Rede von Georg Mascolo beim Netzwerktreffen "Journalismus macht Schule" 2024

Der frühere "Spiegel"-Chefredakteur drückt wieder die Schulbank, um Kindern und Jugendlichen den Wert des Journalismus für die Demokratie nahezubringen. Er fordert verbindliche Lehrpläne für Informations- und Nachrichtenkompetenz.

| KNA Mediendienst

alt

Georg Mascolo bei "Journalismus macht Schule"

Foto: Jasmin Marte/Journalismus macht Schule/KNA

Berlin (KNA) Die Organisation "Journalismus macht Schule" will mit Unterrichtsbesuchen und vielen weiteren Angeboten die Arbeit der Medien für Schülerinnen und Schüler transparenter und verständlicher machen. Damit soll Medienkompetenz gestärkt, Desinformation entgegengewirkt und mehr Verständnis für journalistische Arbeitsweisen und Spielregeln erreicht werden. Die unter anderem von dem langjährigen "Süddeutsche Zeitung"-Redakteur Klaus Ott aufgebaute Initiative, in der sich auch zahlreiche namhafte Journalistinnen und Journalisten engagieren, ist seit 2022 ein eingetragener Verein. Beim Vernetzungstreffen 2024 am 9. Oktober wurden Ziele und Herausforderungen mit Schülern, Medienvertretern und der Bildungspolitik diskutiert. Der KNA-Mediendienst dokumentiert die Keynote von Georg Mascolo im Wortlaut. Mascolo war unter anderem von 2008 bis 2013 Chefredakteur des "Spiegel" und von 2014 bis 2022 Leiter des Rechercheverbundes von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung". Guten Morgen, ich gehe jetzt gern zur Schule, was, hier kann ich es ja sagen, auch nicht immer der Fall war. Manchmal ist meine Schule in Hamburg, zuletzt in Lübeck, sie findet sich immer dort, wo "Journalismus macht Schule", dieses großartige Projekt, das dazu beiträgt, den Wert von professionellem Journalismus in einer demokratischen Gesellschaft zu beschreiben und zu erklären, mich gebrauchen kann. Dann geht es darum, nach welchen ethischen und handwerklichen Maßstäben Journalismus funktioniert, um sein wichtigstes Ziel zu erreichen: Bürgerinnen und Bürger dieses Landes informieren zu können, damit sie zu ihren eigenen Entscheidungen finden können. Denn darum und nur darum geht es. Journalismus missioniert nicht. Er informiert. Er hilft dabei, die Dinge zu verstehen. Was nicht immer heißt, auch Verständnis zu haben. Der Zugang zu verlässlichen Informationen ist in einer Gesellschaft so wichtig, wie der Zugang zu einem funktionierenden Gesundheitswesen oder sauberem Wasser. Von dem Projekt, in die Schulen zu gehen, hörte ich schon, bevor Journalismus macht Schule ein Verein wurde. Ein Freund und Kollege, Klaus Ott, gehörte zu jenen, die auf die Idee kamen, in die Schulen zu gehen und dort von unserem Beruf zu erzählen. Die erkannten, dass es nicht allein auf die Bedrohung unserer Geschäftsgrundlagen - sondern genauso auf die unserer Glaubwürdigkeit - eine Antwort geben muss. Ich gehöre zu denen, die diese Notwendigkeit erst später erkannten. Manchmal braucht man zu lange, um zu erkennen, was zu tun ist. Obwohl es doch offenkundig ist - ich komme darauf zurück. Die Doppelstunde Schule ist immer eine Freude, ich höre die Fragen, ich sehe die Neugier, ich spüre die Zweifel. Denn zu oft ist das Ideal des Journalismus, das ich beschreibe, so gar nicht das, was die Schülerinnen und Schüler erleben. Zu oft habe ich keine guten Antworten, etwa warum es bis heute keine Selbstverständlichkeit ist, dass gemachte Fehler transparent korrigiert werden. Dabei muss Journalismus an sich immer zuerst die Maßstäbe anlegen, die er an alle anderen anlegt. Immer verlasse ich die Schulen und habe selbst viel gelernt. Vor allem: Wie dringlich die Aufgabe doch ist, dass wir mehr tun, schneller werden und kreativer. Denn ich berichte zu oft von einer alten Welt der Informationsvermittlung, die viele in den Klassenzimmern nur noch von ihren Eltern kennen. Es wird nicht geblättert, es wird gewischt. Was als Nächstes kommt, bestimmt ein Algorithmus. Zwei Entwicklungen