der Wissenschaft. Die im Film auftretenden Forensiker begeistern sich angesichts all der gewinnbaren Erkenntnisse derart, dass sie sich das Leid der Gekreuzigten dann selbst wieder vor Augen führen müssen. Dass ausgerechnet das mit einer Folter- und Hinrichtungsmethode verknüpfte Kreuz zum Symbol einer Religion wurde - und dass diese Hinrichtungsmethode mit dem Siegeszug dieser Religion verschwand - thematisiert die Doku dann leider nicht mehr. Doch verdient die funktionale Doku, die vermutlich weniger fürs lineare Fernsehen (Mittwoch, 25.9., 20.15 Uhr auf ZDF-Info) als für die Mediathek produziert wurde, in vielerlei Hinsicht Interesse – aus christlicher, historischer oder einfach aus menschlicher Perspektive.

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