"Sie muss klappen!" - Medienpolitikerin Tabea Rößner über eine Reform mit Hindernissen

Von Steffen Grimberg (KNA)

RUNDFUNKREFORM - Für Tabea Rößner von den Grünen wird die Reform der Öffentlich-Rechtlichen gerade übers Knie gebrochen. Ein Gespräch über dynamische Medienpolitik, fehlende Impulse ihrer Partei und die traurige Bilanz der Ampelkoalition.

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Tabea Rößner

Foto: dts Nachrichtenagentur/Imago/KNA

Berlin (KNA) Tabea Rößner (57) gehört seit mehr als einem Jahrzehnt zu den profiliertesten Medienpolitikerinnen Deutschlands. Dabei hat es die Grünen-Abgeordnete mit ihrer eigenen Partei nicht immer ganz leicht. Aktuell ist sie Vorsitzende des Digitalausschusses im Bundestag. Rößner hat angekündigt, bei den Bundestagswahlen 2025 nicht erneut zu kandidieren. KNA-Mediendienst: Tabea Rößner, Arte oder 3sat? Tabea Rößner: Beides! Wenn man sich anschaut, dass einer der Schwerpunkte des öffentlich-rechtlichen Angebots weiterhin Kultur sein soll, ist es absolut nicht förderlich, Arte oder 3sat zur Disposition zu stellen. MD: Gremien wie der ZDF-Fernsehrat monieren, die Politik schiebe den Sendern hier generell den Schwarzen Peter zu. Macht es sich die Politik zu leicht? Rößner: In der Vergangenheit habe ich häufig moniert, dass die Politik nicht in der Lage war, Entscheidungen zu treffen. Stattdessen hat sie den Sendern Sparmaßnahmen verordnet, ohne den Auftrag anzupassen. Jetzt hat die Politik tatsächlich deutlich mehr vorgelegt. Deshalb würde ich diesen Vorwurf nicht stehen lassen. MD: Trotz dieser Dynamik von der politischen Seite wirken Sie aber nicht recht glücklich ... Rößner: Ja, weil dieser Reformstaatsvertrag jetzt plötzlich übers Knie gebrochen wird. Die geplanten Änderungen sind sehr umfangreich, und die gesetzte Frist für eine Bewertung war viel zu kurz. Trotzdem sind rund 16.000 Stellungnahmen eingegangen. Das zeigt, dass es noch viel Diskussionsbedarf gibt. MD: Nun hatten wir gerade drei Landtagswahlen mit einem für die Öffentlich-Rechtlichen schwierigen Ergebnis. Die Länder sind jetzt bemüht, den Sack noch zuzumachen, weil vielleicht auch ein bisschen die Furcht im Raume steht, dass so ein Vorhaben künftig gar nicht mehr umsetzbar wäre. Rößner: Trotzdem bleibt die Frage, ob viele Änderungen sinnvoll sind. Die Debatte war ja immer wieder getrieben von der Frage der Beitragsstabilität. Den Staatsvertrag zur Finanzierung haben die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten aber eben nicht vorgelegt, obwohl zum 1. Januar 2025 der Rundfunkbeitrag angepasst werden muss. Da muss wahrscheinlich wieder das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Und die KEF hat ja in ihrem Sondergutachten klar gesagt, dass alles, was jetzt durch diesen Reformstaatsvertrag auf den Weg gebracht wird, erst nach Ablauf der kommenden Beitragsperiode Wirkung zeigen wird. Ich hätte mir gewünscht, dass jetzt erst mal der Beitrag im Sinne des Vorschlags der KEF klargezogen worden wäre, denn da sind die Länder in der Pflicht. MD: Könnte die gesamte Reform also noch an der generellen Frage der Finanzierung scheitern? Rößner: Es kann sein, dass der Reformstaatsvertrag ohne Erhöhung des Beitrags zum Anfang nächsten Jahres beschlossen wird. Es gibt aber auch Stimmen, die den Abschluss des Reformstaatsvertrags in Zweifel ziehen, wenn es nicht zur Erhöhung des Beitrags kommt. Wie das ausgeht, ist jetzt noch nicht absehbar. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Umsetzung von Reformen oft erst mal zusätzliche Mittel benötigt - etwa die Finanzierung einer gemeinsamen Plattform. MD: Wenn Sie sagen, hier werde eine Reform übers Knie gebrochen: Wo befürchten Sie, dass etwas schiefgeht? Rößner: Die vorgesehenen Beschränkungen im Online-Bereich finde ich sehr bedenklich. Die Sender müssen sich mehr im Internet entwickeln, eine gemeinsame Plattformstrategie aufstellen - alles richtig. Auch die Idee eines Public Open Space, wo Einrichtungen der Kultur und Wissenschaft eingebunden werden. So etwas habe ich immer gefordert. Aber dann kommt gleichzeitig eine Verschärfung des Verbots der Presseähnlichkeit im Netz. Das ist doch völlig kontraproduktiv. Es gehört zur redaktionellen Freiheit der Sender, zu entscheiden, wie sie ihre Inhalte den Nutzerinnen und Nutzern präsentieren. Wenn jetzt nur noch ganz eng sendungsbezogen Texte veröffentlicht werden dürfen, ist das mit großen Einschränkungen der Programmautonomie verbunden. Das betrachte ich als eine klare Fehlentwicklung. MD: Nun hat ja hiermit in erster Linie die ARDÄrger. Das ZDF sagt, da haben wir kein Problem mit. Haben Sie eine Erklärung, warum der eine Teil des öffentlich-rechtlichen Systems damit offensichtlich besser zurande kommt? Rößner: Die fahren halt unterschiedliche Strategien. Das ZDF stellt im Netz ja tatsächlich hauptsächlich Videos ein. Aber wir brauchen bei der