ragen heraus, die das heutige Informationsumfeld zu oft toxisch machen, die sich überlagern und gegenseitig verstärken. Da ist zum einen die Methode großer Tech-Konzerne. Ihr Geschäftsmodell beruht darauf, dass der jede und jeder so viel Zeit wie irgend möglich mit ihren Produkten verbringt. Emotion ist dabei entscheidend. Erregter machen, nicht klüger machen, ist die Handlungsmaxime. Alles andere spielt eine untergeordnete Rolle. In welchem Ausmaß das wahr ist, habe ich verstanden, als die Whistleblowerin Frances Haugen mir ihre Dokumente aus dem Innenleben des Konzerns Meta anvertraute. Inzwischen ist TikTok das neue Facebook. Mal sehen, was als nächstes kommt. Besser wird es nicht werden. Journalismus hatte und hat seine eigenen Macken. Aber nie zuvor lag die Aufgabe der Informationsvermittlung in der Hand von Akteuren, die ohne jedes publizistische Ethos agieren. Und dann sind da diejenigen, die früh erkannten, dass das Internet eben nicht (besser gesagt: nicht nur) der Meinungsfreiheit dient und das Ende von Diktatur und Unterdrückung bedeutet, sondern dass es sich auch vortrefflich für das genaue Gegenteil verwenden lässt. Ausgerechnet Russland gehört zu den Ländern, die dieses Potenzial am frühesten erkannten. Fake News hießen in der Sowjetunion schon in den 20er Jahren "Aktive Maßnahmen" und die Stasi hatte eine ganze Abteilung für diesen Dreck. Wir müssen von hier nur sieben Stationen mit der U-Bahn fahren und sind dann genau dort, wo das stattgefunden hat. Heute ist dieses alte Geschäft revolutioniert worden: Es geht gar nicht mehr darum, dass man eine bestimmte Geschichte glaubt. Es geht darum, dass man nichts mehr glaubt. Dieses Prinzip wenden nicht nur Staaten an: Der ehemalige Trump-Berater Steve Bannon nennt es "das System mit Scheiße zu überfluten". Auch bei uns hier hat die Bannon-Methode inzwischen ihre Anhänger, auch im politischen System. Mit dem Singular kommt man nicht mehr hin. Offene Gesellschaften haben immer offene Flanken, kein Gesetz, keine EU-Richtlinie wird allein tauglich sein, mit dieser toxischen Brühe umzugehen. Was es braucht, ist eine andere Form von Medienkompetenz, was nicht meint, ein WLAN einzurichten und Tablets auszuteilen. Heute muss man nicht nur Lesen lernen. Man muss auch lernen, was man da liest, wer der Absender ist, wie sich das Gelesene überprüfen lässt. Wer mein Vertrauen verdient. Man muss lernen, sich mit anderen Positionen auseinandersetzen und gezielt nach ihnen zu suchen, denn der Algorithmus ist nichts anderes als ein mathematisches Vorurteil. Gut, dass hier heute Morgen diese großen Fragen diskutiert werden, die so notwendigen Vorschlägen wie private Initiativen, journalistisches Engagement und vor allem eine Veränderung der Lehrpläne Fortschritt bringen könnte. Noch besser wäre es, auch schnell etwas zu entscheiden. Vor allem, was die Aufgabe staatlicher Bildungspolitik ist, etwa die Einführung verbindlicher Lehrpläne für Informations- und Nachrichtenkompetenz. Mein Freund Bernhard Pörksen schrieb zum Tag der Pressefreiheit im vergangenen Jahre dies hier: "Manchmal, in dunklen, pessimistischen Momenten, denke ich: Was muss eigentlich noch passieren, bevor eine lethargische Bildungspolitik - trotz des Desinformationsgewitters der Gegenwart - aus ihrem Tiefschlaf erwacht?" Die Zuspitzung überlasse ich heute einmal der Wissenschaft. Wir alle spüren es, Großes ist in diesem Land ins Rutschen geraten. Heute bin ich unter Menschen, die wie so viele andere danach suchen, was sie tun können, um diese freie, diese großartige Gesellschaft zu verteidigen. Eine große Aufgabe jedenfalls ist ausgemacht. Sie liegt in den Schulen und heißt Medienkompetenz. Sie ist gänzlich überparteilich, sie hängt nicht davon ab, wer wo und wie lange regiert. Sie verträgt keine Leidenschaftslosigkeit. Sie braucht Entschlossenheit. Und Geschwindigkeit. Machen wir uns an die Arbeit.

Lesen Sie weiter auf www.KNA-News.de