Verloren im Neuland, einsam in Brüssel - Medien gehen rechter Kampagne gegen die Bundesnetzagentur auf den Leim

Von Jana Ballweber (KNA)

Die europäische Plattformregulierung verdient kritischen Journalismus. Dass der in der Breite nun vier Jahre zu spät und ohne richtigen Anlass aufkommt, zeigt das Fehlen von EU- und Digital-Expertise in deutschen Redaktionen, kommentiert KNA-Mediendienstredakteurin Jana Ballweber.

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Klaus Müller

Foto: Presse BNetzA/KNA

Bonn (KNA) Bei der stets steigenden Frequenz, mit der rechte Shitstorms inzwischen das Netz, genauer gesagt die Online-Plattform X fluten, sind diese Kampagnen selbst mittlerweile kaum noch eine Nachricht wert. Immer wieder jedoch sickert der Unsinn, der dort verbreitet wird, aus den entsprechenden Blasen heraus und in die etablierten Medien hinein - und dann wird es ungemütlich. Das musste auch Klaus Müller erfahren. Der ehemalige Grünen-Politiker leitet seit 2022 die Bundesnetzagentur und ist seit einigen Tagen das neue Lieblingsziel für rechte Angriffe. Was hat Müller angestellt? Skandalöserweise setzt er europäisches Recht um. Der Digital Services Act trat vor knapp zwei Jahren in Kraft und soll die Plattformregulierung der EU auf neue Füße stellen. Berichte über zunehmenden Extremismus, Hass, Hetze und Desinformation hatten die Regulierer aufgeschreckt. Seit einigen Monaten gelten die Vorschriften nun nicht mehr nur für die Digitalriesen Facebook, YouTube und Co., sondern für alle digitalen Plattformen, auch die mit Sitz in Deutschland. Und hierzulande sollen Klaus Müller und seine Behörde die deutschen Anstrengungen in der Plattformregulierung koordinieren. Dafür ernannte die Netzagentur Anfang Oktober zum ersten Mal einen sogenannten Trusted Flagger. Die Meldestelle REspect! aus Baden-Württemberg, die Betroffene von Hass im Netz schon länger unterstützt, soll als vertrauenswürdiger Hinweisgeber Meldungen über illegale Inhalte entgegennehmen und den Plattformen melden. Aus diesem ganz normalen Vorgang machten Julian Reichelts Schoßhündchen auf der hauseigenen Kampagnen-Plattform Nius und auf X aus der zivilgesellschaftlichen Organisation Deutschland oberste Zensurbehörde. Besonders "skandalös": Deren Geschäftsführer ist Muslim. Interessierte Kreise raunen sich daraus zusammen, dass die Grünen die Entscheidung über das heute Sagbare jetzt den Islamisten übertragen. Denn die Bundesnetzagentur untersteht ja dem grün geführten Wirtschaftsministerium mit Robert Habeck an der Spitze. Diese Reflexe sind so unappetitlich wie erwartbar. Sie sind eigentlich keine Nachricht und schon gar keinen Meinungsbeitrag wert und sollten mit großem Enthusiasmus dem Vergessen anheimgegeben werden. Doch wieder einmal nimmt die Naivität vieler Redaktionen bei Digital- und Technikthemen uns Medienjournalisten die Möglichkeit, die eigentlich angezeigte Ignoranz in die Tat umzusetzen. Denn seit einigen Tagen stürzen sich viele Redaktionen mit einer atemberaubenden Blauäugigkeit in die Thematik, reproduzieren rechte Narrative und geben ihren Hörerinnen und Hörern, ihren Leserinnen und Lesern sogar noch Hinweise an die Hand, wie sie die Arbeit der Trusted Flagger möglichst effektiv sabotieren können. Von "Welt" und "NZZ" über RTL bis hin zu MDR und WDR sahen Redaktionen wegen der europäischen Plattformregulierung eine staatliche Zensur heraufdämmern. Nun kann man nicht alle dieser Veröffentlichungen mit dem Vorwurf der Blauäugigkeit davon kommen lassen - was ja schon schlimm genug