aktuellen Berichterstattung, bei Nachrichten und deren journalistischer Einordnung mit Hintergründen immer auch textbasierte Informationen. Die ARD hat sich da relativ breit gemacht, das kann man gut finden oder nicht. Ich halte nur diese gesamte Debatte für dysfunktional, gerade im Hinblick auf den Diskurs, der sich ja immer mehr ins Netz verschiebt. Da muss es doch auch von den Öffentlich-Rechtlichen mehr originäre Online-Angebote geben. Und es wäre fatal, den Sendern hier noch mehr Fesseln anzulegen. Schon die alten Einschränkungen gingen über das hinaus, was die EU-Kommission damals gefordert hatte. MD: Trotzdem sind die Verlage gerade wieder in Brüssel und wollen ein neues Beihilfeverfahren durchsetzen. Kann die vorgesehene Verschärfung im Reformstaatsvertrag auch eine taktische Maßnahme der deutschen Medienpolitik sein, um ein weiteres Beihilfeverfahren zu verhindern? Rößner: Das mag sein. Die Verlage sind unter Druck, und es ist auch unglücklich, dass die Unterstützung, die die Bundesregierung ihnen zugesagt hatte, nicht gekommen ist. Ich denke nur, dass es nicht der richtige Weg ist, sich wieder in die Schlacht gegen die Öffentlich-Rechtlichen zu begeben. Anstatt die wirkliche Bedrohung für beide da zu sehen, wo sie ist - bei den großen internationalen Plattformen. MD: Das heißt also, Verlage und Öffentlich-Rechtliche spielen Judäische Volksfront und Volksfront von Judäa, statt sich um die "Römer" namens Google, Meta und so weiter zu kümmern? Rößner: So ein bisschen. Im Übrigen wäre es besser, wenn sie mehr kooperieren und ihre gemeinsamen Werte gemeinsam verteidigen würden. MD: Sie hatten es schon angesprochen: Die aktuelle Bundesregierung, der auch Ihre Partei sogar mit dem Ressort für Kultur und Medien angehört, hatte sich Einiges vorgenommen: Unterstützung für Presseverlage, Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus. Da ist wenig bei rumgekommen insgesamt. Woran liegt's? Rößner: Über die Gemeinnützigkeit für Journalismus wird noch verhandelt. Und es ist schon traurig, dass die Bundesregierung es nicht hinbekommen hat, die Presse zu stützen - auch wenn das angesichts der Frage, wie eine staatsferne Unterstützung aussehen kann, nicht ganz einfach ist. Zumal für die Gewährleistung publizistischer Inhalte eigentlich die Länder zuständig sind. Aber es gab einige Vorschläge, wie eine Presseförderung vom Bund aussehen könnte. Letztlich waren sich die Bundesministerien samt Kanzler nicht einig, wer dafür zuständig sein sollte und woher die Mittel für eine Presseförderung kommen sollten. MD: Auch in der Debatte um die Reform des öffentlichen-rechtlichen Systems, die ja Ländersache ist, sind keine Impulse der Grünen wahrzunehmen ... Rößner: Wir haben in der Vergangenheit immer wieder viele gute Vorschläge gemacht. Aber leider wurden wenige aufgegriffen. Und letztlich wurden die Reformdebatten immer nur dann intensiv geführt, wenn die Beitragsanpassung anstand. Dabei geht es ja darum, wie der Öffentlich-Rechtliche seiner Aufgabe, den freiheitlichen Meinungsbildungsprozess zu gewährleisten, in der zunehmend digitalen Welt gerecht werden kann. Ich hatte dazu bereits vor vielen Jahren vorgeschlagen, eine unabhängige Expert*innenkommission aus Medienwissenschaftler*innen, -rechtler*innen, Soziolog*innen und anderen einzusetzen, die begleitet durch eine breite Bürgerbeteiligung - beispielsweise durch einen Bürgerrat - Vorschläge für eine grundlegende Reform erarbeitet. MD: Nun soll ein sechsköpfiger Medienrat kommen ... Rößner: ... der zum Teil auch wieder staatlich besetzt wird. Und dieser Medienrat soll den Überblick über alles haben. Wie soll das gehen? Dazu bräuchte er einen großen Unterbau, von dem im Reformstaatsvertrag aber nichts zu lesen ist. Außerdem ist das eine Misstrauenserklärung gegenüber den Gremien, die wir ja eigentlich gerade stärken wollten, damit sie ihre Aufsichtsfunktion besser ausüben können. Das ist ein schlechter Witz - oder um es höflicher zu formulieren: alles noch nicht so richtig durchdacht. MD: Was ist denn aus Ihrer Sicht aktuell die größte Herausforderung oder Sollbruchstelle? Rößner: Das öffentlich-rechtliche System angesichts einer fragmentierten Öffentlichkeit im Internet zukunftsfähig auszugestalten. Wir müssen alles dafür tun, damit seine Akzeptanz wieder steigt und das Vertrauen gestärkt wird. Grundvoraussetzung dafür ist eine konsequente Staatsferne. Ich habe den Eindruck, die Medienpolitikerinnen und -politiker in den Ländern sind sich dieser Verantwortung häufig immer noch nicht ganz bewusst. Sie wollen immer noch ein Stück weit die Hand draufhalten und Einfluss nehmen. Aber genau das führt auch zum Vertrauensverlust. Ich denke auch, dass die Sender selbst mehr Impulse für eine Neuaufstellung geben müssen. MD: Wird das gelingen? Kann die Reform klappen? Rößner: Sie muss klappen!

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