Funktional bedrohlich - ARD-Thriller über Korruption im Bundestag verkneift sich das Happy End

Von Christian Bartels (KNA)

THRILLER - Unter dem Allerwelts-Titel "Im Netz der Gier" zeigt die ARD-Degeto einen Fernseh-Thriller, der mit Korruption im Bundestag beginnt und bis zum Schluss funktioniert.

| KNA Mediendienst

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"Im Netz der Gier"

Foto: Christoph Assmann/ARD Degeto/KNA

Berlin (KNA) Kaum dass sich eine junge Frau "voll aufgeregt" von ihrem Freund verabschiedet, geschieht ein provozierter Autounfall und es tritt ein Killer in Aktion. 19 Stunden zuvor joggt die Protagonistin Anna Grawe an der blauen Spree im Berliner Regierungsviertel entlang joggt und bekommt einen seltsamen Anruf ihrer Chefin: "Stell bitte keine Fragen", sagt die Bundestagsabgeordnete Kober und formuliert dann ihren Verdacht, jemand wolle sie "fertigmachen", womöglich ihre eigenen Parteifreunde. Was die Anruferin nicht bemerkt, aber das Publikum deutlich ins Bild gerückt bekommt: An der Bar in London, an der die Abgeordnete gerade sitzt, wird sie belauscht. Und kaum dass Anna dann, wie gewünscht, eine Tasche aus Kobers Bundestagsbüro geholt hat und endlich unter der Dusche steht, stehen vor ihrer Wohnungstür Polizisten sowie eine gestrenge Oberstaatsanwältin, deren Brille ihre Strenge ins Unermessliche steigert. Der ARD-Degeto-Film "Im Netz der Gier" (ab 19. September in der Mediathek, am 21.9. um 20.15 Uhr linear in der ARD) geizt nicht mit dicht gesetztem Spannungspotenzial. Würden im durchgehenden, latent unheilschwangeren Musikteppich nicht immer wieder Pianoklänge entspannen, wäre man ganz schön beunruhigt. Bei diesem Neunzigminüter handelt es sich eindeutig um einen Thriller. Genre-Puristen wissen: Thriller sind etwas anderes als Krimis. Sie kennzeichnet vor allem, dass keine hauptberuflichen Ermittler, sondern in ganz anderen Berufen tätige Menschen in Verbrechen und an Verbrecher geraten. Genau das widerfährt hier der Ageordneten-Büroleiterin Anna Grawe. Bemerkenswert abgekämpft und gestresst sieht Schauspielerin Tanja Wedhorn, bekannt vor allem aus Degeto-Schmonzetten wie "Praxis mit Meerblick", in dieser Rolle aus. Bessere Beispiele des Thriller-Genres charakterisiert außerdem, dass die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen. Das geschieht in "Im Netz der Gier" (Regie: Franziska Schlotterer, Buch: Michael Vershinin, Produktion: Real Film Berlin) quasi von Anfang an. Denn die Volksvertreterin Kober hat sich offenkundig gründlich korrumpieren lassen, und Anna hat, mindestens bemerkenswert naiv, nicht nur dazu beigetragen, sondern auch davon profitiert. Erst recht profitiert hat ihre in London studierende, jetzt anreisende Tochter Larissa (Paula Hartmann), die überdies eine Verbindungen mit dem korrumpierenden Oligarchen Igor Parygin (Eugen Knecht) eingegangen war. Und Annas Mutter (Jutta Wachowiak), die an der ostdeutschen Ostseeküste lebt, wohin sich die Handlung des Films allmählich verlagert, umgeben wiederum eigene Geheimnisse. Solch überraschende Wendungen gehören auch zu den wesentlichen Thriller-Elementen, die bessert nicht vrab in TV-Kritiken gespoilert, also verraten werden sollten. Zumindest wenn der Film funktioniert. Und das tut "Im Netz der Gier". In der zweiten Hälfte lässt das anfänglich hohe Tempo allerdings nach. Wenn viele Szenen im Dunklen spielen, wenn Verwandte und alte Bekannte ihre komplizierten Verhältnisse dialogisch klären. Oder von den biografischen Päckchen erzählen, die sie mit sich rumtragen, Das erfordert vom Zuschauer eine gewisse Konzentration. Doch weil der Filmanfang den Ton setzte, wirken die Kulissen - flaches Land, grauer Himmel, Windräder und verfallende Backsteinbauten - echt bedrohlich. Einige bildstarke Momente gelingen Regisseurin Schlatterer immer wieder. Verwandte lauschen an der Tür, Blicke treffen sich nicht nur, sondern richten sich auch aus dem Dunkel draußen durch Fenster in erleuchtete Häusern auf Displays, die Sexvideos zeigen. Diese bedrohliche Balance hält der Film bis zum im Prinzip glücklichen Ende, das sich zum Glück aber ein allseitiges Wohlfühl-Happyend à la Degeto verkneift. Und genregemäß kann es in Thrillern auch Tote geben, die den Protagonisten nahestanden. In seinen langsamen Momenten bietet der Film Gelegenheit, über die Inhalte all der Intrigen und ihre eventuelle Bedeutung zu sinnieren. Im Bundestag gibt es Korruption, die öffentlich nicht auffällt, solange ihre Initiatoren sie nicht auffallen lassen wollten, lautet eine Botschaft. Auch wenn der etwas beliebige Titel sich für fast jede Thriller- (und Krimi-)-Handlung eignen könnte, ist es nicht schlecht, wenn im ARD-Programm mal vorkommt, dass hinter Hauptstadt-Fassaden Abgründe lauern. Gut meistert "Im Netz der Gier" übrigens das Problem, zwar im Parlament seinen Ausgang zu nehmen, aber natürlich keine Parallelen zu real existierenden politischen Parteien erkennen lassen zu wollen. Als Ausgangspunkt der Korruption fungieren ein "russisch-kasachischer Oligarch", heißt es in der Filminhaltsangabe, und Kasachstan selbst. Just besuchte Bundeskanzler Olaf Scholz diesen postsowjetischen Staat, der in puncto Menschenrechte und Medienfreiheit vieles zu wünschen übrig lässt, doch Rohstoffe zu bieten hat. Womöglich programmierte die ARD die Erstausstrahlung also nicht zufällig gerade jetzt. Doch erfährt man im fiktionalen Thriller kaum etwas über das Land, obwohl das allererste Mordopfer des Films sich als "kasachischer Oppositioneller" erweist. Regelmäßig tauchen im Film indes Anklänge an Russen oder Klischees von ihnen auf. Mit gut erkennbarem russischem Akzent sprechen sie perfekt deutsch, haben stets Geldscheinbündel bei sich, und die Frauen tragen echten Pelz. Von dem, was die Schurken des Thrillers im Schilde führen, erfährt man dann auch nicht viel. Ob also das Motiv vom bösen Russen, das im westdeutsch geprägten Film und Fernsehen der Nachkriegszeit lange als Bedrohlichkeits-Chiffre geläufig war, nun wieder in Mode kommt - wofür es ja Gründe gäbe - ließe sich auch noch überlegen. So wirkt die von diesem funktionalen, funktionierenden Fernseh-Thriller ausgemalte Bedrohlichkeit sogar einmal über den Film hinaus.

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