wäre. Wer wie "Welt"-Feuilletonchef Andreas Rosenfelder behauptet, hier entstehe "mit europäischer Rückendeckung eine Art pinkfarbene Paralleljustiz, die unter Umgehung der zuständigen rechtsstaatlichen Informationen die Debattenlandschaft aufräumt und säubert", und dann noch konstatiert, für eine so "nette, serviceorientierte und hilfsbereite Zensurmaschine" habe selbst George Orwell die Phantasie gefehlt, der ist nicht naiv, sondern befeuert in vollem Bewusstsein die Angstkampagne rechter Kräfte. Besonders fatal: Am Digital Services Act, der Plattformregulierung und dem Verhalten der Digitalkonzerne gibt es berechtigte Kritik. Schon seit langem. Schon als das Digitale-Dienste-Gesetz sich noch Netzwerkdurchsetzungsgesetz schimpfte und einen deutschen Sonderweg in der Plattformregulierung schuf, der rechtlich umstritten und Vorbild für Zensurgesetze in mehr als einer Autokratie war. Und der mit genau dieser europäischen Regulierung wieder eingefangen werden sollte. Es gibt Zweifel an der Wirksamkeit der Regelungen, deren Ziel es ist Betroffene von Hass, Mobbing oder digitaler Gewalt zu schützen, Desinformation einzudämmen sowie Kinder und Jugendliche vor Inhalten und Menschen zu bewahren, die ihnen schaden können. Es gibt Zweifel, ob die Regelungen nicht zu viel Entscheidungsmacht bei den Plattformen belassen. Und es gibt auch tatsächlich berechtigte Zweifel, ob der so schwierigen Abwägung zwischen diesem Schutz und der andererseits geltenden Meinungsfreiheit gesetzlich ausreichend genüge getan wurde. Oder ob nicht der EU-Kommission allzu viele exekutive Rechte eingeräumt wurden. All das hätten Redaktionen unbedingt ausführlich diskutieren müssen - und zwar vor vier Jahren, als der Digital Services Act auf der EU-Ebene verhandelt wurde. Redaktionen sollten, nein, müssen sogar kritisch hinterfragen, welche Exekutivrechte die Politik hier an sich zieht, ob die Vorgaben rechtlich klar genug formuliert wurden und ob die Bundesnetzagentur die richtige Behörde ist, um die deutschen Anstrengungen zu koordinieren. Medienberichterstattung ist ein unverzichtbarer Teil politischer Willensbildung der Bevölkerung, die auf politische Entscheidungen einwirken soll - und zwar im Idealfall, bevor sie getroffen werden. Eine solche Berichterstattung hätte die deutsche Verhandlungsposition beim Digital Services Act kritisch begleiten können. Doch der Tragweite des Themas wurde die Medienberichterstattung in den Monaten und Jahren der Verhandlungen kaum gerecht. Stattdessen springen die Redaktionen nun zu einem Zeitpunkt auf einen Zug auf, der längst davongefahren ist. Diese Vorgänge zeugen auf der einen Seite von einem fundamentalen Mangel an Fachjournalismus in Brüssel, der über die oftmals weitreichende EU-Gesetzgebung berichtet. Auf der anderen Seite offenbart sich hier, dass Digitalthemen in Redaktionen immer noch stiefmütterlich behandelt werden. Das führt dazu, dass in einem Moment, in dem sich Ereignisse vermeintlich überschlagen, weil ein Thema im Netz intensiver diskutiert wird, keine Fachexpertise vorhanden ist, die einschätzen kann, worum es wirklich geht. Welche Punkte berechtigt sind - und wo man einer Kampagne aufgesessen ist. Diese Expertise könnte eine Brandmauer gegen den Unsinn aus dem Netz sein. Bezeichnend, dass der WDR, dem in einem Radiobeitrag für WDR3 sogar noch in Teilen eine vergleichsweise differenzierte Aufbereitung des Themas gelingt, dafür einen bereits verrenteten Technikjournalisten reaktivieren musste.

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